Ostrich-Effekt: Ab diesem Alter fangen Menschen an, unangenehme Informationen zu meiden

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Der Ostrich-Effekt bezeichnet die Tendenz, sich unbequemen Fakten zu verweigern. US-amerikanische Forschende haben näher untersucht, wie sich das Phänomen mit fortschreitendem Alter entwickelt und welche Ursachen es hat.

Der Ostrich-Effekt leitet sich bildhaft von dem Verhalten ab, das der Strauß (englisch: ostrich) in Gefahrensituationen an den Tag legen soll: Angeblich steckt er dann seinen Kopf in den Sand, um sich zu verstecken. Dieses Bild wird häufig auch in Bezug auf Personen verwendet, die eine drohende Gefahr oder unbequeme Wahrheit absichtlich ignorieren. Dass Strauße zum Selbstschutz den Kopf in den Sand stecken, ist allerdings nur ein Mythos: Das tun sie allenfalls bei der Futtersuche.  

In der Psychologie bezeichnet der Ostrich-Effekt die verbreitete Neigung, unangenehme oder beängstigende Informationen zu vermeiden, statt sich mit ihnen auseinanderzusetzen. 

Was ist der Ostrich-Effekt?

Genau gesagt handelt es sich beim Ostrich-Effekt um eine selektive Form der Informationsaufnahme: Menschen neigen dazu, positiven Informationen gegenüber offener zu sein, während sie eher „den Kopf in den Sand stecken“, wenn sie mit negativen Fakten konfrontiert werden.

  • Eine einflussreiche schwedische Studie von 2009 hat dieses Verhalten am Beispiel von Finanzinvestments untersucht. Hier zeigte sich, dass Investor:innen ihre Finanzportfolios tendenziell stärker im Blick behalten, wenn sich der Markt zu ihren Gunsten entwickelte und die Entwicklungen weniger regelmäßig verfolgen, wenn die Kurse fielen. 
  • Der Ostrich-Effekt kann aber auch in anderen Lebensbereichen auftreten, nicht selten im Zusammenhang mit Prokrastination. Er kann etwa im Spiel sein, wenn Menschen aus Angst vor einer schwerwiegenden Diagnose nicht zu ihrem Arzt oder ihrer Ärztin gehen, Amtspost nicht sofort öffnen oder den Blick auf ihr Konto gegen Ende des Monats meiden. 

Auf den ersten Blick erscheint das manchmal widersinnig – schließlich lassen sich finanzielle, behördliche oder gesundheitliche Probleme meist besser lösen, wenn die Problemlage bekannt ist. Hinter dem Vermeidungsverhalten steckt aber oft der verständliche Wunsch, sich nicht mit Anforderungen auseinandersetzen zu müssen, die einem gerade emotional oder kognitiv überfordernd erscheinen. Es kann dann einfacher erscheinen, das Problem einfach zu ignorieren.   

Der Ostrich-Effekt in Krisenzeiten

Die Folgen des Klimawandels auszublenden, kann eine Form des Ostrich-Effekts sein.
Die Folgen des Klimawandels auszublenden, kann eine Form des Ostrich-Effekts sein. (Foto: CC0 / Pixabay / Hans)

Auf gesellschaftlicher Ebene wird der Ostrich-Effekt auch häufig mit dem Ignorieren oder Leugnen von Krisenereignissen wie dem Klimawandel in Verbindung gebracht.

Mit diesem Zusammenhang setzt sich zum Beispiel eine 2018 veröffentlichte Studie auseinander. Die Autorinnen argumentieren, dass es sich beim Leugnen des Klimawandels im Angesicht eigentlich unleugbarer Fakten in einigen Fällen um eine Art gesteigerten Ostrich-Effekt handle. Den betroffenen Personen sei dann derart daran gelegen, die beunruhigende Realität nicht an sich heranzulassen, dass sie stattdessen ein alternatives, weniger bedrohlich scheinendes Narrativ konstruieren müssten.     

Auch in Bezug auf andere Überzeugungen politischer oder gesellschaftlicher Natur kann sich der Ostrich-Effekt bemerkbar machen. Oft ignorieren Menschen Ereignisse und Fakten, die ihrer persönlichen Weltsicht widersprechen, oder setzen sich nur widerwillig mit ihnen auseinander.    

US-amerikanische Studie: Wann werden wir zu Straußen?

Kleine Kinder stellen aus Neugier noch viele Fragen und nehmen Informationen nicht selektiv auf.
Kleine Kinder stellen aus Neugier noch viele Fragen und nehmen Informationen nicht selektiv auf. (Foto: CC0 / Pixabay / Alexey_Marcov)

Die US-amerikanische Psychologin Radhika Santhanagopalan hat sich in einer aktuellen Studie aus dem Jahr 2025 mit dem Ostrich-Effekt auseinandergesetzt. Sie und ihr Forschungsteam stellten dabei vor allem zwei Fragen in den Mittelpunkt: Wie entwickelt sich das „Vogel-Strauß-Verhalten“ eigentlich – und warum?

Auslöser für das Interesse der Psychologin war die Beobachtung, dass kleine Kinder noch ein sehr offenes, nichtselektives Interesse am Lernen und an neuem Wissen an den Tag legen. Sie stellen zahllose Fragen und unterscheiden noch nicht zwischen ‚erwünschtem‘ und ‚unerwünschtem‘ Wissen. Als Erwachsene dagegen haben wir uns dann angewöhnt, den Kopf in den Sand zu stecken, wenn wir uns Informationen eher unangenehmer Natur gegenübersehen. Wann genau, fragt die Studie, vollzieht sich dieser Wandel? Oder, um im Bild zu bleiben: Wie werden wir zu Straußen?

Santhanagopalan gibt darauf eine recht genaue Antwort: Während fünf- bis sechsjährige Kinder noch einen aktiven und kaum selektiven Wissensdurst zeigten, sehe das bei Sieben- bis Zehnjährigen schon ganz anders aus. Bei ihnen stellten die Forschenden bereits ein strategisches Vermeidungsverhalten fest, wenn es um die Aufnahme neuer Informationen ging, die negative Emotionen bei ihnen auslösten. 

Beispiel: Ostrich-Effekt bei Kindern

  • Santhanagopalan verdeutlicht dieses Verhalten anhand eines konkreten Beispiels: Sowohl die jüngeren als auch die älteren Kinder wurden im Rahmen der Studie befragt, welche Süßigkeiten sie am liebsten mochten und welche am wenigsten.
  • Anschließend wurde den Kindern angeboten, ein Video darüber anzusehen, warum ihre Lieblingssüßigkeit schlecht für ihre Zähne sei.

Während die jüngeren Kinder grundsätzliches Interesse an neuen Informationen zeigten, hätten die älteren Kinder differenzierter auf dieses Angebot reagiert, so Santhanagopalan gegenüber dem Fachportal Medical Xpress: „Zum Beispiel wollten sie nicht wissen, warum ihre Lieblingssüßigkeit schlecht für sie sei. Aber sie hatten kein Problem damit zu erfahren, warum die Süßigkeit schlecht für sie sei, die sie am wenigsten mochten.“

Welche Gründe hat der Ostrich-Effekt?

Warum aber neigen wir zum Ostrich-Effekt, wenn wir älter werden? Fünf mögliche Gründe dafür untersuchte das Forschungsteam in der Studie:

  1. Um negative Emotionen wie Angst oder Enttäuschung zu vermeiden.
  2. Um negative Informationen über unsere Beliebtheit oder Kompetenz zu vermeiden, was wiederum unser Selbstwertgefühl beeinflusst.
  3. Um Informationen zu vermeiden, die unsere Weltsicht herausfordern.
  4. Um unsere Vorlieben nicht ändern zu müssen.
  5. Um in unserem Eigeninteresse handeln zu können.

Die Studie kam anhand verschiedener Versuchsreihen zu dem Ergebnis, dass bei den beteiligten Kindern fast alle dieser Gründe zutrafen – bis auf den Punkt, negative Informationen über die eigene Kompetenz zu vermeiden. Die Kinder hätten beispielsweise keine Angst davor gehabt zu erfahren, dass sie in einem Test schlecht abgeschnitten hätten.

Santhanagopalan vermutet, das könne an dem Konzept geistigen Wachstums liegen, das in Schulen vermittelt werde: Die Kinder würden dort lernen, dass sie durch genug geistige Arbeit ihre Kompetenz verbessern könnten. Sie seien deshalb vielleicht offener für Informationen über Kompetenzlücken, die ihnen helfen könnten, diese Lücken zu schließen.     

Lesetipp zum Thema: Lebenslanges Lernen: Darum ist es unerlässlich

Wie lässt sich der Ostrich-Effekt vermeiden?

Ostrich-Effekt: Wer zum Strauß wird, sollte kurz innehalten und sich fragen, warum.
Ostrich-Effekt: Wer zum Strauß wird, sollte kurz innehalten und sich fragen, warum. (Foto: CC0 / Pixabay / Alexas_Fotos)

Der Ostrich-Effekt hat nicht nur negative Seiten: Er kann uns zeitweilig davor schützen, uns emotional oder kognitiv zu viel zuzumuten, so Santhanagopalan gegenüber Medical Xpress. Zu viele oder zu negative Informationen könnten überfordernd, bedrohlich und lähmend wirken.

Dennoch sei das dauerhafte Ignorieren der Faktenlage natürlich keine sinnvolle Lösung, weder privat noch gesellschaftlich. Im gesamtgesellschaftlichen Kontext könne der Ostrich-Effekt sogar Phänomene wie die Vertiefung politischer Gräben zwischen unterschiedlich denkenden Menschen begünstigen.

Um gegen die Gewohnheit der Kopf-in-den-Sand-Methode anzugehen, empfiehlt die Psychologin vor allem, zu hinterfragen, warum man bestimmte Informationen eigentlich meide:

  • Oft stehe dabei die kurzfristige Erleichterung durch das Ignorieren im Vordergrund.
  • Man solle diese Erleichterung dann in Gedanken gegen die langfristigen Vorteile aufwiegen, die die Auseinandersetzung mit unangenehmen Fakten bringen könne. Die Folge kann ein realistischeres und ermutigenderes Bild der Gesamtsituation sein.

Ein Beispiel: Den lästigen Brief zu öffnen und zu bearbeiten mag unangenehm sein – es erspart in der Zukunft aber vielleicht eine Mahnung oder ein Bußgeld.

Tipp: Du interessierst dich für Gesellschaft und Psychologie? Dann lies auch unsere Beiträge zum Spotlight-Effekt, Türschwellen-Effekt und Bystander-Effekt.

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