Ausbeutung, Beleidigung, Vergewaltigung: Ende April haben Recherchen von Correctiv und Buzzfeed News aufgedeckt, unter welchen Bedingungen Erntehelferinnen in Südspanien unsere Erdbeeren pflücken. Jetzt ermittelt Spanien gegen die Produzenten – ob diese zur Rechenschaft gezogen werden können, ist allerdings fraglich.
Rund 280.000 Tonnen Erdbeeren essen wir Deutschen pro Jahr. Weil der Bedarf nicht annähernd mit regionalen Früchten gedeckt werden kann, importieren wir Erdbeeren aus Italien, Spanien und Marokko. Bei der Erdbeerproduktion werden bedenkliche Pestizide eingesetzt und immense Mengen Wasser verbraucht, das in der jeweiligen Region dann fehlt (mehr dazu im letzten Öko-Test). Doch es gibt noch weit abscheulichere Probleme.
Damit wir uns über günstige Erdbeeren im Supermarkt freuen können, arbeiten Erntehelferinnen in Spanien unter schrecklichen Arbeitsbedingungen: Sie werden beleidigt, belästigt und sogar vergewaltigt. Das zeigt die Reportage einer Kooperation von Correctiv und Buzzfeed News.
Saisonarbeiterinnen werden für unsere Erdbeeren ausgebeutet
Jedes Jahr arbeiten tausende Frauen auf Erdbeerplantagen in der südspanischen Provinz Huelva in Andalusien. Die meisten von ihnen kommen aus Rumänien und Marokko. Sie sind Saisonarbeiterinnen ohne ordentliche Verträge, die dort für einen Hungerlohn von 25 bis 30 Euro am Tag arbeiten, von sechs Uhr morgens bis zum Abend.
Dabei wird nicht nur ihre Arbeitskraft ausgebeutet. Erntehelferinnen werden regelmäßig sexuell belästigt, beleidigt und vergewaltigt, mutmaßliche Täter fast nie bestraft und lokale Gewerkschaften und die Polizei tun nicht genug, um die Frauen ausreichend zu schützen.
Erschreckende Zustände in der Erdbeerproduktion
Die Journalistinnen Pascale Mueller und Stefania Prandi recherchierten zwei Monate lang unter anderem in Spanien. Die Recherchen zeigen laut Buzzfeed News erstmalig, wie schwerwiegend und verbreitet sexualisierte Gewalt und Nötigung von Erntehelferinnen in der mediterranen Landwirtschaft sind.
Dabei haben die Journalistinnen mit über 100 Erntehelferinnen in Spanien, Marokko und Italien gesprochen: 28 der Frauen gaben an, von ihren Vorgesetzten sexuell belästigt oder vergewaltigt worden zu sein. Etwa 50 weitere Frauen berichteten von körperlicher Gewalt. Alle Frauen sagten aus, dass sie von ihren Vorgesetzten verbal belästigt, beschimpft und gedemütigt worden seien. Kaum eine Frau erstattete Anzeige, laut den Recherchen wurde keiner der mutmaßlichen Täter zur Rechenschaft gezogen – bis jetzt.
Wegen Verdachts auf Menschenhandel: Spanien ermittelt gegen Produzenten
Als Reaktion auf die Berichterstattung kam es in Spanien zu landesweiten Protesten und dutzenden Anzeigen. Eine dieser Anzeigen zeigt nun offenbar Wirkung: Laut Buzzfeed News hatte Ende Juni eine Gruppe von Anwälten aus Huelva Anzeige gegen den Erdbeerproduzenten „Doñana 1998“, der auch Aldi Süd belieferte, eingereicht.
Im Namen von zehn marokkanischen Erntehelferinnen werfen die Anwälte der Firma „Menschenhandel“ und „Verstoß gegen die Menschenrechte“ vor. Der Bundesrichter, der die Anzeige für Zulässig befand, spricht jetzt vom „möglichen Vorliegen einer Straftat“.
Besonders bitter: Womöglich kommt es zu keiner Verurteilung: Die zehn Marokkanerinnen, auf die sich die Anklage stützt, besitzen nur ein drei Monate gültiges Visum. Einer ihrer Anwälte, Jesús Díaz Formoso, erklärt gegenüber Buzzfeed News, dass die Frauen wahrscheinlich nach Marokko zurückkehren müssen, bevor sie eine Aussage machen können.
„Wenn es keine Zeugen gibt, gibt es keinen Fall“, wird der Anwalt bei Buzzfeed News zitiert. „Ich möchte, dass deutsche Käufer wissen: Der Grund, warum das alles passiert, ist der hohe Preisdruck.“
Hier geht es zum Artikel bei Buzzfeed News.
Das rote Gold: Erdbeeren aus Spanien
Rund 80 Prozent der nach Deutschland gelieferten Erdbeeren stammen aus der Region Huelva. Die Region ist der größte Erdbeerproduzent Europas. Die Erdbeeren werden hier auch „rotes Gold“ genannt. Sie haben Reichtum in die Region gebracht, finanzielle Stabilität und Arbeitsplätze: Im Jahr 2017 exportierte Spanien Erdbeeren im Wert von rund 600 Millionen Euro.
Das erklärt wohl auch, warum lokale Hilfsorganisationen behaupten, es gebe keine Probleme. Auch von den Einheimischen wollte damals niemand mit den Journalistinnen sprechen. Wiederholte Anfragen von Correctiv wurden zum Zeitpunkt der Recherche von regionalen Handelsorganisationen wie Freshuelva und der andalusischen Regierung offenbar nicht beantwortet.
Deutsche Supermärkte sehen sich nicht in der Verantwortung
Was sagen deutsche Supermärkte zu den Zuständen auf den Erdbeerplantagen in der Region Huelva? Aldi Süd hat im Juni Erdbeeren des Produzenten „Doñana 1998“ aus dem Sortiment genommen – als Reaktion auf die Recherchen.
Correctiv fragte zum Beispiel auch Lidl nach einem Statement: Der Discounter sah sich selbst nicht in der Verantwortung und verwies auf die Zertifizierung durch „GlobalGAP“. Das Unternehmen vergibt nach eigenen Angaben das weltweit am weitesten verbreitete nicht-staatliche Zertifikat im Bereich Lebensmittelsicherheit und weist auch die fraglichen Erdbeeren als „sicher und nachhaltig“ aus.
Auf Nachfrage von Correctiv erklärt GlobalGAP, „sicher und nachhaltig“ beziehe sich nur auf die Produkte und nicht auf die Produzenten. Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz und soziale Belange von Arbeitern werden nicht zertifiziert.
Hier geht es zur gesamten Reportage auf www.correctiv.org.
Hier geht es zu den Veröffentlichungen auf von Pascale Mueller und Stefania Prandi auf www.buzzfeed.com und auf www.buzzfeed.com.
Utopia meint: Nicht nur in Spanien werden Erntehelferinnnen ausgebeutet: Solche und ähnliche Zustände herrschen auch in Italien oder Marokko und auch im Tomaten-, Orangen oder Melonenanbau. Ein weiteres Argument dafür, Lebensmittel regional und saisonal zu kaufen. Wir raten von konventionellen Erdbeeren aus Supermärkten und Discountern ab und empfehlen heimische Bio-Erdbeeren.
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