Kalte Progression heißt vereinfacht gesagt, dass du dir trotz einer Gehaltserhöhung weniger leisten kannst als zuvor. Schuld daran sind Steuerprogression und Inflation. Wir erklären dir, wie kalte Progression zustande kommt.
Das Bundesfinanzministerium definiert kalte Progression als den „Anstieg des durchschnittlichen Steuersatzes der Einkommensteuer […], der auf Lohn- und Gehaltserhöhungen zurückzuführen ist, die lediglich den Preisanstieg (Inflation) ausgleichen“. Kalte Progression (auch: fiskalische Dividende) bezeichnet also eine Steuermehrbelastung, die entsteht, wenn bei einer Inflation zwar die Einkommen, nicht aber die progressiven Einkommensteuersätze angepasst werden. So ist es möglich, dass sich eine steuerpflichtigen Person trotz Lohnerhöhung am Ende weniger leisten kann, da die Steuerlast im Zusammenspiel mit Inflation die Kaufkraft schrumpfen lassen.
Angesichts der aktuellen Preissteigerungen ist das Thema präsenter denn je. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes erreichte die Inflationsrate im Mai 2022 einen neuen Höchststand seit der Ölkrise von 1973/1974. Grund dafür seien vor allem der Krieg gegen die Ukraine sowie die Folgen der Corona-Pandemie, die Energiepreise in die Höhe trieben. Das bedeutet letztlich auch, dass Energie- und Nahrungsmittelpreise für Verbraucher:innen teurer werden. Wie die Inflation letztlich mit einer kalten Progression zusammenhängt, erklären wir dir im folgenden Abschnitt.
Normale Progression vs. kalte Progression
Um besser zu verstehen, wie kalte Progression funktioniert, musst du zunächst wissen, was „Progression“ im Steuerkontext allgemein bedeutet. Als normale Progression oder Steuerprogression werden die progressiv gestaffelten Einkommensteuersätze bezeichnet. Das bedeutet, die Steuersätze steigen in einem bestimmten Verhältnis zum Einkommen an. Wer mehr Geld verdient, muss in Deutschland auch mehr Steuern zahlen.
Diese Steuerprogression verläuft allerdings nicht linear, sondern steigt vor allem im unteren und mittleren Einkommensbereich stark an, während die Kurve im Bereich der Spitzenverdiener abflacht. Wie der Lohnsteuerhilfeverein VLH angibt, liegt der Grundfreibetrag für das Jahr 2022 in Deutschland bei 9.984 Euro, im Laufe des Jahres wurde er dann sogar auf 10.347 Euro erhöht. Überschreitest du mit deinem Einkommen diesen Freibetrag, musst du Einkommensteuer zahlen, die zwischen einem Grenzsteuersatz von 14 Prozent und einem Spitzensteuersatz von 42 Prozent (ab 58.597 Euro jährlich) verläuft. Darüber hinaus bleibt der Steuersatz konstant und steigt erst wieder ab einem Jahreseinkommen von 277.826 Euro um 3 Prozentpunkte auf 45 Prozent an, was als sogenannte Reichensteuer bekannt ist.
Wichtig für das Verständnis ist zudem, zwischen Nominal- und Realeinkommen zu unterscheiden. Das Nominaleinkommen bezeichnet die Höhe deines Einkommens, während das Realeinkommen deine tatsächliche Kaufkraft beziffert, also was du dir angesichts der stetig steigenden Preise für Produkte und Dienstleistungen (Inflation) tatsächlich leisten kannst.
Das Problem: Nettoeinkommen steigt weniger stark als Bruttoeinkommen
Ein Beispiel soll das Problem der erhöhten Steuerbelastung durch kalte Progression verdeutlichen: Wenn eine Person X mit mittlerem Einkommen beispielsweise eine Gehaltserhöhung von 3 Prozent erhält, geht sie womöglich in einen höheren Steuersatz über und muss prozentual mehr Steuern abführen. Im Gegensatz zum Bruttogehalt steigt das Nettogehalt damit um weniger als 3 Prozent an.
Gleichzeitig steigt die Inflationsrate Jahr für Jahr. Nach Angaben der Statistischen Bundesamtes lag diese im Januar 2021 bei einem Prozent, im Dezember 2021 bei 5,3 und im Mai 2022 bei 7,9 Prozent. Je nachdem, wie hoch die Inflationsrate ist, kann die Gehaltserhöhung womöglich nur die gestiegenen Lebenshaltungskosten ausgleichen oder diese nicht einmal auffangen. Gleichzeitig muss Person X aber aufgrund des gestiegenen Bruttoeinkommens mehr Steuern abtreten. Damit sinkt die Kaufkraft von Person X, was einem realen Einkommensverlust gleichkommt.
Um eine kalte Progression zu verhindern, müsste der Arbeitgeber daher die Inflationsrate bei einer Gehaltserhöhung mitberücksichtigen. Wie bereits angemerkt, sind vor allem Personen mit geringem und mittlerem Einkommen von der kalten Progression betroffen, da der Steuersatz nach dem Grundfreibetrag zunächst steil ansteigt. Das bedeutet, dass das Nettoeinkommen vor allem im unteren Einkommensbereich sehr viel langsamer wächst als das Bruttoeinkommen. Im Bereich der Spitzenverdiener flacht die Kurve wieder ab, sodass Personen ab einem Spitzensteuersatz von 42 Prozent deutlich weniger von der kalten Progression spüren.
Kalte Progression im engeren und im weiteren Sinne
Von einer kalten Progression im engeren Sinne ist die Rede, wenn der Einkommensteuersatz lediglich am Nominaleinkommen festgemacht wird und die Inflation (und damit das Realeinkommen) außer Acht gelassen wird. So kann es passieren, dass dein Einkommen steigt, du dir am Ende aber durch die Inflation und die höhere Besteuerung weniger leisten kannst.
Daneben gibt es auch kalte Progression im weiteren Sinne. Diese bezieht sich auf die allgemeine Einkommensentwicklung in der Bevölkerung: Wird der Einkommensteuersatz nicht an das durchschnittlich steigende Einkommen angepasst, gelangen immer mehr Menschen in höhere Steuerklassen. Infolge der kalten Progression im engeren Sinne führt das nicht zwangsläufig zu mehr Gehalt, sondern bedeutet vor allem mehr Steuereinnahmen für den Staat. Kalte Progression wird daher auch als heimliche oder schleichende Steuererhöhung bezeichnet.
Maßnahmen gegen kalte Progression und für mehr Steuergerechtigkeit
Die Auswirkungen der kalten Progression werden immer wieder scharf kritisiert und Steuerzahlende fordern regelmäßig, die Steuerpolitik entsprechend anzupassen. So würde es ausreichen, die Steuersätze jedes Jahr an die Inflationsrate anzupassen, wie dies in einigen anderen Ländern wie etwa den USA oder Frankreich übkich ist, erklärt die VLH.
Auch auf Bundesebene wird über mehr Steuergerechtigkeit diskutiert. Aktuelle Bestrebungen sind auf der Website des Bundesfinanzministeriums nachzulesen. Beispielsweise wurde für das Jahr 2022 der Grundfreibetrag erhöht, auch 2023 ist dies wieder der Fall.
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