Verzeihen und vergeben: Warum es gut für dich und deine Beziehungen ist

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Foto: CC0 / unsplash / Giulia Bertelli

Anderen zu verzeihen kann heilend wirken und uns einander näher bringen. Wir verraten dir, warum vergeben glücklich macht und gut für deine Gesundheit und Beziehungen ist.

Tut uns ein anderer etwas Verletzendes an, sei es lediglich eine Beleidigung oder schlimmeres wie ein Seitensprung, zeigen wir häufig folgende Reaktionen: Wir meiden die andere Person oder wünschen uns Vergeltung oder Wiedergutmachung. Daran können jedoch Beziehungen zerbrechen, weil wir das Gegenüber nicht mehr an uns heranlassen. Oder es entsteht ein Teufelskreis der Vergeltung. Denn häufig empfindet das Gegenüber unseren vermeintlichen Ausgleich als schwerwiegender als seine eigentliche Tat. So wird der andere sich seinerseits wieder wünschen, dass es zu einer Wiedergutmachung kommt. Wenn hier nicht einer aussteigt, kann dieser Kreislauf ewig weiter gehen und gute Freundschaften und Beziehungen zerstören.

Doch es geht auch anders: Verzeihen ist ein Weg, den Kreislauf der Vergeltung zu durchbrechen und Beziehungen aufrechtzuerhalten. Das was passiert ist, können wir nie ungeschehen machen – doch was wir in der Hand haben, ist unsere Reaktion auf solch eine Handlung, die uns verletzt hat.

Jemandem etwas verzeihen, vergeben – damit verbinden wir meist, dass wir großmütig einen Schritt auf die andere Person zugehen. Doch es gibt noch einen anderen Blick auf das Thema: Vergeben und verzeihen als Powermove und Akt der Selbstfürsorge

„Vergebung ist das größte Geschenk, das du dir selbst machen kannst“, sagte die US-Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin Maya Angelou einmal in einem Interview. Auch die Psychologin Nicole LePera ermuntert dazu, diese andere Perspektive einzunehmen. 

Das bedeutet Verzeihen

Verzeihen bringt uns anderen näher.
Verzeihen bringt uns anderen näher. (Foto: CC0 / unsplash / Eye for Ebony)

Verzeihen bedeutet dem Wort nach: Verzicht auf Vergeltung oder Wiedergutmachung. Wenn wir verzeihen, dann fordern wir nicht, was uns eigentlich zusteht. Wir lassen ab, entsagen, hören auf zu „zeihen“, das heißt zu benennen, bekannt zu machen. Mit dem Verzeihen beenden wir das ewige Zeigen auf die Wunde, das Bezichtigen des anderen. Wir erlassen dem anderen seine Schuld – jenseits gerechten Ausgleiches.

In der psychologischen Forschung wird Verzeihen auch so beschrieben: Statt der Vergeltung folgt auf ein verletzendes Verhalten des Gegenübers eine positive Reaktion. Das bedeutet, du gehst auf die andere Person zu, statt sie zu meiden und hegst keine Wut, keinen Gräuel oder Rachegedanken gegen sie, sondern liebevolle und akzeptierende Gefühle. Lange Zeit hat sich die Forschung wenig mit dem Verzeihen beschäftigt. Erst im 20. Jahrhundert begannen Sozialwissenschaftler sich mit dem Thema auseinander zusetzen und konnten die bereits vermuteten positiven Auswirkungen des Verzeihens empirisch nachweisen. 

Entscheiden, wer wie im eigenen Leben vorkommt

Verzeihen könne eine „Grenze“ sein, die wir setzen: „Ich entscheide mich, das Verhalten eines anderen nicht länger über mein Wohlbefinden bestimmen zu lassen“, schreibt Nicole LePera in ihrem aktuellen Newsletter.

Wenn die andere Person sage, du musst mir verzeihen, heiße das oft: Du musst mich wieder in dein Leben lassen.

Das stimme aber nicht, so LePera. Wer selbstbestimmt verzeihen will, könne sich sagen: „Ich kann jemandem vergeben und genau entscheiden, wie ich ihm erlaube, in meinem Leben vorzukommen.“

„Man kann jemandem vergeben und sich selbst schützen“, schreibt sie. „Man kann sich zurückziehen. Man kann der anderen Person sagen, dass man Frieden geschlossen hat und dass man in Zukunft das tun wird, was für einen selbst am besten ist.“

Oder wie Maya Angelou sagt: „Du musst vergeben. Um deiner selbst willen. Um dich von der Last zu befreien.“

Das passiert bei dir, wenn du anderen verzeihst

Verzeihen heißt Loslassen - und das macht glücklich.
Verzeihen heißt Loslassen – und das macht glücklich. (Foto: CC0 / unsplash / TheVirtualDenise)

Menschen, die gut vergeben können, erleben in ihrem Alltag mehr positive und weniger negative Gefühle. Wenn du anderen verzeihen kannst, dann wirst du:

Forscher:innen vermuten, dass das zum einen daran liegt, dass Menschen, die vergeben, leichter loslassen können und damit weniger Ballast mit sich herumtragen und sich auf die positiven Dinge konzentrieren können. 

Doch nicht nur auf der emotionalen Ebene konnten Forscher:innen positive Auswirkungen feststellen. Es zeigte sich, dass das Verzeihen vorteilhaft für die körperliche Gesundheit ist – Menschen, die anderen verzeihen können, zeigen weniger Herz-Kreislauf-Probleme, als Menschen, denen das Verzeihen und Loslassen schwerfällt. Dieser Zusammenhang ist allerdings nicht ausschließlich auf das Verzeihen zurückzuführen, sondern auch auf andere Faktoren.

Verzeihen kann stark machen

Auch der Berliner Psychotherapeut Wolfgang Krüger sagt: Verzeihen kann stark machen. „Das Verzeihen ist für uns selbst wichtig, weil wir sonst immer in einem galligen Gefühl steckenbleiben und die Welt verdüstern.“ „Wenn wir aber verzeihen, sind wir in einer Haltung der Großzügigkeit und überwinden unsere Ohnmachtshaltung, was sich sehr positiv auf unsere Selbstachtung auswirkt.“

Klingt gut – aber Verzeihen ist oft ja nicht so einfach und fällt uns schwer. Wie geht es? Krüger erklärt:

  • Zunächst muss ich die Kränkung wahrnehmen, ich darf sie nicht wegschieben.
  • Ich muss die Kränkung aussprechen.
  • Ich muss Interessen haben, die wichtiger sind als diese Kränkung. Dann bin ich zwar gekränkt, aber ich bin nicht zu tief getroffen – und kann auch verzeihen.

„Insofern entlastet uns das Verzeihen und hellt unsere Lebensstimmung auf.“

Darum ist Verzeihen gut für deine Beziehungen

Verzeihen gibt dem Gegenüber die Chance zu reflektieren und zu einer ehrlichen Einsicht zu kommen.
Verzeihen gibt dem Gegenüber die Chance zu reflektieren und zu einer ehrlichen Einsicht zu kommen. (Foto: CC0 / unsplash / Tim Marshall)

Es gibt viele Situationen, in denen du verzeihen kannst: wenn jemand dein Vertrauen missbraucht hat, wenn im Streit etwas Unüberlegtes gesagt wurde, wenn jemand ein Versprechen bricht oder sogar den Eltern nach jahrelangem Konflikt.

Wenn du verzeihst, dann gibst du dem Gegenüber die Chance ehrlich und unbefangen über seine Handlungen nachzudenken, ohne sich in Abwehrreflexe zu verstricken. Der Andere muss sich nicht rechtfertigen oder sich um eine Wiedergutmachung bemühen. Er kann sich, ohne Konsequenzen zu befürchten, reflektieren und seine eigenen Schlüsse ziehen. Das hat beim Gegenüber häufig eine nachhaltige Wirkung und führt eher zu einem Eingeständnis. Es wird viel wahrscheinlicher, dass das Gegenüber auch tatsächlich etwas aus seinem Tun lernt, als wenn wir auf einen Ausgleich bestehen oder das Gegenüber ab sofort meiden.

Wenn wir verzeihen, zeigen wir ehrliche Wertschätzung für den Menschen hinter den Taten und reduzieren ihn nicht auf seine Delikte und Verfehlungen.

Häufig fällt es uns allerdings schwer, auf eine Entschuldigung zu verzichten. Wir wollen zumindest spüren, dass die Person bereut, was sie getan hat. Vielleicht wollen wir auch einfach nur verstehen, warum der andere dies getan hat. Darum geht es aber nicht beim Verzeihen! Wenn du wirklich verzeihst, hast du keine Erwartungen diesbezüglich an die andere Person. 

Wenn du verzeihst, verhinderst du, dass der Teufelskreis der Vergeltung ins Rollen kommt oder du durchbrichst ihn nach Jahren der Streitereien. So ist es möglich, dass wir uns anderen annähern, statt uns voneinander zu entfernen. Denn kleinere und größere Verfehlungen können uns allen passieren und wenn wir uns gegenseitig öfter verzeihen, ist der offene und wertschätzende Umgang miteinander möglich, den die Welt so dringend braucht.

Verzeihen macht das Leben leichter

Wer verzeiht, erlebt der Mannheimer Psychotherapeutin Doris Wolf zufolge:

  • Die Gedanken kreisen nicht mehr ständig um das negative Erlebnis, man hat mehr Freiraum für die Eindrücke im Hier und Jetzt.
  • Auch körperlich kann man sich entlastet fühlen: Der Druck im Magen oder in der Brust ist weg, man fühlt seine Energie wieder fließen.
  • An die Stelle von Wut und Kränkung treten Gelassenheit und innere Ruhe.

Und so sei es auch möglich, wieder positive Seiten an der anderen Person zu sehen, ihr gegenüber offen zu sein und womöglich auch wieder Nähe und Liebe ihr gegenüber zu verspüren.

„Verzeihen kann das Leben erleichtern“, so die Co-Autorin des Buches „Wecke deine Lebensfreude“ – und zu genau der könne die positive Energie des Verzeihens beitragen. 

Wer dennoch Schwierigkeiten mit dem Thema hat, für den gebe es etwa auch Workshops, in denen man etwa Kränkungen aus der Vergangenheit aufarbeiten und lernen kann, mit Kränkungen in der Gegenwart umzugehen, um dann verzeihen zu können, so Wolfgang Krüger.

Denn vermeiden, dass wir uns wegen dem, was eine andere Person sagt oder tut enttäuscht, beleidigt und gekränkt fühlen – das können wir nicht.

„Da ist das Leben ein guter Lehrmeister: Man muss begreifen, dass überall Kränkungen und Enttäuschungen möglich sind“, so Wolfgang Krüger. „Und die größten Kränkungen gibt es dort, wo man liebt. Und auch wir selbst sind meist keine Heiligen. Wenn man dies begreift, wird man oft nachsichtiger mit seinen lieben Mitmenschen.“

Mit Material der dpa.

Überarbeitet von Lena Kirchner

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