Embodied Carbon sind „unsichtbare“ Emissionen, die bei Herstellung, Transport und Entsorgung von (Bau-)Materialien entstehen. Warum man sie beim Bauen mehr berücksichtigen sollte, erfährst du hier.
Auf den Betrieb von Gebäuden entfallen laut dem Umweltbundesamt in Deutschland rund 35 Prozent des Endenergieverbrauchs und rund 30 Prozent der CO2-Emissionen. Gebäude haben also einen beträchtlichen CO2-Fußabdruck. Oft ist dieser aber immer noch kleiner, als er tatsächlich sein sollte. Denn: In vielen Berechnungen zur Klimabilanz von Gebäuden finden nur die „sichtbaren“ CO2-Emissionen von Häusern Berücksichtigung, die beispielsweise durch den Energieaufwand für Beleuchtung, Belüftung oder Beheizung anfallen.
Daneben gibt es aber auch noch „versteckte“ beziehungsweise „eingebettete“ Kohlenstoffdioxidemissionen – das sogenannte Embodied Carbon, oder auch graue Emissionen. Embodied Carbon bezieht sich auf die Menge an Treibhausgasemissionen, die bei der Herstellung, dem Transport und der Entsorgung von Baustoffen und Baumaterialien entstehen.
Übrigens: Den Energieaufwand für all diese Prozesse nennt man graue Energie. Die Emissionen, die bei der Erzeugung der grauen Energie entstehen, sind demzufolge die grauen Emissionen.
Hier fällt Embodied Carbon an
Embodied Carbon ist die Summe an Treibhausgasemissionen, die entlang aller Herstellungs- und Bauprozesse anfallen. Der Transport von Baumaterialien ist ein offensichtlicher CO2-Emittant. Weiterhin verursachen aber auch beispielsweise diese Prozesse laut Treehugger klimaschädliche Gase:
- Rohstoffgewinnung: Die Baubranche hat einen gewaltigen Bedarf an natürlichen Ressourcen (wie Sand und Kies) zur Herstellung von Beton oder Metalle für Eisen-, Kupfer- und Aluminiumbaustoffe. Die Gewinnung dieser Rohstoffe geht mit einer hohen Menge an Treibhausgasemissionen einher. Laut den Vereinten Nationen ist die Rohstoffgewinnung gar für die Hälfte der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Expert:innen gehen davon aus, dass sich der Verbrauch vieler Baumaterialien zwischen 2017 und 2060 sogar noch mindestens verdoppeln wird.
- Materialproduktion: Die Rohstoffe müssen anschließend noch zu Baumaterialien weiterverarbeitet werden. Aus Quarzsand, Kalk und Soda entsteht zum Beispiel Glas. Das Gemenge wird dafür bei bis zu 1600 Grad Celsius geschmolzen. Um diese Temperatur zu erreichen, ist ein hoher Energieaufwand nötig. Dementsprechend hoch sind auch die Kohlenstoffemissionen aus der Glasproduktion. Jährlich verursacht die Glasherstellung 95 Millionen Tonnen CO2.
- Abriss und Entsorgung: Eine Studie über Bauschutt hat die Emissionen von Abbrucharbeiten aufgeschlüsselt: Dazu gehört nicht nur der Diesel, der für den Betrieb von Kränen und anderen Geräten sowie für den Transport des Abfalls benötigt wird – sondern auch die CO2-Emissionen, die im Baumaterial festgesetzt waren und durch den Abriss freigesetzt werden.
Ein Drittel der Treibhausgasemissionen entstehen alleine schon vor der Nutzung eines Gebäudes. Betrachtet man also den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes – von der Rohstoffgewinnung bis hin zum Abriss – wird deutlich, dass es noch viel mehr Stellen gibt, um im Gebäudesektor CO2-Emissionen einzusparen als lediglich beim Nutzungsenergiebedarf eines Gebäudes.
Wie wird Embodied Carbon berechnet?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Embodied Carbon zu messen. Dies ist vor allem abhängig davon, welche Materialien und/oder Prozesse in die Berechnungen einbezogen werden. Treehugger zufolge beginnen alle mit einer Betrachtung der „Cradle“ („Wiege“), also der Gewinnung von Rohstoffen aus der Erde:
- Cradle-to-Gate: Embodied Carbon, das bei der Materialgewinnung und -produktion entsteht.
- Cradle-to-Site: Cradle-to-Gate-Emissionen plus Embodied Carbon, das beim Transport der Materialien zur Baustelle anfällt.
- Cradle-to-End: Cradle-to-Site plus Embodied Carbon, das bei den Bauarbeiten entsteht.
- Cradle-to-Grave: Cradle-to-End plus Embodied Carbon, das bei Wartung, Abriss und Entsorgung anfällt.
- Cradle-to-Cradle: Cradle-to-Grave plus Embodied Carbon, das bei der Umwandlung alter Materialien in etwas Neues anfällt.
Die gebräuchlichste Messmethode berechnet die Kohlenstoffemissionen, die nur die Rohstoffgewinnung und Materialherstellung verursachen, also Cradle-to-Gate. Das macht Sinn, denn diese Schritte sind besonders emissionsintensiv.
Embodied Carbon und die Klimakrise
Im Bereich der Materialien haben Bauunternehmen und Architekt:innen also auch viel Spielraum, um das Embodied Carbon ihrer Projekte zu reduzieren. Mittlerweile arbeitet die Forschung nämlich intensiv an alternativen Baustoffen, die klima- und umweltfreundlicher sind. Ein Beispiel dafür sind Beton-Alternativen. Beton gilt als der „Klimakiller“ der Baubranche, was wesentlich am Zement liegt: „Zwei Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen und acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen werden durch die Zementherstellung verursacht“, erklärt der WWF.
Eine mögliche Beton-Alternative ist Hanfbeton, der laut einer Übersichtsstudie „ideal“ für Anwendungen im Bereich des ökologischen Bauens geeignet ist. Der Baustoff geht nämlich nur mit sehr wenig Embodied Carbon einher und weist außerdem eine negative CO₂-Bilanz auf. Das heißt, dass Hanfbeton mehr CO₂ bindet, als er abgibt. Auch recycelte und wiederverwendbare Baustoffe können einen Beitrag zur Reduzierung von Embodied Carbon leisten.
Andererseits verleitet die Cradle-to-Gate-Messmethode dazu, klimafreundlicheres Bauen zu kurz zu denken. Es ist nämlich nicht damit getan, hier und da Materialien mit weniger Embodied Carbon zu verwenden, aber ansonsten im selben Ausmaß weiterzubauen. Graue Emissionen entstehen schließlich nicht nur im Bereich der Materialien. Daher verweist die Deutsche Bauzeitschrift (DBZ) auf die Notwendigkeit, graue Emissionen systematisch zu reduzieren. Das schließt sämtliche mit einem Gebäude verbundene CO2-Emissionen ein, die im Rahmen von Ökobilanzen erfasst werden. Die Grundlage dafür sind Umweltproduktdeklarationen (EPDs).
Mithilfe solcher EPDs können für jedes Bauprojekt Optimierungspotenziale aufgedeckt werden. Beispielsweise kann man dadurch verschiedene Arten von Wandaufbauten auf ihre jeweiligen CO2-Fußabdrücke miteinander vergleichen und die klimafreundlichere Variante wählen.
Auch plädieren Expert:innen grundsätzlich dafür, weniger zu bauen, um Embodied Carbon zu reduzieren. Anstelle Häuser abzureißen und neu zu errichten, sollte man sie sanieren. Das würde im Vergleich zum Neubau deutlich klimafreundlicher sein, da bei einer Sanierung das Grundgerüst bereits besteht und deswegen weniger neue Rohstoffe notwendig sind.
Fazit: Embodied Carbon muss betrachtet werden
Die Berücksichtigung von Embodied Carbon erweitert die Perspektive auf die immensen Auswirkungen, die das Bauen auf die Umwelt und das Klima hat. Es zeigt sich dabei jedoch auch, dass im Bausektor bislang noch deutlich zu wenig unternommen wurde, um die Emissionen zu reduzieren. So müssen sich Menschen dessen bewusst sein, dass es nicht ausreicht ein neues Haus nach modernsten energetischen Standards zu bauen und somit den Betriebsendenergieverbauch zu senken. Gleichzeitig müssen auch die grauen Emissionen genauer in den Blick genommen werden. Und diese besagen: Statt neu zu bauen, ist es noch klimafreundlicher, Bestehendes zu sanieren.
Das verlagert den Fokus auf einige Grundprinzipien der Nachhaltigkeit: Langlebigkeit, Kreislauffähigkeit und Wiederverwendbarkeit. Auch in Zusammenhang mit anderen emissionsintensiven Bereichen macht die Betrachtung von Embodied Carbon daher Sinn. Zwar werden die grauen Emission am meisten mit dem Bauwesen in Verbindung gebracht. Jedoch gibt es Ansätze, sie auch im Zusammenhang mit Lebensmitteln und dem Verkehrswesen zu beachten. Im Lebensmittelsektor betrifft dies etwa Emissionen aus der Energieversorgung von Produktionsstätten. Im Verkehrsbereich stellt sich die Frage, ob es nicht ökologisch sinnvoller ist, Straßen besser instand zuhalten anstatt ständig neue Straßen zu bauen.
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