Ein Interview mit Christiane Kliemann über die Notwendigkeit eines sozial-ökologischen Wandels.
Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch gehen Hand in Hand. Brummt die Wirtschaft, leidet auch die Umwelt. Lässt sich dies entkoppeln? Nein, meint die Journalistin und Wachstumskritikerin Christiane Kliemann. Suffizienz im globalen Norden sei unumgänglich, um einen weltweiten Kollaps zu verhindern.
Ist „grünes Wachstum“ möglich?
Christiane, 2009 ist aufgrund der Finanzkrise nicht nur das weltweite Wirtschaftswachstum eingebrochen, sondern auch der CO2-Ausstoß. Zwischen Wirtschaftswachstum und der Emission des Klimagases scheint es eine Korrelation zu geben. Da liegt die Frage nahe: Ist „grünes“ Wachstum überhaupt möglich?
Aus meiner Sicht ist es nicht möglich. Wenn die Wirtschaft wächst, wächst auch immer der Naturverbrauch – alle natürlichen Ressourcen sind betroffen, nicht nur die CO2-Emissionen. Die zentrale Frage im Wachstumsdiskurs lautet ja: Können wir Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch entkoppeln? Bis jetzt ist uns diese Entkopplung immer nur relativ betrachtet gelungen, nicht in der Summe.
Viele Technologien wurden ja schon seit Jahrzehnten deutlich effizienter, brachten also mehr Leistung bei weniger Emissionsausstoß oder Ressourcenverbrauch. Absolut gesehen, nahmen jedoch sowohl Emissionen, als auch Ressourcenverbrauch immer weiter zu. Es scheint also, als würde das Wirtschaftswachstum unsere Effizienzgewinne auffressen. Da kann von absoluter Entkopplung nicht die Rede sein.
Der weltweite CO2-Ausstoß scheint derzeit auf hohem Niveau zu stagnieren. Kann das ein erstes Anzeichen für eine Entkopplung sein?
Es ist noch zu früh zu sagen, ob ein absolutes Entkoppeln eingesetzt hat. Gerade Chinas Wirtschaft wächst bei Weitem nicht mehr in dem Maße, in dem sie noch vor einigen Jahren gewachsen ist. Selbst wenn ein leichter Entkopplungseffekt eingesetzt hätte, wäre es jedoch extrem unwahrscheinlich, dass dieser ausreicht: Um innerhalb unsere Klimabudgets zu bleiben, müssten alle frühindustrialisierten Länder ihren Emissionsausstoß jedes Jahr um acht bis zehn Prozent verringern. Das wird alleine mit technischer Effizienz nicht möglich sein.
Woran liegt es, dass trotz technologischem Fortschritt der Ressourcenverbrauch nicht abnimmt?
Grund dafür sind sogenannte Rebound-Effekte. Wenn Technologien immer effizienter und damit auch billiger werden, führen sie zum Beispiel dazu, dass sie immer stärker genutzt werden.
Wer sich beispielsweise ein Elektroauto kauft, kommt schnell in Versuchung damit auch viel zu fahren und es für Strecken zu nutzen, für die er oder sie zuvor vielleicht das Fahrrad genommen hätte.
Werden grüne Technologien billiger, bleibt Geld für andere Dinge übrig – etwa um in den Urlaub zu fliegen, um nur zwei der verschiedenen Rebound-Effekte zu nennen. Ohne diese ließe es sich nicht erklären, dass unsere Technik seit Jahrzehnten immer effizienter wird, wir aber trotzdem immer mehr Natur verbrauchen.
Degrowth will nicht die Wirtschaft schrumpfen
Befürworter des Degrowth-Ansatzes fordern eine Abkehr vom Wirtschaftswachstum. Heißt das, wir brauchen eine Rezession, um zukunftsfähig zu sein?
Es ist natürlich nicht das erklärte Ziel von Degrowth, die Wirtschaft zu schrumpfen. Das ist Quatsch. Degrowth sagt nur, dass die Schrumpfung der Wirtschaft im globalen Norden die notwendige Begleiterscheinung einer Politik sein wird, die ökologische Nachhaltigkeit und globale soziale Gerechtigkeit wirklich ernst nimmt. Die also auf das gute Leben für wirklich alle auf einem langfristig gesunden Planeten abzielt.
Degrowth ist weit davon entfernt zu sagen, dass die Volkswirtschaften auf der ganzen Welt schrumpfen müssen. Es geht nicht darum zu sagen, dass etwa afrikanische Länder nicht mehr wachsen dürfen. Degrowth ist eine Bewegung aus dem globalen Norden für den globalen Norden.
Mit Blick auf die ganze Welt übernutzen wir im globalen Norden massiv das, was uns zusteht. Die Klimakatastrophe und weitere Katastrophen haben wir durch unseren Lebensstil verursacht, durch unsere Art und Weise zu produzieren und zu konsumieren, die wir dann in die ganze Welt exportiert haben.
Es geht hier allerdings vorrangig nicht um individuelle Lebensstile, sondern um das System, das diese Lebensstile hervorgebracht hat. Auch hier im globalen Norden geht es also nicht um eine Rezession – also eine wachstumsabhängige Wirtschaft, die einfach nicht mehr wächst – sondern um einen intelligenten Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Um Ulrich Brand zu zitieren: Der Kuchen muss nicht nur kleiner und anders verteilt, sondern vor allem ganz anders gebacken werden.
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Uns wird von Kindesbeinen an eingeimpft, uns nicht mit dem Erreichten zufrieden zu geben, sondern nach Mehr zu streben. Wenn wir das nicht mehr tun, wie kommt es dann zu neuen Innovationen?
Natürlich kann es auch dann zu Innovationen kommen. Ich finde den Begriff der Innovation insgesamt sehr unkreativ und einseitig besetzt. Wenn von Innovation gesprochen wird, ist immer bloß die Rede von technischen Innovationen, die zu allem Überfluss oft noch in den Händen weniger großer Konzerne liegen.
Für mich ist Innovation auch eine soziale Innovation. Die Antwort auf die Frage: „Wie können wir uns intelligent umorganisieren, um die Bedürfnisse Aller möglichst gut zu erfüllen, ohne der Biosphäre zu schaden?“ Wir können nicht immer alles über Technik regeln und uns immer abstrusere Technologien ausdenken, nur um an uns und unserer Wirtschaft nichts verändern zu müssen. So gesehen ist die Technikgläubigkeit gerade innovationsfeindlich. Gleichzeitig können natürlich auch in einer Degrowth-Gesellschaft neue Techniken und Technologien entstehen.
Wichtig ist doch vor allem die Frage, wofür und in welchem Maße Technologien eingesetzt werden. Nur weil wir bestimmte Technologien zu Verfügung haben, müssen wir sie ja nicht ohne Sinn und Verstand überall einsetzen. Technologie muss immer Mittel für klar definierte Zwecke bleiben und darf nicht zum Selbstzweck werden.
Was müssten wir stattdessen tun?
Wirklich innovativ wäre es, die Debatte um die planetarischen Grenzen und unsere Werte zu verbinden und über Gerechtigkeit zu sprechen. Es kann nicht sein, dass wir Konsumverzicht Hartz-IV-Empfängern gleichermaßen aufs Auge drücken wie Reichen. Es dürfen keine Menschen durch die Abkehr vom Konsum hinten runterfallen. Die ökologische und die soziale Frage hängen stark zusammen. Nur die Menschen, deren Grundbedürfnisse gesichert sind, können achtsam mit der Natur umgehen.
Die Rolle der Kreislaufwirtschaft
Welche Rolle spielt die Kreislaufwirtschaft in Zukunft?
Ich glaube, dass einzelne Konzepte wie das der Kreislaufwirtschaft immer von dem größeren Kontext anhängen, in den sie eingebettet sind. Es gibt die drei Nachhaltigkeitsstrategien der Konsistenz, der Effizienz und der Suffizienz.
Effizienz heißt, wir versuchen das Gleiche mit weniger zu erreichen, Konsistenz bedeutet, die Art und Weise zu produzieren zu verändern – also zum Beispiel möglichst kreislaufförmig zu gestalten. Für meine Begriffe können diese Konzepte nur Sinn machen, wenn sie in eine Suffizienz eingebettet sind, in eine Wirtschaft des Genug.
Im globalen Norden haben wir viel mehr als genug materiellen Wohlstand. Hier können wir runterfahren und schauen, wie viel genug ist – gerechte Verteilung vorausgesetzt. Dieses Genug dann unter anderem auch durch Kreislaufwirtschaft und durch stärkere technische Effizienz erreicht werden. Im globalen Süden haben viele Menschen noch nicht genug. Da ist Luft nach oben.
Serge Latouche, ein Vordenker der Degrowth-Bewegung, bringt eine „selektive Wachstumsrücknahme“ ins Spiel. Ihm geht es um die Umverteilung von Ressourcen zwischen privatem und öffentlichem Konsum. Sind meine Anstrengungen als Privatmensch nachhaltig zu leben verlorene Liebesmüh?
Es geht tatsächlich nicht darum zu sagen, dass jeder Privatmensch seinen Konsum reduzieren muss. Stattdessen ist es die Aufgabe der Kommunen, der Politik und der Zivilgesellschaft auszuhandeln, wie wir gemeinschaftlich zu einem geringeren Ressourcenverbrauch kommen.
Es braucht andere Stellschrauben, politische, gesellschaftliche und ökonomische. Unnachhaltiges, unsoziales Verhalten muss erschwert, nachhaltiges und soziales Verhalten gefördert werden. Gleichzeitig kann es natürlich schon eine wichtige Übung sein, den eigenen Konsum schrittweise runterzufahren. Menschen, die das tun, werden in der Regel für die Notwendigkeit eines sozial-ökologischen Wandels sensibilisiert und engagieren sich entsprechend.
Wie realistisch ist es, dass nicht nachhaltiges Leben erschwert wird?
Momentan erscheint es mir nicht sehr realistisch, dass sich auf politischer und gesellschaftlicher Ebene eine Mehrheit dafür finden lässt. Ich glaube, dass die meisten Menschen einem kollektiven Verdrängungsprozess unterliegen. Aber gerade die Vorstellung, dass unser Leben und unsere Wirtschaft ewig so weiter gehen können, halte ich für komplett unrealistisch.
Einschneidende Veränderungen sind unausweichlich. Das Schlimme ist, dass wir heute nicht wissen, wie diese Veränderungen vonstattengehen. Fliegt uns alles um die Ohren, einhergehend mit sozialen Katastrophen? Oder schaffen wir einen solidarischen und kooperativen Wandel? Nur von der Vorstellung, dass es realistisch ist, dieses System aufrechtzuerhalten, müssen wir uns ganz schnell verabschieden.
Christiane Kliemann ist freie Journalistin und schreibt, hält Vorträge und Workshops zu den Themen Postwachstum, Degrowth, gesellschaftlicher Wandel und Tiefenökologie. Zuvor hat sie beim UN Klimasekretariat UNFCCC in Bonn gearbeitet. Christiane ist Mitglied des #nachhaltige100-Rankings und auf Twitter hier zu finden.
Der Beitrag erschien ursprünglich im Triodos-Bank-Blog diefarbedesgeldes.de
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