Ein Gespräch mit dem Co-Präsidenten des „Club of Rome“, Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker, über falsche Glaubenssätze in der Ökonomie.
Der „Club of Rome“ hat sich wieder zu Wort gemeldet und einen neuen Bericht vorgelegt. Titel: „Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen“ (Gütersloher Verlagshaus, 2017, zu haben** u.a. bei Buch7, Ecobookstore, Amazon,). Der Bericht nimmt zu brennenden Fragen der Gegenwart Stellung.
Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker schildert, welche Rolle dabei die Kritik an klassischen Glaubenssätzen der Ökonomie spielt. Diese Dogmen aus der früher „leeren Welt“ beherrschen immer noch die heutige „volle Welt“ – obwohl sich die Rahmenbedingungen völlig gewandelt haben.
Konkurrenz belebt das Geschäft, Egoismus ist gesund, internationaler Handel bringt allen Beteiligten Vorteile. Das sind drei Glaubenssätze moderner Ökonomen. Sind die alle falsch?
Sie sind alle richtig, aber nur unter bestimmten Rahmenbedingungen. Treffen diese nicht zu, wird manches falsch. Ein Beispiel: Der klassische Ökonom Adam Smith formulierte im 18. Jahrhundert seine Idee der „unsichtbaren Hand“: Sie verwandle egoistisches Verhalten in Wohlstand für die Gesellschaft. Dabei ging Smith davon aus, dass die räumliche Reichweite des Marktes identisch war mit der Reichweite von Gesetz und Moral. Das hat den Markt in die Regeln von Gesetz und Moral fest eingebunden.
Heute ist der Markt global, was besonders für den Finanzmarkt gilt – und das Recht ist weitgehend national geblieben. Die Folge: Der Markt beeinflusst, ja erpresst geradezu die Gesetzgeber aller Länder, sich ständig so anzupassen, dass die Kapitalrendite hoch ist. Nur dann stecken Investoren ihr Geld in das jeweilige Land.
Das war auch die bittere Logik hinter der „Agenda 2010“ von Kanzler Gerhard Schröder. Die Investoren fanden, dass die Kapitalrenditen in Deutschland zu niedrig seien und machten die deutsche Sozialpolitik als Ursache dafür aus.
Die Antwort der Regierung war es, einen Niedriglohnsektor zu fördern. Dadurch sanken einige Lohnstückkosten. Die Wettbewerbsfähigkeit stieg kräftig an, und mit ihr der Exporterfolg der deutschen Industrie, oder?
Richtig, das war die Logik und das war der Effekt. Und Präsident Emmanuel Macron versucht jetzt in Frankreich genau das Gleiche, um in seinem Land endlich wieder höhere Investitionen und Wachstumsraten herbeizuführen. Adam Smith hätte diese Art Erpressung der Länder durch die globalen Finanzmärkte vermutlich scharf kritisiert.
Verwandt damit ist die Geschichte mit David Ricardo …
… der sich für freien Handel zwischen den Ländern eingesetzt hat, zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Er ist der Prophet des Freihandels; Ricardo hat absolut richtig gedacht. Sein berühmtes Beispiel war der Handel zwischen Portugal und England: Die Portugiesen produzierten viel mehr Wein und Trauben, als sie selbst verbrauchen. Und die Briten stellten viel mehr Textilien her, als sie je selbst anziehen wollten.
Es war für beide Länder gut, Handel zu treiben und die überschüssigen Produkte auszutauschen.
Lässt sich dieses Denkmodell nicht einfach in die Gegenwart übertragen?
Im Prinzip ja, aber Ricardo ging davon aus, dass das Kapital ortsfest bleibt. Das Maschinenkapital der Textilproduktion blieb in England. Und das Kapital der Weinstöcke in Portugal. Auch das Geldkapital blieb ortsfest und wanderte nur zur Bezahlung von Trauben oder Textilien usw. nach draußen.
Dagegen ist heute der Weltmarkt wesentlich ein Finanzmarkt. Fast mit Lichtgeschwindigkeit saust das Kapital um die Welt. Von hundert Dollar werden hiervon nur etwa zwei Dollar verwendet um Waren oder Dienstleistungen zu bezahlen. Die restlichen 98 Dollar sind ausschließlich Kapitaltransfers, also spekulative Geldströme. In diesen steckt die Erpressungskraft. Und es gibt echte Verlierer, was bei David Ricardo nicht vorkam.
Lag Donald Trump vielleicht richtig?
Da könnten fast Sympathien für Donald Trump entstehen. Er hat ja mit seinem Motto „America first“ dem Freihandel den Kampf angesagt. Liegt er wenigstens mit seiner Diagnose richtig?
Seine Diagnose ist nicht ganz falsch. Er gewann viele Verlierer als seine Wähler. Aber Protektionismus ist die falsche Antwort.
Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Protektionismus à la Trump bedeutet, legitime Wettbewerbsvorteile wegzubremsen, etwa von Mexiko gegenüber den USA. Dann kommt der amerikanische Präsident zu der absurden Idee einer Mauer, die Mexiko auch noch bezahlen soll. Das arrogant gewordene Kapital lässt er dagegen ungeschoren. An der Erpressung durch die Finanzmärkte ändert er gar nichts.
Die Ortsbindung des Kapitals ist zwar nicht mehr herzustellen. Aber die Welt kann theoretisch Bedingungen vereinbaren, unter denen Erpressung und Gaunereien des Kapitals eingedämmt werden.
Wir müssten vereinbaren, dass Steuern in dem Land bezahlt werden, wo das Geld verdient wurde. Kapital, das Arbeitsplätze vernichtet, die Umwelt ruiniert oder die Demokratie unterhöhlt muss dort scharf besteuert werden dürfen, wo das Unheil angerichtet wird. Steueroasen müssen abgebaut werden, eine Kapitaltransfersteuer sollte endlich eingeführt werden, und die Handelsverträge dürfen nicht jeden Umweltschutz als Handelshemmnis brandmarken.
Ist das realistisch?
Nein, natürlich nicht in einer Welt, in der der Zeitgeist noch blind ist gegenüber den enormen Schadenswirkungen des radikalen Finanzkapitalismus. So wie in der Zeit des Absolutismus der Fürstenhöfe die Demokratie unrealistisch war. Doch dann kam die Aufklärung, und mit ihr schließlich die Demokratie.
Wettbewerb ist kein Darwinismus
Bleibt noch die Frage, ob Konkurrenz wirklich das Geschäft belebt. Als Biologe werfen Sie einen speziellen Blick auf Charles Darwin.
Charles Darwin wird gerne zitiert, als hätte er gesagt, dass Wettbewerb aller gegen alle gut für die Evolution sei. Das hat er aber nie behauptet. Sicher: Er hat einen Wettbewerb der Arten beobachtet, besonders wenn sie einander ähnlich sind. Aber dieser Wettbewerb fand jeweils in geografischen oder klimatischen Grenzen statt.
Den letzten Schliff gab Darwin seiner Evolutionstheorie, als er die Galápagos-Inseln besuchte. Dort stellte er bei Abkömmlingen von einst dort gestrandeten Finken fest: Diese Inselvögel waren durch tausend Kilometer Ozean vor dem Wettbewerb mit den Kontinentalvögeln geschützt.
Was hatten die Finken auf Galápagos davon?
Es entstand eine Finken-Evolution. Einige entwickelten Schnäbel und Muskeln ähnlich wie Papageien. Andere lernten, Kaktusdornen abzuzwacken und mit diesen die Reichweite ihres Schnabels so zu verlängern, dass sie wie Spechte in der Borke Würmer angeln konnten. Wären die kontinentalen Papageien und Spechte auch auf die Inseln gelangt, hätte diese Finken-Evolution keine Chance gehabt.
Was heißt das jetzt für die menschliche Gesellschaft? Bis zur Aufklärung im 18. Jahrhundert dominierte auf dem Papier ein christliches Menschenbild, im Zentrum standen Werte wie die Nächstenliebe. Dann folgt eine Epoche, die egoistisches Handeln moralisch und ökonomisch legitimiert – bis hin zum Sozialdarwinismus.
Naja, der Absolutismus hatte weniger mit Nächstenliebe als mit Feldzügen zu tun. Das hat die Aufklärung trotz Kants Schrift zum ewigen Frieden leider nicht überwunden. Durch Darwins späten Zeitgenossen Herbert Spencer ist die kriegerische Denke noch verschärft worden und wurde zum Ausgangspunkt des ökonomistischen Kampfes ums Dasein.
Immerhin haben 150 Jahre Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert den Weg für einen friedlichen Wettbewerb durch freie Wahlen in der Demokratie geebnet. Das war ein wirklicher Fortschritt.
Aber etwas ist bei diesem Prozess schief gegangen?
Ja, gute und friedvolle Moralvorstellungen der christlichen Kirchen sind leider ebenso verschüttet worden wie hässliche. Adam Smiths Lob auf die guten Wirkungen des Eigennutzes haben sich verselbständigt, und es entstand ein ethisches Vakuum.
Der Markt ist kein Heiligtum
Bekam damit das Streben nach maximaler Rendite ein moralisches Fundament?
Ja, aus dem ethischen Vakuum wuchs eine Art moralischer Absegnung von Egoismus und Utilitarismus sowie im Gefolge eine Verachtung des Staates, der Regeln setzt.
Amerikanische Ökonomen und neoliberale Politiker schimpfen ohne Ende auf den Staat, auf die Steuerlast, auf die „Bürokratie“, die eine Entfaltung des materiellen Egoismus einschränkt. Diese puristisch marktwirtschaftliche Denke blendet zynisch aus, was kluge Vorväter wie Smith, Ricardo und Darwin wirklich gesagt und gemeint haben. Sie beruft sich zwar auf diese klassischen Ökonomen, erklärt aber den Markt zum Heiligtum und den Staat zum dummen August.
Also ist der neue Bericht des Club of Rome tief pessimistisch?
Höchstens bezüglich der Grenzen des Wachstums. Die Erde verträgt es nicht, wenn sich die Bevölkerung auf neun bis elf Milliarden Menschen vermehrt, und es zu einem rasenden Wachstum des Konsums kommt. Die „volle Welt“ braucht ein neues Denken, ja sogar eine neue Aufklärung, und eine neue Balance zwischen Markt und Staat. Der ganze dritte Teil des Buches zeigt, dass es schon heute phantastische Optionen gibt, mit den Problemen der „vollen Welt“ fertig zu werden, zum Beispiel beim Klimaschutz. Wir sagen auch, was für Regeln hochgehalten oder neu eingeführt werden sollten – und wie sich in der „vollen Welt“ ein gutes Auskommen erreichen lässt. Das ist durch und durch optimistisch.
Der Beitrag erschien ursprünglich im Triodos-Bank-Blog diefarbedesgeldes.de
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