Die Gaia-Hypothese ist für manche esoterischer Unsinn – für andere brachte sie einen entscheidenden Umbruch in den Geowissenschaften. Wir erklären dir, was sich hinter der Gaia-Hypothese verbirgt.
Gaia ist in der griechischen Mythologie eine der frühesten Göttinnen. Sie ist die Erde in Person. Für den Chemiker James Lovelock ist die Erde vielleicht keine Person, aber zumindest eine Art Lebewesen, ein großer Organismus. Diese Hypothese stellte er in den 1970er Jahren zusammen mit der Mikrobiologin Lynn Margulis auf und nannte sie „Gaia-Hypothese„.
Gaia-Hypothese aus Beobachtungen der Erdgeschichte
Den beiden Wissenschaftler:innen war aufgefallen, dass sich bestimmte Parameter auf der Erde über hunderte Millionen Jahre hinweg nur wenig verändert haben. Dazu gehören:
- der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre
- der Salzgehalt der Ozeane
- die Temperatur der Erdoberfläche
Daraus folgerten Lovelock und Margulis, dass Verbindungen zwischen allen lebendigen und leblosen Bestandteilen der Erde bestehen, die diese Parameter in einem für die Erdlebewesen günstigen Gleichgewichtszustand halten.
Die Gaia-Hypothese am Beispiel der Daisyworld
Um die abstrakte Gaia-Hypothese zu veranschaulichen, entwickelte Lovelock das Computermodell der „Daisyworld“. Daisyworld ist ein erdähnlicher Planet, dessen Oberfläche ausschließlich mit weißen und schwarzen Gänseblümchen bedeckt ist. Die Gänseblümchen können in einem begrenzten Temperaturbereich wachsen – optimal sind 22 Grad. Die notwendige Wärme kommt wie auf der Erde auch von einer Sonne.
Im Modell der Daisyworld kann man nun beispielsweise untersuchen, wie sich die Temperatur auf dem Planten verhält, wenn die Leuchtkraft der Sonne stetig zunimmt.
- Am Anfang ist die Sonne schwach und Daisyworld ist ausschließlich von schwarzen Gänseblümchen bewachsen. Da sie dunkler als die weißen Gänseblümchen sind, reflektieren sie weniger Sonnenlicht und nehmen stattdessen mehr Sonnenlicht auf.
- Dies hat zur Folge, dass der Planet sich langsam aufheizt.
- Je wärmer es jedoch wird, desto größer wird der Anteil der weißen Gänseblümchen. Sie kühlen den Planeten eher ab, da sie einen großen Teil des Sonnenlichts reflektieren.
Diese Wechselbeziehung (genauer gesagt eine negative Rückkopplung) zwischen den Gänseblümchen hat zur Folge, dass die Temperatur auf dem Planeten lange relativ konstant bei 22 Grad bleibt – obwohl die Leuchtkraft der Sonne stetig zunimmt. Daisyworld funktioniert also als ein zusammenhängendes System, das sich über einen langen Zeitraum selbst erhalten kann, bis die Sonne zu stark wird.
Gaia-Hypothese auf der Erde: Wie die Biosphäre das Klima beeinflusst
Unsere Erde ist weitaus komplexer als Daisyworld. Dennoch lässt sich auch hier anhand verschiedener Beispiele feststellen, dass die Biosphäre das Klima beeinflusst:
- Wenn es wärmer wird, breiten sich bestimmte Algen stärker aus. Diese produzieren Schwefelverbindungen, welche in der Erdatmosphäre das Wolkenwachstum begünstigen. Die Wolken wiederum reflektieren einen Teil des einfallenden Sonnenlichts und sorgen so für Abkühlung.
- Ozeane erhalten durch Flüsse und hydrothermale Quellen am Ozeanboden ständig Nachschub an Mineralien. Dennoch bleibt der Salzgehalt der Ozeane konstant. Dies liegt einerseits daran, dass sich immer wieder Mineralien am Ozeanboden ablagern. Doch auch einige Mikroorganismen entziehen dem Meerwasser Mineralien.
- Pflanzen regulieren durch ihre Photosynthese den CO2-Gehalt der Atmosphäre und somit auch die Temperatur. Wenn der CO2-Gehalt in der Atmosphäre und damit auch die Temperatur steigt, können in den mittleren und hohen Breiten mehr Pflanzen wachsen. Mehr Pflanzen verbrauchen jedoch auch mehr CO2. Folglich sinkt der CO2-Gehalt in der Atmosphäre wieder und es wird kühler.
Diese Beispiele zeigen, dass es auf der Erde ähnliche Rückkopplungen gibt wie in Daisyworld. Allerdings ist dies nur ein winziger Ausschnitt der sehr komplexen Beziehungen auf unserer Erde. Reichen die Beispiele aus, um die Gaia-Hypothese zu bestätigen?
Kritik der Gaia-Hypothese
Lange galt: Die Gaia-Hypothese war unter Esoteriker:innen beliebt, wurde von Wissenschaftler:innen jedoch belächelt. Umstritten ist die Hypothese nach wie vor. Sie lässt sich zwar an einfachen Beispielen wie der Daisyworld veranschaulichen. Die Erde ist jedoch so komplex, dass es unmöglich scheint, die Gaia-Hypothese eindeutig zu be- oder widerlegen. Die folgenden zwei Beispiele zeigen, wie unterschiedlich man die Gaia-Hypothese betrachten kann:
- Der Ökologe Ludwig Trepl leugnet nicht, dass es auf der Erde zahlreiche Rückkopplungsprozesse zwischen der Biosphäre und den anderen Bestandteilen des Erdsystems gibt. Er stört sich jedoch an der Vorstellung, die Erde sei ein „Organismus“, also ein „Lebewesen“. Er vergleicht die Regulationsmechanismen auf der Erde mit denen in Lebewesen und stellt fest, dass es zwischen den beiden Unterschiede gibt. Wenn sich äußere Umstände ändern, passt sich ein Lebewesen aktiv an, um zu überleben. Beispielsweise halten Warmblüter ihre Körpertemperatur konstant. Eine Tier- oder Pflanzenpopulation verändert sich jedoch, wenn beispielsweise die Temperatur in der Region ansteigt – sie bleibt nicht in einem konstanten Gleichgewichtszustand. Trepl sieht nur wenige Beispielfälle, in denen mehrere Lebewesen eine Art Superorganismus bilden. Beispielsweise halten Bienen die Temperatur in ihrem Bienenstock über einen weiten Bereich konstant. Aus Trepls Sicht sorgt nicht die Erde als Ganzes dafür, dass überall auf der Erde Lebewesen perfekt an ihre Umgebung angepasst sind – sondern die Evolution.
- Widerlegen diese Argumente die Gaia-Hypothese? Das kommt darauf an, wie streng man sie auslegt. Wenn man sich auf den Begriff des „Lebewesens“ versteift, ist die Gaia-Hypothese möglicherweise nicht haltbar. Anders sieht es aus, wenn man stattdessen beispielsweise vom „System“ Erde spricht. Laut der Wissenschaftsjournalistin Nadja Podbregar hat die Gaia-Hypothese dazu beigetragen, dass Geo- und auch Klimawissenschaftler:innen heutzutage zunehmend die Erde als Ganzes und die vielen Rückkopplungsmechanismen zwischen den verschiedenen Sphären betrachten.
Gaia-Hypothese und Klimawandel – geht das zusammen?
Angesichts des Klimawandels könnte die Gaia-Hypothese beruhigend wirken. Wenn die Erde sich als Lebewesen selbst erhält, kann uns doch nichts passieren? Doch selbst wenn die Gaia-Hypothese zutrifft: Lebewesen können krank werden. Der Wissenschaftsforscher Peter Finke schreibt, dass wir Menschen die Erde gewissermaßen krank machen.
Etwas weniger nebulös formuliert: Wir Menschen stören zum Teil die Regulationsmechanismen der Erde. Beispielsweise verhindern wir durch Waldrodung, dass Wälder sich ausbreiten, um den gestiegenen CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu kompensieren. Zudem zeigt Daisyworld, dass die Gänseblümchen die Temperatur zwar konstant halten können, jedoch nur über einen gewissen Zeitraum. Irgendwann wird die Sonne zu stark.
Auf der Erde könnte man analog möglicherweise die verschiedenen Kipppunkte des Klimasystems sehen. Werden diese überschritten, kommen irreversible Veränderungen in Gang. Beispielsweise tauen im Zuge der Klimaerwärmung zunehmend die Permafrostböden auf und lassen CO2 und Methan freiwerden. Dadurch wird es noch wärmer, noch mehr Permafrost taut auf und so weiter.
Davon ganz abgesehen heißt „Selbsterhaltung“ der Erde als Ganzes nicht zwangsläufig, dass jede einzelne Art bestehen bleibt. Einige Wissenschaftler:innen warnen bereits vor dem baldigen Aussterben der Menschheit. Die Gaia-Hypothese ist also in keinem Fall eine Ausrede für weitere Treibhausgasemissionen.
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