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Sind Fleisch und Tierwohl vereinbar? Bundestierschutzbeauftragte antwortet

Ariane Kari, Tierschutzbeauftragte der Bundesregierung
Foto: CC0 / Unsplash - Kenneth Schipper Vera // Ariane Kari

Ariane Kari ist die erste Tierschutzbeauftragte der Bundesregierung. Im Interview mit Utopia erklärt sie, was sie bisher erreicht hat, wie sie zu Veganismus steht und welche Bedürfnisse Schweine haben.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen forderte im Januar den „Tierwohlcent“, eine Abgabe auf tierische Produkte, die in bessere Haltungsbedingungen investiert werden soll. Markus Söder (CSU) kritisierte die Pläne. Fleisch solle auch für kleinere Einkommen bezahlbar bleiben. Utopia berichtete. Doch ist mehr Tierschutz möglich, ohne dass Tierprodukte teurer werden? Fragen wie diese beschäftigen Ariane Kari. Im Juni 2023 trat die Veterinärmedizinerin und ehemalige stellvertretende Landestierschutzbeauftragte Baden-Württembergs ihr Amt als Tierschutzbeauftragte der Bundesregierung an. Ein Novum, denn bis zu diesem Zeitpunkt gab es das nur in neun Bundesländern, aber nicht auf Bundesebene.

Zwar ist Kari dem grünen Landwirtschaftsministerium (BMEL) unterstellt, sie gehört jedoch keiner Partei an. Als Tierschutzbeauftragte nimmt sie vor allem eine fachlich beratende und vermittelnde Rolle ein. Kari arbeitet in ihrer Funktion an der Weiterentwicklung des nationalen und internationalen Tierschutzes sowie dem Austausch zwischen Bund, Ländern und Verbänden. Außerdem betreibt sie Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit und berät die Bundesregierung zur Ausarbeitung tierschutzrelevanter Gesetze und Verordnungen.

Gegenüber Utopia zieht die Tierschutzbeauftragte eine Zwischenbilanz ihrer bisher achtmonatigen Amtszeit, spricht über ihre Einstellung zu Fleischkonsum und Veganismus und gibt einen Einblick in die Bedürfnisse von Schweinen. Auch zum Tierwohlcent und dem neuen staatlichen Tierhaltungskennzeichen vertritt sie eine klare Haltung.

Utopia: Frau Kari, welche Bedeutung hat das neu geschaffene Amt der Bundestierschutzbeauftragten für den Tierschutz in Deutschland?

Ariane Kari: Es ist ein wichtiger Schritt, um den im Grundgesetz verankerten Tierschutz voranzubringen. Denn jemand, der sich institutionell, weisungsfrei und politisch unabhängig für die Belange von Tieren einsetzen kann – das ist etwas Neues.

Konnten Sie seit Ihrem Amtsantritt schon konkret etwas am Tierschutz in Deutschland verbessern?

Das Tierschutzgesetz und auch die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung werden gerade von der Bundesregierung überarbeitet. Beim Tierschutzgesetz geht es zum Beispiel darum, die ganzjährige Anbindehaltung von Rindern zu verbieten und den Online-Heimtierhandel stärker zu regulieren. Außerdem ist eine Verschärfung des bestehenden Qualzuchtverbots geplant, das etwa die Zucht von Hunden mit extrem kurzer Nase, die dadurch Atemnot bekommen, betreffen würde.

Zu diesen Fragen bringe ich mich als Bundestierschutzbeauftragte ein. Ich denke, wenn wir hier Verbesserungen erreichen, dann hat das auch mit meiner Arbeit zu tun.

Inwiefern?

Bis zum 01. März war der Gesetzesentwurf des BMEL in der Länder- und Verbändeanhörung. Ich habe mich in dieser Phase mit eigenen Stellungnahmen eingebracht, um aufzuzeigen, wo aus meiner Sicht noch Verbesserungsbedarf besteht.

Danach geht der Gesetzesentwurf ins parlamentarische Verfahren. Dann ist es auch meine Aufgabe, mit den Entscheidungsträger:innen, also den Mitgliedern des Bundestages, in den Austausch zu gehen und ihnen zu erklären, warum bestimmte Rechtsänderungen für den Tierschutz so wichtig sind.

Beim Tierschutz ist für viele auch die Abstinenz von Tierprodukten ein wichtiges Thema. Wie halten Sie es mit Ihrer persönlichen Ernährung?

Ich versuche, tierische Produkte, soweit es geht, zu vermeiden. Wie gut das klappt, kommt immer darauf an, wo und wie ich gerade unterwegs bin. In Berlin ist es für mich zum Beispiel kein Problem, mich rein pflanzlich zu ernähren.

Es kommt auf meinen Terminen aber auch schon mal vor, dass ich zum Beispiel den Auflauf mit Käse esse, weil es keine vegane Alternative gibt. Außerdem habe ich schon seit Ewigkeiten eine Lederhandtasche. Die entsorge ich natürlich nicht.

Glauben Sie, Fleischkonsum und Tierwohl schließen sich systematisch aus? Oder gibt es einen Weg, der beides vereint?

Ich persönlich bin der Meinung, dass sowohl das Befinden als auch das Leben an sich von Tieren zu schützen ist. Außerdem finde ich es aus Tierschutzsicht nicht ausreichend, nur auf Fleisch zu verzichten, wenn man weiterhin ohne Einschränkung Kuhmilch trinkt. Das wird dem ganzen Kreislauf nicht gerecht und es ist mir auch immer wichtig, das zu betonen.

Unabhängig von meiner persönlichen Einstellung zu tierischen Produkten werfe ich es aber niemandem vor, wenn er oder sie diese auch weiterhin konsumieren will. Ich bin der Meinung, dass es bereits enorm helfen würde, wenn Leute sich mehr Gedanken darüber machen, wo das Essen auf ihrem Teller herkommt und wie die Tiere dafür gehalten wurden. Mir ist also wichtig, dass Menschen wieder bewusster essen. All das kann langfristig helfen, dass weniger tierische Produkte gegessen und getrunken werden. Und das dient dann auch dem Tierwohl.

Bekommen Sie in Ihrem Amt öfter auch Widerstände zu spüren, wenn Sie etwa mit Landwirt:innen über die Fleischproduktion reden?

Nein. Ich habe kein Problem damit, auf landwirtschaftliche Betriebe zuzugehen oder mich mit Landwirt:innen auszutauschen. Auch, wenn manche das vielleicht erwarten und denken, dass man mich ohnehin nicht von Tierwohlmaßnahmen innerhalb der Landwirtschaft überzeugen kann.

Tatsächlich konnte ich bisher immer, wenn ich tierhaltende Betriebe besucht habe, gute Gespräche führen, weil ich die Fleischproduktion eben nicht verteufele. Ich will mit allen relevanten Akteuren zusammenarbeiten, um dafür zu sorgen, dass es Tieren in Deutschland zukünftig besser geht. Übrigens sowohl im Heimtierbereich wie auch in der Landwirtschaft.  

Haben Sie vor, in Ihrem Amt auch den Veganismus in irgendeiner Form zu fördern?

Wir arbeiten aktuell an zahlreichen Projekten – von der Novellierung des Tierschutzgesetzes und der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung bis hin zu regelmäßigen Runden Tischen zur Lage der Tierheime in Deutschland und einer für dieses Frühjahr geplanten Tierschutzkonferenz. Das sind bereits ziemlich viele Projekte, auf die wir uns jetzt einmal konzentrieren wollen und von denen wir uns versprechen, dass sie den Tierschutz voranbringen.

Also ist nichts geplant, was speziell den Veganismus fördert?

Der Fokus liegt auf den schon genannten Themen. Ich finde es mittel- bis langfristig aber ein wichtiges Thema, zu dem ich auch Ideen habe. Ich fände es etwa hervorragend, wenn es ein einfaches Beratungstool gäbe, das landwirtschaftliche Betriebe dabei unterstützt, von der Tierhaltung auf den Eiweißpflanzenanbau umzusteigen. Es gibt zum Beispiel schweinehaltende Betriebe, die in den letzten Jahren ihren Betrieb auf die Pilzzucht umgestellt haben.

Ich halte es für wichtig, solche Veränderungen zu fördern, um einerseits zukünftig eine Vielfalt an veganen Lebensmitteln für Konsument:innen bereitzustellen und andererseits auch Landwirt:innen in diesen Wandel einzubeziehen.

Würden Sie denn gerne das Amt weiterführen, um sich solchen Themen zu widmen?

Es ist mir zunächst einmal wichtig, dass es dieses Amt weiterhin gibt, um den Tieren in der Bundespolitik eine Stimme zu geben. Deshalb halte ich es für richtig, dass diese Stelle auch im Tierschutzgesetz verankert werden soll. Alle weiteren Fragen und Details, die meine eigene Person betreffen, sind für mich erstmal nachrangig.

In einem Interview mit dem ARD-Magazin Bericht aus Berlin sagten sie: „Ich möchte über tierliche Bedürfnisse aufklären, weil Wissen Tiere schützt.“ Welche Bedingungen müssen zum Beispiel erfüllt sein, um sagen zu können: Diesem Schwein geht es gut?

In der Ethologie, also der Verhaltenslehre, ist beschrieben, was Schweine eigentlich im natürlichen oder naturnahen Umfeld machen.

Beim Sozialverhalten von Schweinen ist unter anderem wichtig, dass sie in Rotten leben. Da gibt es eine Altsau an der Spitze, dann folgen jüngere Sauen und schließlich die Frischlinge. Es wäre also toll, wenn sich diese sozialen Strukturen auch in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung ermöglichen ließen, damit die Tiere solche sozialen Verhaltensweisen ausleben können.

Ein weiterer Punkt ist die Nahrungsaufnahme, die bei Schweinen auch viel mit geistiger und körperlicher Beschäftigung zu tun hat. Ein Schwein ist in der Natur fast den ganzen Tag mit Wühlen und Suchen beschäftigt und verbindet deshalb die Nahrungsaufnahme mit der Erkundung des Umfelds. Für ein solches Tier ist es deshalb hochproblematisch, wenn es ausschließlich auf einem Vollspaltenboden in einer reizarmen Umgebung gehalten wird.

Vollspaltenboden Schwein
In einem Vollspaltenboden kann ein Schwein nicht wühlen (Foto: CC0 / Unsplash - Stephanie Poepken)

Zudem suhlen sich Schweine in Matsch, um ihre Körpertemperatur zu regulieren und um sich von Parasiten zu befreien. Ihnen diese Möglichkeit auch in der landwirtschaftlichen Haltung zu geben, ist deshalb für ihr Wohlbefinden unerlässlich.

Die Transformation der Nutztierhaltung zu mehr Tierwohl kostet jedoch Geld. Eine von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung in Auftrag gegebene Studie schätzt die Kosten auf jährlich etwa 3 bis 4 Milliarden Euro. Wo soll das herkommen? Von den Landwirt:innen selbst, von Subventionen oder gar von dem viel diskutierten Tierwohlcent?

Wir haben einen gesamtgesellschaftlichen Konsens, dass wir das Tierschutzniveau erhöhen wollen. Das bestätigen auch nahezu alle Umfragen zu dem Thema. Trotzdem fällt es vielen Verbraucher:innen schwer, diesen Wunsch nach mehr Tierschutz an der Supermarktkasse auch in eine Kaufentscheidung umzuwandeln, die diesem Ziel dient. Wenn wir das Tierwohl in unseren Ställen verbessern wollen, wird das deshalb nicht ohne eine angemessene finanzielle Unterstützung unserer Landwirt:innen funktionieren.

Ein Tierwohlcent als Instrument kann helfen, die finanzielle Unterstützung zu organisieren. Er könnte genau diese Lücke zwischen der eigentlichen gesellschaftlichen Einstellung und dem tatsächlichen Konsumverhalten ein Stück weit schließen.

Seit Anfang des Jahres gibt es auch ein neues staatliches Tierhaltungskennzeichen. Daran gibt es aber viel Kritik, da es nur für Schweine gilt und sich nur darauf bezieht, wie viel Platz und frische Luft die Tiere bekommen. Andere Faktoren, wie die tatsächliche Gesundheit der Tiere werden außer Acht gelassen. Finden Sie das Kennzeichen in der jetzigen Form ausreichend?

In der jetzigen Form – also als Kennzeichnung nur für Schweine und nur für die Periode der Mast – ist sie natürlich noch nicht ausreichend. Es müssen zum Beispiel auch die Haltungsform in der Ferkelaufzuchtphase, Transportzeit und weitere Tierarten berücksichtigt werden. Aber solche Ausweitungen sind beim BMEL derzeit schon in Planung.

Prinzipiell halte ich den jetzigen Ansatz eines staatlichen Tierhaltungskennzeichens in Kombination mit einer Herkunftskennzeichnung, auch für verarbeitete Lebensmittel, für richtig. Das ist wirklich eine Mammutaufgabe und man sollte die jetzige Form wirklich nur als ersten Schritt in die richtige Richtung sehen.

Angenommen Deutschland schafft es, die Haltungsbedingungen für Tiere drastisch zu verbessern und finanziert das unter anderem mit einer Tierwohlabgabe, sodass die Preise für Fleisch und andere Tierprodukte steigen. Wie lässt sich verhindern, dass Verbraucher:innen dann nicht einfach billigeres Fleisch aus dem Ausland importieren?

Ich denke, dass es nicht immer zielführend ist, auf die europäischen Regelungen zu warten. Wir sollten stattdessen nationale Tierschutzstandards setzen und damit andere EU-Mitgliedsstaaten dazu anregen, ihre Standards ebenfalls zu erhöhen. Deutschland kann hier eine internationale Vorreiterrolle einnehmen.

Eines müssen wir uns klarmachen: Deutlich mehr Tierwohl wird es nur geben, wenn wir den Bestand und damit auch den Konsum reduzieren und bewusster gestalten. Es geht darum, deutlich weniger Tiere deutlich besser zu halten. Und Teil meiner Arbeit ist es auch, hierüber aufzuklären.

Weitere Quelle: Bericht aus Berlin (X), BMEL (Machbarkeitsstudie)

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