Mikroplastik durch Reifenabrieb: Wie groß das unsichtbare Problem ist

Autoverkehr
Foto. CC0 Public Domain / Pixabay - Bhavik Nasit

Mikroplastik belastet Böden, Flüsse und Meere – aber nicht Plastiktüten oder Verpackungen sind die Hauptquelle, sondern unsere Autoreifen: Bei jeder Fahrt lösen sich winzige Gummipartikel, die über Luft und Regen in die Umwelt gelangen. Der Reifenabrieb zählt weltweit zur größten Einzelquelle für Mikroplastik. Doch es gibt Hoffnungsschimmer: eine neue Abgasnorm sowie einen Reifenhersteller, der in Tests deutlich besser als die Konkurrenz abschneidet.

Dass Plastik in Meeren, Flüssen und Böden ein globales Umweltproblem ist, gilt seit Jahren als gesichert. Weniger bekannt ist jedoch, woher ein großer Teil der winzigen Kunststoffpartikel stammt: Autoreifen sind der Hauptverursacher – nicht etwa Bekleidung oder Plastikverpackungen.

Während uns Autos täglich von A nach B bringen, verlieren deren gummierte Räder unbemerkt winzige Rückstände an Material: ein kaum sichtbarer Abrieb, der sich letztlich auf eine riesige Menge summiert. In der EU entstehen laut Studien jährlich rund 500.000 Tonnen Reifenabrieb – in Deutschland geht laut ADAC ein Drittel aller Mikroplastik-Emissionen direkt auf das Konto der Reifen.

Mit rund 61 Millionen zugelassenen Kraftfahrzeugen in Deutschland (inklusive Pkw, Lkw und Bussen) nach Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) und weltweit rund einer Milliarde rollender Fahrzeuge überrascht das Ausmaß kaum. Dennoch blieb das Mikroplastikproblem bislang erstaunlich unbeachtet. Doch das ändert sich.

Warum Autoreifen so viel Mikroplastik verursachen

Reifenabrieb entsteht durch Reibung – an der Kontaktfläche zwischen Reifen, Fahrbahn und Schmutz. Besonders viel Abrieb entsteht bei Kurvenfahrten, häufigem Bremsen, schnell wechselnden Geschwindigkeiten, nasser Fahrbahn und bei hoher Fahrzeuglast.

E-Autosobwohl emissionsfrei unterwegs – verursachen häufig mehr Reifenabrieb, da sie durch ihre Batterien meist schwerer sind als vergleichbare Verbrenner. Expert:innen wie jene des ADAC bestätigen einen nahezu linearen Zusammenhang zwischen Fahrzeuggewicht und Reifenverschleiß.

Die abgelösten Partikel bestehen nach Angaben der TU Berlin nicht nur aus synthetischem Kautschuk. Es handelt sich vielmehr um ein Mischprodukt aus über 30 Substanzen – darunter neben Mikroplastik auch Zink, Cadmium, Blei und Weichmacher. Diese Stoffe sind biologisch kaum abbaubar und können sich in unseren Ökosystemen anreichern. Der englische Begriff „TRWP“ (Tyre and Road Wear Particles) beschreibt treffend, dass der Abrieb aus einer Mischung von Reifen- und Straßenmaterial besteht – und damit schwer zu kontrollieren ist.

Wohin Reifenabrieb gelangt und was es für die Umwelt bedeutet

Ein Großteil der beim Autofahren entstehenden Partikel verbleibt zunächst auf der Fahrbahn oder im unmittelbaren Umfeld. Regen spült den Abrieb allerdings ins Straßenoberflächenwasser, das je nach Umgebung über Kanalisationen oder offen in die Umwelt geleitet wird. In Städten landet der Abrieb in Kläranlagen, die jedoch meist nicht dafür ausgelegt sind, Mikroplastik ausreichend zu filtern. Außerorts versickert das Wasser mitsamt der Schadstoffe direkt in Böden oder Gewässer.

Nach Angaben der Initiative „Plastik in der Umwelt“ gelangen rund 60 Prozent des Reifenabriebs in Böden, etwa 20 Prozent in Oberflächengewässer. Zwei bis fünf Prozent erreichen über Flüsse letztlich das Meer. Hochgerechnet auf die Bevölkerung in Deutschland ergibt das zwischen 1,92 und 4,8 Millionen Kilogramm Reifenabrieb pro Jahr, der als Mikroplastik in die Ozeane gelangt.

Für uns Menschen ist die direkte Gesundheitsgefahr durch Einatmen der Plastikpartikel laut ADAC als gering einzustufen. Die meisten Partikel seien zu groß, um tief in die Lunge vorzudringen. Umweltbiologisch ist die Belastung jedoch enorm – und auf lange Sicht möglicherweise irreversibel.

Mikroplastik durch Reifenabrieb: Welchen Einfluss dein Fahrverhalten hat

Reifenabrieb lässt sich zwar nicht vollständig vermeiden, aber deutlich verringern – und zwar durch das eigene Fahrverhalten. Denn wie stark sich Gummipartikel lösen, hängt nicht nur vom Fahrzeuggewicht oder Reifentyp ab, sondern auch davon, wie man fährt. Wer vorausschauend und ruhig Auto fährt, kann den Verschleiß deutlich reduzieren – und schont dabei nicht nur die Umwelt, sondern auch den eigenen Geldbeutel:

  • Hohe Geschwindigkeit und hohes Fahrzeuggewicht, enge Kurven und häufiges Bremsen erhöhen den Reifenabrieb.
  • Fahrten auf Schotterpisten oder mit Anhänger verstärken den Effekt.
  • Ein zu niedriger Reifendruck beschleunigt den Abrieb zusätzlich – ein zu hoher allerdings auch. Man sollte den Reifendruck deshalb regelmäßig kontrollieren.

Physiker Bo Persson vom Forschungszentrum Jülich vermutet zwar, dass die Geschwindigkeit weniger entscheidend ist als gedacht. Doch klar ist: Eine sanfte Fahrweise reduziert nicht nur den Abrieb von Autoreifen, sondern spart auch Sprit – egal ob Benzin, Diesel oder Strom.

Politischer Hebel: Was die Euro-7-Norm erstmals regeln soll

Autoreifen - und deren Abrieb beim Fahren - sind ein unterschätztes Umweltporblem.
Autoreifen – und deren Abrieb beim Fahren – sind ein unterschätztes Umweltporblem. (Foto. CC0 Public Domain / Pixabay - ariesa66)

Bislang wird der Reifenabrieb gesetzlich kaum reguliert – doch das ändert sich. Mit der Euro-7-Abgasnorm, die im Mai 2024 offiziell im EU-Amtsblatt veröffentlicht wurde, gibt es erstmals verbindliche Vorgaben für den Abrieb von Reifen und Bremsen. Die neue Verordnung gilt ab 29. November 2026 für die Typgenehmigung neuer Modelle und ein Jahr später für alle neu zugelassenen Fahrzeuge.

Erstmals wird damit nicht nur der Schadstoffausstoß aus dem Auspuff begrenzt, sondern auch der Partikelausstoß durch Reifen und Bremsen – unabhängig der Antriebsart. Die EU-Norm sieht klare Grenzwerte für Partikelemissionen vor und soll die Hersteller verpflichten, umweltfreundlichere Materialien und langlebigere Reifen zu entwickeln.

Für Umweltverbände kommt die Verordnung spät – und nach Einschätzung des Deutschen Naturschutzrings mit zu vielen Kompromissen. Vor allem der Einfluss von Lobbygruppen habe zu weicheren Regelungen geführt als ursprünglich geplant. Dennoch: Die Euro 7 ist ein Signal, dass die Umweltbelastung durch den Straßenverkehr ganzheitlich betrachtet werden muss – nicht nur aus dem Auspuff, sondern auch unter den Reifen.

Reifenabrieb variiert – ein Hersteller deutlich weniger umweltschädlich

Wer Mikroplastik vermeiden will, kann beim Reifenkauf gezielt auf Umweltverträglichkeit achten. Der ADAC testet seit Jahren nicht nur Fahreigenschaften von Rädern, sondern auch den Reifenabrieb. Seit 2023 wurden nach Angaben des Verkehrsclubs 160 Modelle über 15.000 Kilometer unter realen Bedingungen geprüft.

Besonders positiv fällt der Hersteller Michelin auf, dessen Reifen mit 52 Milligramm Abrieb pro Kilometer und Tonne Fahrzeuggewicht den Bestwert erzielen. Dahinter folgen Hankook (62 mg), Continental (63 mg) und Goodyear (65 mg). Am unteren Ende der Skala stehen Bridgestone, Pirelli und Firestone mit deutlich höheren Abriebwerten.

Allerdings stammen die abriebsärmsten Reifen durchweg aus dem Premiumsegment. Für viele Verbraucher:innen sind diese Modelle schlicht zu teuer. Umweltfreundliche Mobilität darf keinesfalls zum Privileg der Besserverdienenden werden. Hersteller und Politik sind gefragt, nachhaltigere Reifen in allen Preisklassen anzubieten – ohne Abstriche bei Sicherheit oder Umweltbilanz.

Was du konkret gegen Reifenabrieb tun kannst

Auch abseits des Reifenkaufs können Autofahrer:innen aktiv werden. Einige einfache Maßnahmen helfen, den Reifenabrieb im Alltag zu reduzieren:

  • Reifendruck regelmäßig prüfen und anpassen
  • Fahrweise optimieren: vorausschauend fahren, ohne abruptes Bremsen oder sehr hohe Geschwindigkeit
  • Passende Reifen für Sommer und Winter verwenden, lies dazu auch: Winterreifen im Sommer: Deshalb solltest du es vermeiden
  • Überladung vermeiden, unnötige Kurzstrecken einsparen
  • Beim Neukauf von Autoreifen auf geprüfte Abriebwerte achten
Autoreifen von Michelin erzeugen weniger Reifenabrieb.
Autoreifen von Michelin erzeugen weniger Reifenabrieb. (Foto: CC0 Public Domain / Pixabay - Toby_Parsons)

Doch so wichtig technische Lösungen auch sind – langfristig geht es um mehr. Die umweltfreundlichste Reifenwahl bleibt der Verzicht auf unnötige Autofahrten. Wer öfter zu Fuß geht, das Fahrrad statt dem Auto nutzt oder mit Bus und Bahn fährt, spart nicht nur CO2 ein, sondern verhindert auch ganz konkret die Entstehung von Mikroplastik. Der Abrieb von Schuhsohlen oder Fahrradreifen wird nie so problematisch sein wie der eines Pkw-Reifens.

Fazit: Nachhaltige Mobilität bedeutet Umdenken

Reifenabrieb ist die größte Quelle für Mikroplastik – und das bisher weitgehend unsichtbar. Während Industrie und Politik Lösungen erarbeiten müssen, liegt die stärkste Hebelwirkung oft im Alltag: bei der Wahl des Fortbewegungsmittels, beim Fahrverhalten und beim Reifen selbst.

Umweltschonende Reifen, strengere Vorgaben wie Euro 7 und bessere Rückhaltesysteme sind wichtig – lösen das Problem aber nicht allein. Wer heute wirklich nachhaltig unterwegs sein möchte, sollte den Autoschlüssel öfter liegen lassen oder besser noch – sofern möglich – ÖPNV oder Fahrrad wählen. Jeder eingesparte Autokilometer hilft – nicht nur dem Klima, sondern auch unseren Böden, Flüssen und Meeren.

Verwendete Quellen: ADAC, Kraftfahrt-Bundesamt, TU Berlin, Initiative „Plastik in der Umwelt“, Deutscher Naturschutzring

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