Der Online-Handel mit Lebensmitteln und Lieferdiensten boomt. Neue Dienste erobern den Markt und wollen sich eine Monopolstellung erkämpfen. Besonders das Berliner Start-up Gorillas sticht in den vergangenen Monaten heraus. Doch das Unternehmen steht zuletzt oft in der Kritik.
Lebensmittel-Lieferung in zehn Minuten, zu Supermarkt-Preisen – das ist das Versprechen von Gorillas. Das junge Berliner Start-up will dies künftig durch eine Smartphone-App bieten und die neue Anlaufstelle sein für bequeme Menschen und solche, die wegen der Corona-Pandemie Supermärkte meiden. Schon jetzt hat Gorillas Streit mit Anwohner:innen, Mitarbeiter:innen und ist nicht nachhaltig.
Die zwei Berliner Unternehmer Jörg Kattner und Kagan Sümer gründeten Gorillas im März 2020. Nach wenigen Monaten wurde der Unternehmenswert von Gorillas auf über eine Milliarde Dollar beziffert. Trotz starker Lieferservice-Konkurrenz wie Flink, Bringoo oder etablierten Namen wie Rewe oder Amazon will das Unternehmen weitere Marktanteile erobern und steckte zuletzt 244 Millionen an Investorenbeträgen ein.
Viel davon floss ins Wachstum und die internationale Expansion. Mittlerweile arbeiten über 800 Menschen bei Gorillas, das Start Up ist in 15 deutschen Städten wie Berlin, Köln, Frankfurt, Hamburg, Stuttgart und München mit dem Fahrrad unterwegs. Die Lieferdienst-Affen expandierten bereits nach Großbritannien, Frankreich und die Niederlande.
Convenience hat ihren Preis
Gorillas stand zuletzt vor allem bei vielen standortsansässigen Bewohner:innen und wegen fragwürdiger Arbeitsbedingungen in der Kritik. Das Lieferversprechen hinter Gorillas klingt sehr verlockend: 1,80 Euro Liefergebühr, nur zehn Minuten warten, dann klingelt es an der Haustür. Wer sich eine so schnelle Lieferzeit auf die Fahne schreibt, muss logistisch einiges leisten.
Abhilfe schaffen lokale Verteilerzentren, die oftmals mitten in den beliebten Kiezen wie Berlin-Prenzlauer Berg, Hamburg-Sternschanze oder im Münchener Glockenbachviertel stehen. Der Liefer- und Warteverkehr der zahlreichen Fahrradkuriere („Riders“) sorgt zudem für soziale Spannungen und Lärmbeschwerden seitens von Anwohner:innen.
Durch den laufenden Betrieb entsteht eine Dauer-Lagerzone, der Bürgersteig wird für gewerbliche Zwecke ausgenutzt und das im sowieso schon engen öffentlichen Raum. Hinzu kommt das Gefahrenpotential für den Verkehr – inklusive Probleme beim Einhalten des gebotenen Abstandes während der Corona-Pandemie.
In Friedrichshain musste bereits nach erfolgreicher Klage vieler Anwohner:innen ein Standort schließen. Doch das Unternehmen sorgt noch in anderen Punkten für Kritik.
Schlechte Arbeitsbedingungen und Datenleck bei Gorillas
Erst im Februar verkündete Gorillas, nicht mehr sonntags zu liefern. Eine Entscheidung allein aus dem Grund, um nicht mehr gegen geltende Gesetze zu verstoßen. Der Verdienst der Riders liegt bei 10,50 Euro pro Stunde und damit ein Euro über dem Mindestlohn. Mitte Februar streikten diese an einzelnen Standorten aufgrund des extremen Schnee-Wetters.
Erst verlängerte Gorillas die Lieferzeit auf 20 Minuten, um nach ausreichend Druck von innen und außen den Betrieb in Berlin schließlich für eine ganze Woche einzustellen. Außerdem wird vereinzelt über schlechte Ausstattung und Ungleichbehandlung der Mitarbeiterschaft geklagt.
Einen kritischen Blick auf das Unternehmen will das Gorilla Workers Collective werfen (bis zum 20. Mai noch unter dem Namen Riders United Gorillas).
Zuletzt gab es eine Sicherheitslücke im App-System von Gorillas, wodurch etliche Bestelldaten und tausende sensible persönliche Daten im Internet abrufbar waren. Dazu gehörten auch Fotos von Klingelschildern und Hauseingängen. Die Lücke soll laut Gorillas mittlerweile wieder geschlossen sein.
Darum ist Gorillas nicht nachhaltig
Zu den sozial fragwürdigen Bedingungen und den Datenschutz-Bedenken gesellt sich der Einfluss von außen. Denn wo Geld reingepumpt wird, wird Druck aufgebaut. Durch rasantes Wachstum soll ein rentables Geschäftsmodell auf die Beine gestellt werden. Fragt sich nur, wer neben den Investoren dafür die Kosten trägt.
Gorillas ist neben den zahlreichen Supermarktketten und Lieferdiensten nun noch ein weiterer Player, der den Konkurrenzkampf um Lebensmittel des täglichen Bedarfs weiter verschärft. Gorillas dringt mit aller Macht und mit Kampfpreisen in diesen Markt. Preise auf Supermarkt-Niveau, eine Lieferung unter zehn Minuten bei einer Gebühr von gerade einmal 1,80 Euro: Das wird auf Dauer nicht rentabel sein.
Die gleichen Konditionen bietet übrigens auch Flink. Dadurch entsteht ein enormer, durch Millionenbeträge finanzierter Konkurrenzkampf, der eher an eine Finanzierungs-Blase im aggressiven Gerangel ums Monopol als an ein nachhaltiges Geschäftsmodell erinnert. Unter dem Druck dieses Geschäftsmodells leidet der soziale Frieden in Großstädten, unter den Lieferversprechen vor allem Mitarbeiter:innen und Anwohner:innen.
Utopia meint: Moderne Lebensmittel-Lieferanten wie Gorillas oder Flink fördern den „Convenient-Lifestyle“, das Selbstverständnis, alles bequem per Smartphone-App zu bekommen. Dadurch gehen die Wertschätzung und Auswahl von Lebensmitteln sowie die Empathie für die betriebene Logistik ein Stück weit verloren. Unsere Beziehung zu Lebensmitteln entfremdet sich noch mehr. Wir machen unsere Kaufentscheidung von digitalen Symbolbildern in der App abhängig und legen die Auswahl von Lebensmitteln in die Hand der Lieferdienste.
Wer Wert auf möglichst wenig Verpackungsmaterial legt, hofft vergebens. Der Einkauf wird zwar in einer Papiertüte geliefert, Gemüse bleibt aber gerne mal in Plastikverpackungen.
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Alles in allem klingt das Versprechen von Gorillas überaus verlockend und trifft gerade inmitten der Corona-Pandemie einen Nerv. Für den schnellen Notfall-Einkauf durchaus mal geeignet, ist es fraglich, ob sich Start Ups Gorillas dauerhaft etablieren können. Ein zukunftstaugliches Geschäftsmodell und nachhaltiges Wirtschaften sehen anders aus.
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