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„Es passiert wahnsinnig viel im Hintergrund“

Fotos: © aerogondo - Fotolia.com; Alexandra Caterbow

Ständig hört man, dass Konferenzen – zuletzt etwa die UN-Klimakonferenz irgendwie “nichts bringen” würden. Ist das wirklich so? Utopia sprach mit der Chemikalienpolitikexpertin Alexandra Caterbow über UN-Konferenzen zur Schadstoffregulierung – und über Menschen, die uns vergiften wollen.

Utopia.de: Frau Caterbow, wie kommt man eigentlich dazu, an UN-Konferenzen teilzunehmen?

Alexandra Caterbow: Gute Frage. Ich zum Beispiel arbeite für das internationale Umwelt-, Frauen- und Gesundheitsnetzwerk WECF, Women in Europe for a Common Future. Als NGO setzen wir uns in vielen internationalen Prozessen für die bessere Regulierung von gefährlichen Chemikalien weltweit ein. Die Verhandlungen dazu finden in eben besagten internationalen Konferenzen statt. Als akkreditierte Stakeholder vertreten wir die Zivilgesellschaft, auf ähnliche Weise nehmen auch Industrievertreter und Wissenschaftler teil.

UN-Konferenzen zum Thema Klima kennen alle, niemand scheint die UN-Chemikalien-Konferenzen zu kennen.

Das Thema Klima steht in der Umweltpolitik ganz oben auf der Agenda. Es betrifft alle, ist spürbar und daher leichter zu vermitteln. Gletscherschmelze, steigende Wasserspiegel und Klimaerwärmung kann man mit Bildern besser sichtbar machen. Und während auf einer Klimakonferenz mehrere Tausend Teilnehmer tagen, sind es auf einer Chemikalienkonferenz nur etwa Tausend.

Warum ist das Thema trotzdem wichtig für uns?

Zum einen, weil Deutschland die zweitgrößte Chemieindustrie der Welt hat. Zum anderen, weil es uns direkt betrifft: Persistente, also langlebige Chemikalien, sind überall. Auch dort, wo wir sie nicht vermuten, an Orten unseres Alltags und sogar in unseren Körpern. Und manche bleiben dort. Dieses Bewusstsein ist in großen Teilen der Bevölkerung noch nicht angekommen, auch wenn unsere Arbeit Schritt für Schritt dazu beiträgt.
Schädliche Stoffe müssen verboten werden. Dafür setzen wir uns auf diesen Konferenzen ein. Solange es aber noch zu viele dieser Stoffe gibt, kann man sich nur schützen, indem man zum Beispiel bei Nahrung möglichst Bioware kauft und oder Fertiggerichte meidet. Auch sollte man von seinem Auskunftsrecht Gebrauch machen: Jeder EU-Bürger kann verlangen, dass man ihm verwendete besorgniserregende Stoffe offenlegt. In der Praxis haben die Hersteller dafür allerdings 45 Tage Zeit, so dass das in der Praxis natürlich nur Wenige tun.

Worum geht es nun auf einer solchen UN-Konferenz zu Chemikalien?

Es geht zum Beispiel um das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe. Das ist eine Liste von inzwischen 30 verbotenen Chemikalien. Wer die Stockholm-Konvention ratifiziert hat, verpflichtet sich, die gelisteten Stoffe nicht zu produzieren oder zu verwenden. Wenn wir also eine giftige Chemikalie aus der Welt schaffen wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass sie in diese Liste aufgenommen wird. Dazu dient zum Beispiel eine solche UN-„Giftkonferenz“.

Naja, wenn etwas giftig ist, sind ja sicher alle dafür, dass es verboten wird…

Schön wär’s. Nehmen wir mal das Flammschutzmittel HBCD. Das ist nachweislich schädlich und baut sich nicht ab. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt sah alles ganz gut aus: Man hatte den Stoff 2008 in der EU auf die Liste der „besorgniserregenden Stoffe“ aufgenommen und alle Teilnehmer auf der Stockholm Konvention 2013 waren mehr oder weniger der Meinung, dass man diesen Stoff nun international verbieten könne.
Doch dann tauchte plötzlich ein EU-Vorschlag auf, nämlich eine Ausnahme für die Verwendung von HBCD in Dämmmaterial bis 2024 zu machen. Warum? Weil es in der EU ab 2018 verboten ist. Doch mit einer solchen Ausnahme in der Stockholm-Konvention kann die Herstellung dieser Stoffe noch ein paar Jahre ins Ausland verlagert werden, etwa nach Afrika.

Wehren die sich nicht?

Bei vielen Nationen ist es so, dass sie personell keine besonders großen Kapazitäten haben. Da fahren dann auch politische Vertreter zu diesen Konferenzen, die nicht viel Ahnung haben, auf was sie sich einlassen beziehungsweise gegen was sie sich besser wehren sollten. In solchen Fällen muss man dann geschickt taktieren, um sie davon zu überzeugen, in eine bestimmte Richtung zu stimmen.
Viele Entwicklungsländer sind zum Beispiel ziemlich verärgert über die EU, die sich gerne so darstellt, als wäre hier alles in bester Ordnung. Wenn man ihnen dann klarmacht, dass ein solcher Vorschlag bedeutet, dass all das giftige Zeug nicht mehr in der EU, sondern in ihren Heimatländern produziert werden soll, dann leuchtet ihnen das ein.

Darf man das denn so offen aussprechen?

Informell schon, aber öffentlich auf keinen Fall. Es hat sich eine extrem überhöfliche UN-Sprache entwickelt. Umfangreiche Floskeln verbrämen, was eigentlich gesagt werden soll. Staaten zum Beispiel, die, sagen wir, etwas falsch machen, werden fast nie namentlich erwähnt. Stets spricht man allgemein davon, dass die Teilnehmer doch bitte in Erwägung ziehen mögen, dieses oder jenes zu tun. Und das geht auch nicht anders. Man muss sich klarmachen, dass da zum Beispiel Delegierte von verfeindeten Ländern zusammenarbeiten müssen. Da gibt es genug Konflikte; daher ist es wirklich wichtig, ausgesucht respektvoll miteinander umzugehen.

Was muß man eigentlich verbieten?

Vieles. Nehmen wir Asbest. Immer noch ist Asbest unter den Top Fünf der am Arbeitsplatz verursachten Todesfälle. Die gute Nachricht: Wir waren kurz davor, Asbest auf die Liste der Rotterdam-Konvention zu bekommen, die zwar kein direktes Verbot bedeutet, doch zumindest Staaten die Möglichkeit gibt, einen Import abzulehnen. Selbst Länder wie die Ukraine und Kasachstan, die Asbest in Minen fördern und damit Geld verdienen, zeigten Einsicht.
Die schlechte Nachricht: Nachdem alle zustimmten, erhob plötzlich Kanada Einspruch und machte damit den ganzen Fortschritt zunichte. Das war übrigens einer jener seltenen Fälle, wo die UN-Sprache dann tatsächlich ein Land namentlich rügte. Für uns bedeutete das einen herben Rückschlag und die Arbeit von zwei Jahren war plötzlich umsonst. Wir werden jetzt weiterhin viel Kraft und Engagement aufwenden müssen, um wieder an diesen Punkt zu kommen. Jedes Jahr Verzögerung bedeutet mehr Asbesttote.

Wenn ich mir das so anhöre, gibt es offenbar tatsächlich Menschen, die das Verbot eines Giftstoffes verhindern wollen, also dafür sind, die Welt zu vergiften. Tun die das wider besseres Wissen?

Ja. Dazu eine Anekdote einer Konferenz in Bali. Die Damentoilette hatte keine Fenster, und die Toilettenfrau versprühte daher ununterbrochen künstliche Duftstoffe. Eine Konferenzteilnehmerin war davon völlig entsetzt und beschwerte sich darüber, dass das ja so ungesund sei. Was übrigens stimmt: viele Duftstoffe sind sehr ungesund. Nur stellte sich die gleiche Dame eben während der Konferenz gegen das Verbot ähnlich gefährlicher Stoffe.
Es gibt durchaus auch andere. Die müssen zwar die Linie ihres Landes und ihrer Regierung vertreten. Das tun sie aber zuweilen so, dass sie sich eben nicht durchsetzen. Mit Absicht. Einige warten sozusagen nur darauf, dass wir gute Argumente auffahren, denen sie nicht erfolgreich widersprechen können.

Wird auch Druck gegen NGOs ausgeübt?

Viele NGOs nagen ja am Hungertuch, auch das ist eine Form von Druck. Selten gibt es auch Drohbriefe. Es sind auch schon NGO-Mitarbeiter verschwunden, etwa in Ländern wie Brasilien. Da sind wir als Deutsche deutlich geschützter.
Nehmen wir noch einmal das Beispiel Asbest. Auf einigen Konferenzen erscheinen immer wieder zwei unangenehme Typen von der russischen Asbestindustrie, die während Konferenzen auch gerne mal mit Plastik-Maschinengewehren auf andere zielen oder auf Pornoseiten surfen. Die stellen sich gerne breitbeinig vor mir auf und fotografieren mein Gesicht. Einfach so, um mich ein bisschen einzuschüchtern.

Da fragt man sich doch: Bringt das alles überhaupt was?

Ja. Selbst wenn die Medien nach einer Konferenz darüber klagen, dass nichts passiert sei, so stimmt das nicht ganz: Es werden wichtige Kontakte geknüpft, viele andere relevante Themen besprochen und größere Projekte angestoßen. Es wird über Geld diskutiert und wo es sinnvoll hinfließen könnte. Es passiert wahnsinnig viel im Hintergrund.
Vor allem die Nebengespräche setzen viel in Bewegung. Wir als NGOs suchen ständig Verbündete, die unseren Forderungen mehr Gewicht verleihen. Die Kunst ist dann zum Beispiel, einflussreiche Personen aus Politik oder Wissenschaft zu finden und dazu zu bringen, diesen Standpunkt zu vertreten. Und das gelingt regelmäßig.
Was man ebenfalls nicht sieht, ist, wie vor und während einer Konferenz neue Punkte auf die Agenda gesetzt werden. Die werden dann vielleicht nicht mehr auf dieser Konferenz ausgehandelt, aber dafür eben auf der nächsten. Dass deren wichtigste Themen dann aus solchen Nebengesprächen kamen, dass weiß dann keiner mehr. Agenda-setting ist daher enorm wichtig und ein typischer, unsichtbarer Erfolg.
Es ist nicht so, dass wir nicht auch manchmal frustriert wären und uns fragen: Was haben wir eigentlich erreicht? Wir müssen uns dann eine andere Frage stellen: Was wäre gewesen, wenn wir nicht da gewesen wären? Zum Beispiel konnten wir oft Ausnahmeregelung vermeiden. Wenn es uns gelingt, aus 30 Ausnahmen für eine giftige Chemikalie 15 Ausnahmen zu machen, oder wenn sich einige Länder gar nicht mehr trauen, weitere Ausnahmen überhaupt einzufordern, weil wir NGOs mit im Raum sitzen, dann haben wir schon sehr viel geschafft.

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