Selbstkritik kann uns helfen, Fehler einzugestehen und an uns zu arbeiten. Wird die innere Kritik jedoch zu streng, kann sie uns zunehmend im Wege stehen. Wir geben dir Tipps, wie du dich auf konstruktive Art selbst kritisierst.
Selbstkritik ist wichtig und entsteht auf natürliche Weise, wenn wir uns und unser Handeln reflektieren. Haben wir in einem Konflikt vielleicht überreagiert? Andere Menschen verletzt? Hätten wir an der ein oder anderen Stelle vielleicht akkurater arbeiten müssen? In derartigen Fällen hilft uns Selbstkritik dabei, Fehler zu erkennen, aus diesen für die Zukunft zu lernen und uns eventuell bei anderen Menschen zu entschuldigen.
Doch sollten wir darauf achten uns nicht selbst für Fehler zu verurteilen oder uns ständig bei jeder Aktivität zu hinterfragen. Dann kann eine zu starke Selbstkritik unser seelisches Wohlbefinden stark beeinträchtigen. So belegen Untersuchungen der Uni-Klinik Heidelberg, dass Selbstkritik psychische Störungen begünstigen kann. Hier bekommst du Hinweise, wie du deinen eigenen Mittelweg finden und achtsam mit der inneren kritischen Stimme umgehen kannst.
Selbstkritik: Unterschiede zwischen Männer und Frauen
Selbstkritik scheint nicht nur von unseren Charaktereigenschaften, sondern auch unserem zugeschriebenen Geschlecht abzuhängen, hier am Beispiel der Frauen:
- Das Ärzteblatt berichtet, dass Frauen im beruflichen Kontext viel selbstkritischer mit sich umgehen als Männer. Während Männer sich in der Studie in einigen Bereichen eher leicht überschätzt haben, schätzten Frauen sich als inkompetenter ein. Zudem war das Bild, das Kolleg:innen und Vorgesetzte von ihnen hatten, positiver als das Selbstbild.
- Wie die Eucerin Frauenstudie herausfand, sind es gerade jüngere Frauen bis 39 Jahre, die sehr unsicher und kritisch mit sich selbst umgehen. Grund dafür ist, dass Frauen eher dazu neigen sich ständig mit anderen Frauen zu vergleichen.
Eine solche Form der Selbstkritik erzeugt Druck und Neid und schränkt dadurch unsere Lebensqualität ein. Eine permanente Unterschätzung im Berufsleben erschwert auch unsere Karriere: Laut den Aussagen des Ärzteblattes verhalten sich Frauen aufgrund ihrer starken Selbstkritik im Job eher zurückhaltend und gelangen so eventuell seltener in Führungspositionen – auch, wenn sie genauso kompetent oder sogar kompetenter sind als ihre männlichen Kolleg:innen.
Eine zu hohe Selbstkritik hängt aber nicht immer nur von der eigenen Persönlichkeit, sondern teilweise auch von gesellschaftlichen Strukturen ab.
Selbstkritik am eigenen Körper
Selbstkritik muss sich nicht nur auf Charakterzüge oder ausbleibende Erfolge beziehen, sondern kann sich auch auf unser Äußeres richten. In einer Gesellschaft, in der es immer noch feststehende Schönheitsideale gibt, die wenig mit der Realität zu tun haben, ist das besonders gefährlich.
Wie präsent das Thema in Bezug auf unsere Körperwahrnehmung ist, zeigt ein Video der Kosmetikmarke Dove.
- Darin beschreiben sich Frauen hinter einer Wand zuerst selbst, um sich von einem Phantombildmaler, der sie nicht sieht, zeichnen zu lassen. Danach beschreiben fremde Frauen dieselben Frauen noch einmal dem Phantombildmaler. Er malt die Frauen erneut.
- Das Ergebnis: Bei den meisten Porträts war das Porträt der Fremdwahrnehmung viel positiver als das Porträt, das die Frauen selbst beschreiben sollten. Dies zeigt, wie stark Selbst- und Fremdwahrnehmung auseinanderklaffen können und wie kritisch Menschen ihren eigenen Körper betrachten.
Selbstkritik muss auch in diesem Fall nicht unbedingt etwas Negatives sein: So kann sie uns zu einer gesünderen Ernährungsweise oder mehr Bewegung im Alltag motivieren. Führt sie jedoch dazu, dass wir uns jeden Tag vor dem Spiegel für das ein oder andere Fettpolster verurteilen, bremst sie uns aus. Weitere Hinweise, wie du mit diesem Thema umgehen kannst, bekommst du auch hier: Body Positivity: 5 Schritte zu mehr Selbstliebe
Tipps für konstruktive Selbstkritik
Um Selbstkritik als Teil einer gesunden Selbstwahrnehmung in deine Lebensweise zu etablieren und Selbstzweifeln entgegenzuwirken, können dir die folgenden Tipps helfen:
1. Sorge für ein Gefühl von Sicherheit
Du hast einen Fehler gemacht und wirst gerade von einer überwältigenden Selbstkritik und Selbstzweifeln überschwemmt? Sorge in einer akuten Situation dafür, dass du dich sicher und geborgen fühlst: Setze dich an einen vertrauten Lieblingsort und gönne dir etwas Vertrautes, das dir gut tut (z.B. deine Lieblingsserie, dein Lieblingsgetränk oder deine Lieblingsmusik). Diese Methode, die auch in der Traumapädagogik angewendet wird, hilft dir im Akutfall Sicherheit und Geborgenheit zu spüren, statt in Selbstkritik und Selbsthass zu versinken. Denn erst wenn du ruhig bist, kannst du eine neutrale Position einnehmen.
2. Gehe liebevoll mit dir selbst um
Negative Selbstkritik entsteht oft aus einem Perfektionismus heraus, wie Dr. Christine Brähler im Interview mit der Mobil Krankenkasse erzählt. Je perfekter und erfolgreicher du sein möchtest, desto selbstkritischer gehst du mit dir selbst um. Auch bei Perfektionismus gilt: Er ist nicht grundsätzlich schlecht, kann uns im negativen Ausmaß jedoch ausbremsen und blockieren. Achte deshalb darauf auch in stressigen Phasen auf dich und deinen Körper zu achten und ausreichend Selbstfürsorge zu betreiben.
3. Hole dir Feedback von einer Person deines Vertrauens ein
Hast du beispielsweise in einer Situation etwas gesagt, das du im Nachhinein bereust und dich nicht mehr loslässt, kann dir ein äußeres Feedback helfen. Erzähle einer Person deines Vertrauens die Situation und bitte sie um eine aufrichtige Einschätzung. Denn Fremd- und Selbstwahrnehmung driften oftmals stark auseinander.
4. Sieh Selbstkritik als Chance
Du bist dir sicher, dass deine Selbstkritik berechtigt ist und du dich in einem Fall tatsächlich nicht gut verhalten hast? Kein Grund jetzt den Kopf einzuziehen! Halte dir stattdessen vor Augen, dass Fehler zum menschlichen Leben dazugehören. Nutze sie als Ausgangspunkt für eine Strategie, um es in Zukunft besser zu machen.
Sachlichkeit, Selbsterkenntnis und Achtsamkeit
5. Analysiere sachlich die Situation
Gehst du oft selbstkritisch mit dir um, kannst du einzelne Situationen aufschreiben und einige Tage später analysieren. Nimm dir neben deiner Position andere Positionen heraus (zum Beispiel dein:e Chef:in, dein:e best:e Freund:in, deine Großeltern). Gib jeder Position (auch deiner!) einen Stuhl in einem Sitzkreis. Setze dich nun jeweils für zwei Minuten auf jeden Stuhl und nimm die Position zu deinem Selbstkritik-Thema ein. Was würde die jeweilige Person zu deiner Situation sagen? Was lernst du daraus?
6. Mache dir eine Liste mit deinen fünf größten Erfolgen
Mache dir eine Liste mit deinen fünf größten Erfolgen in deinem Leben. Füge dazu auch jeweils drei Argumente, warum das ein deutlicher Erfolg war. Führe diese Liste entweder in deinem Geldbeutel oder digital auf deinem Smartphone immer mit dir. Kommen Selbstkritik-Gedanken auf, die dich blockieren und ablenken, hole diese Liste heraus und halte sie dir vor Augen.
7. Lebe achtsam
Mit einer täglichen Meditation stärkst du auf lange Sicht deine psychische Gesundheit. Du bist weniger gestresst und lebst achtsamer. Baue fünf Minuten Meditation in deinen Tagesablauf über mehrere Wochen bzw. Monate ein. Bist du generell emotional stabiler und resilienter, wird es dir auch leichter fallen Selbstkritik auf gesunde Weise anzuwenden.
8. Arbeite gegen innere Stimmen an
Aus der Kindheit tragen viele Menschen innere Leidenssätze in sich („Du bist eine Niete!“, „Das schaffst du nie!“). Negative Selbstkritik hat oft ihre Wurzel in diesen inneren Stimmen. Schreibe dir diese Sätze auf und überlege dir, ob sie heute eigentlich noch zutreffen. Mit dem Arbeitsbuch „Das Kind in dir muss Heimat finden“ (**Amazon) von Stefanie Stahl kannst du solche inneren Sätze methodisch aufbrechen lernen.
Hinweis: Schränkt dich deine Selbstkritik in übermäßigem Maße über mehrere Wochen ein oder geht mit anderen Beschwerden einher, suche dir professionelle Hilfe bei einem Therapeuten oder einer Therapeutin.
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