Kinderarbeit bald wieder erlaubt? Was die Lieferkettengesetz-Reform bedeutet – und was wir tun können 

Freie Fahrt für Kinderarbeit? EU-Kommission will wichtige Gesetze verwässern
Foto: CC0 Public Domain - Unsplash/ Antoine Schibler, Jeffrey Riley (bearbeitet)

In der vergangenen Woche wurde die Abschwächung der EU-Lieferkettenrichtlinie beschlossen. Zuvor festgelegte ambitionierte Ziele im Bereich Menschenrechte und Umweltschutz stehen nun erneut auf der Kippe. Mit der gesetzlichen Lockerung bleiben Missstände in den Fabriken vieler Mode-Unternehmen weiter ungeahndet.

Das EU-Parlament hat am 13. November eine deutlich abgeschwächte Version der EU-Lieferkettenrichtlinie beschlossen. Die nötige Mehrheit erreichte die konservative Fraktion EVP auch durch Stimmen von rechten und rechtsextremen Fraktionen. Im Oktober hatte eine ebenfalls abgeschwächte Version, die mit Sozialdemokrat:innen und Liberalen erarbeitet wurde, im EU-Parlament keine Mehrheit gefunden. Das EU-Parlament, der Rat der EU und die Europäische Kommission werden nun regelmäßig in Trilog-Verhandlungen zusammenkommen, um bis Ende des Jahres eine politische Einigung zum Omnibusgesetz zu finden. Dieses Gesetz bündelt verschiedene Einzelgesetze und soll neben der Lieferkettenrichtlinie auch die Nachhaltigkeitsberichterstattung vereinfachen.

Doch was genau wurde abgeschwächt – und was hat das für Konsequenzen? Was ist mit dem Deutschen Lieferkettengesetz? Und was bewirken Lieferkettengesetze überhaupt? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Deutsches und EU-Lieferkettengesetz: Das ist der Unterschied

Seit dem 1. Januar 2023 gilt in Deutschland das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Hinter dem sperrigen Wort verbirgt sich der erste gesetzliche Rahmen, der Unternehmen dazu verpflichtet, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten entlang ihrer Wertschöpfungsketten zu achten. Mithilfe regelmäßiger Risikoanalysen und der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen sollen Arbeitsrechte geschützt und Verstöße minimiert werden: Die Kleidung in den Läden deutscher Einkaufsstraßen soll frei von Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Unterdrückung sein.

Auch in weiteren europäischen Ländern gibt es bereits nationale Lieferkettengesetze, wie z.B. in Frankreich und Norwegen. Kein Wunder also, dass auch auf EU-Ebene seit geraumer Zeit ein übergreifendes Gesetz diskutiert wird, das einen einheitlichen Rahmen für Unternehmen bieten soll. Bereits Ende 2023 einigten sich die EU-Kommission, der Europäische Rat und das Parlament darauf, ein EU-Lieferkettengesetz auf den Weg zu bringen. Im Mai 2024 wurde die entsprechende Lieferkettenrichtlinie, die CSDDD, beschlossen. Alle EU-Mitgliedsstaaten wurden somit verpflichtet, die Vorgaben innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umzusetzen. Für die deutsche Regierung bedeutet dies, alle über das 2023 umgesetzte Lieferkettengesetz hinausgehenden Regeln im nationalen Gesetz zu ergänzen. Nun wurde eine Abschwächung des EU-Gesetzes beschlossen.

EU-Lieferkettengesetz wurde abgeschwächt: Was bedeutet das?

Mit der neuen Positionierung zum Ominbus-1-Paket, welches das EU-Lieferkettengesetz deutlich abschwächen soll, fallen nicht mehr alle Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden unter die Richtlinie, sondern nur noch, wenn sie über 5.000 Menschen beschäftigen. Auch die Grenze des Jahresumsatzes wurde von 450 Mio. Euro auf 1,5 Mrd. Euro angehoben.

Somit würden nicht, wie bisher, ca. 5.200 deutsche Unternehmen abgedeckt sein, sondern lediglich ca. 150. Diese Unternehmen sind außerdem nicht mehr verpflichtet, Pläne zur Einhaltung von Klimaschutzzusagen vorzulegen.

Ausbeutung: Müssen Modeunternehmen haften?

Der ursprüngliche EU-Gesetzentwurf hatte eine zivilrechtliche Haftung vorgesehen. Werden in einem Produktionsbetrieb Kinderarbeit oder andere Rechtsverstöße festgestellt, wären Modelabels, die dort produzieren lassen, theoretisch haftbar. Sie müssten dann nachweisen, dass sie ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen sind – gelingt ihnen das nicht, könnten betroffene Arbeiter:innen vor EU-Gerichten Schadensersatz einfordern.

Sollte die Omnibus-Verordnung sich durchsetzen, wird diese Regelung jedoch wieder aus dem Gesetz gestrichen und Betroffene bleiben ohne juristische Handhabe. Auch im deutschen Lieferkettengesetz gibt es keine entsprechende Regelung.

Was bedeutet die Entscheidung für Textilarbeiter:innen?

Mit den Abmilderungen der gesetzlichen Pflichten bleibt die Frage, welche Verbesserungen bei den Bekleidungsarbeiter:innen letztendlich spürbar sind. Kinderarbeit, massive Überstunden, sexuelle Belästigung, fehlende Verträge – solche Arbeitsbedingungen sind und bleiben in Produktionsländern verboten. Trotzdem sind sie in Textilfabriken keine Seltenheit.

Mit der Einführung des EU-Lieferkettengesetzes haben Gewerkschaften in Bangladesch und weiteren Produktionsländern sowie deutsche Organisationen die Möglichkeit, durch Beschwerden auf Risiken und Missstände in den Fabriken aufmerksam zu machen. Doch wenn Unternehmen – wie bisher – keine Sanktionen zu fürchten haben, bleibt dieses Instrument wirkungslos.

Durch fehlende Bemühungen der Mode-Unternehmen, Licht in das komplexe Netz ihrer Wertschöpfungsketten zu bringen, bleiben Schlupflöcher für Arbeitsrechtsmissbräuche weiter bestehen. Und auch wenn sich die Sicherheit in vielen Fabriken seit dem Einsturz des Rana-Plaza-Fabrikgebäudes im Jahr 2013 verbessert hat, kommt es immer wieder zu Tragödien. Erst im Oktober kamen 17 Menschen in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, ums Leben, weil sie einem Brand in ihrer Fabrik nicht entfliehen konnten.

Wirkt das deutsche Lieferkettengesetz?

Seit dem 1. Januar 2024 gilt das deutsche Lieferkettengesetz auch für Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeiter:innen; im Jahr zuvor waren nur Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeiter:innen betroffen. Unternehmen sind verpflichtet, Risiken in ihren Lieferketten zu erkennen und Abhilfemaßnahmen umzusetzen. Zudem müssen sie einen funktionierenden Beschwerdekanal für die Menschen in ihren Lieferketten einrichten.

Aus einer von der Bundesregierung im Oktober veröffentlichten Beantwortung eines Fragenkatalogs der Fraktion Die Linke geht jedoch hervor, dass in 282 beschwerdebasierten Verfahren bis Ende August 2025 keine Verwarnungen ausgesprochen und keine Bußgelder verhängt wurden. Die von SPD und CDU im Koalitionsvertrag versprochene Abschwächung von Sanktionen scheint Wirkung zu entfalten und auch die angekündigte Abschaffung der Berichtspflicht wurde im September beschlossen.

Hoffnung der Arbeitsrechtler:innen war bislang, dass das Gesetz auf EU-Ebene einen Schritt weiter geht als das deutsche, mehr Unternehmen einbindet und Risiken minimiert. Mit der derzeitigen Aussicht auf eine Abschwächung auch auf EU-Ebene weist der gesetzliche Rahmen in Bezug auf Menschenrechte in der Lieferkette große Lücken und wenig Handlungsspielraum für Organisationen und Gewerkschaften auf.

Kritik an EU-Richtlinie: Verursacht sie zu viel Bürokratie?

Wie auch vor der Einführung des deutschen Lieferkettengesetzes, sprachen sich deutsche Wirtschaftsverbände gegen die Verschärfung der Gesetzeslage auf EU-Ebene aus. Im Gesamtverband textil+mode wird von Überregulierung und unzumutbarem bürokratischen Aufwand gesprochen. Die Industrie- und Handelskammer macht zudem auf den erhöhten Druck auf kleine und mittlere Unternehmen aufmerksam.

Doch die Verbände sprechen keineswegs für die gesamte Textilbranche. Outdoorbekleidungs-Anbieter Vaude sowie die Einzelhandelsunternehmen Tchibo und Otto gehören zu zahlreichen Befürworter:innen der CSDDD und sprechen sich deutlich für transparente Lieferketten und faire Arbeitsbedingungen aus. In den Augen der Verfechter:innen fördert eine starke Richtlinie Innovationen und bietet sichere Rahmenbedingungen, die Unternehmen langfristig international wettbewerbsfähig machen.

Was bringen Lieferkettengesetze für Verbraucher:innen?

Für Verbraucher:innen ist es schwierig, hinter die Fassade zu schauen und zu erkennen, ob Mode-Unternehmen wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen, um die Menschen, die ihre Kleidung herstellen, zu schützen. Gute Lieferkettengesetze können dabei helfen.

Mit dem deutschen Lieferkettengesetz waren Hersteller:innen etwa zeitweise verpflichtet, über Risikomanagement, Beschwerdemechanismen und Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu berichten. Diese Informationen sind öffentlich zugänglich und bieten interessante Einblicke. Ein paar Beispiele:

Der Textil-Discounter KiK berichtet in diesem Zusammenhang von 149 Beschwerdeverfahren in der eigenen Lieferkette im Jahr 2024, bei Einzelhändler Tchibo gab es im gleichen Jahr 81 Meldungen. Mode-Unternehmen Hugo Boss listet elf Beschwerdefälle, bei Outdoor-Anbieter Vaude waren es ebenfalls elf. Inhalt der Fälle waren neben Beschwerden zu Arbeitsbedingungen auch Fälle von Diskriminierung und Belästigung oder Verstöße gegen die Vereinigungsfreiheit.

Diese Daten sind für Verbraucher:innen nicht leicht auszuwerten. Doch Medienunternehmen oder zivilgesellschaftliche Organisationen wie FEMNET und die Clean Clothes Campaign können darauf zugreifen und die Öffentlichkeit informieren.

Eine ähnliche Berichtspflicht wie im deutschen Lieferkettengesetz wird auf EU-Ebene derzeit ebenfalls im Trilog diskutiert.

Aktiv werden für ein wirksames Lieferkettengesetz

Wer nicht nur informiert sein, sondern auch aktiv werden möchte, findet regelmäßig Petitionen und Aktionen, um Verantwortliche, wie Unternehmen und die Bundesregierung auf dringende Themen hinzuweisen.

Die Initiative Lieferkettengesetz übergab am 8. Oktober eine Petition mit über 210.000 Unterschriften für den Erhalt des Lieferkettengesetzes an das Kanzleramt. Nun stehen Trilog-Verhandlungen auf EU-Ebene an, die über die Ausgestaltung der EU-Richtlinie entscheiden. Hier soll mit weiteren Unterschriften Druck auf die Bundesregierung ausgeübt werden, damit sie ein wirksames Lieferkettengesetz in Deutschland und in Europa verteidigt.

Wer sich für eine nachhaltige Bekleidungsindustrie einsetzen möchte, findet derzeit auch bei Greenpeace eine Petition für ein Anti-Fast-Fashion-Gesetz, das Billigmode eindämmen und kreislauffähige Geschäftspraktiken wie Leihen, Reparieren und Secondhand fördern soll.

Auch mit unseren alltäglichen Konsumentscheidungen können wir – in begrenztem Maße – die Ausrichtung der Mode-Unternehmen beeinflussen. Um gute Kaufentscheidungen zu treffen, müssen wir uns informieren, Aussagen kritisch hinterfragen und uns nicht leichtfertig durch Greenwashing manipulieren lassen.

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