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Nie wieder abreißen – Für einen Paradigmenwechsel in der Stadtplanung

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Foto: CC0 / Unsplash / Rumman Amin

Die urba­ne Woh­nungs­not wird grö­ßer, die Kli­ma­ka­ta­stro­phe aber auch. Um bei­des zu lösen, brau­chen wir einen Para­dig­men­wech­sel in der Stadt­pla­nung — ohne Zement und Neubauten.

Bei der Fra­ge nach einer nach­hal­ti­gen und schließ­lich kli­ma­neu­tra­len Stadt gibt es einen zen­tra­len Aspekt, der fast aggres­siv ver­schwie­gen wird: Das Bau­en ist so, wie es in den letz­ten Jahr­zehn­ten prak­ti­ziert wur­de, in hohem Maße toxisch für die Umwelt. Zement zum Bei­spiel ist ein ech­ter Kli­ma­kil­ler, sei­ne Her­stel­lung ist welt­weit für acht Pro­zent der Treib­haus­gas­emis­sio­nen ver­ant­wort­lich, zudem ist er schlecht recy­c­le­bar. Und in Deutsch­land ver­ur­sacht das Bau­en mehr als 200 Mil­lio­nen Ton­nen an Bau- und Abbruch­ab­fäl­len jähr­lich, das sind über fünf­zig Pro­zent des Abfallaufkommens.

Ganz ein­fach gesagt: Kon­ven­tio­nel­les Bau­en mit Beton und Stahl ist mit dem Kon­zept einer kli­ma­neu­tra­len Stadt nicht ver­ein­bar. Klar ist, die Städ­te in aller Welt wach­sen rasant – und wo sol­len die gan­zen Men­schen woh­nen? Die­se Fra­ge hat eine erheb­li­che sozia­le Trag­wei­te. Auch in Deutsch­land ist der Wohnungsbau längst auf der Ebe­ne der Bun­des­po­li­tik ange­kom­men und eines der Top-Wahl­kampf­the­men. Was dabei über­rascht: Allein 2018 wur­den sta­tis­tisch gesehen 172.000 Woh­nun­gen zu viel gebaut. Dies ergibt sich aus dem Bevöl­ke­rungs­an­stieg von 227.000 Ein­woh­nern und rech­ne­risch dafür benö­tig­ten 113.500 Wohn­ein­hei­ten. Tat­säch­lich wur­den aber in die­sem Zeit­raum 285.900 Wohn­ein­hei­ten neu gebaut. Das erscheint als kras­ser Wider­spruch für alle die­je­ni­gen, die erfolg­los auf der Suche nach einer bezahl­ba­ren Woh­nung sind.

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Im Jahr 2018 wurden in Deutschland 285.900 neue Wohneinheiten gebaut. (Foto: CC0 / Unsplash / Guillaume Techer)

Immo­bi­li­en­bran­che man­tra-artig von ​„Bau­en, Bau­en, Bau­en“

Wer jetzt sagt, das gilt nicht für die Metro­po­len, dem sei fol­gen­des Zah­len­ver­hält­nis ans Herz gelegt: Die Stadt Ber­lin ist 2018 um 31.300 Ein­woh­ner gewach­sen, sta­tis­tisch hät­te es dafür 15600 neue Woh­nun­gen gebraucht – gebaut wur­den aber sogar 16706 neue Woh­nun­gen (Vgl. Interview mit Daniel Fuhrhop, Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Oldenburg)”. Den­noch ruft die Immo­bi­li­en­bran­che man­tra-artig von ​„Bau­en, Bau­en, Bau­en“. Die For­de­rung nach mehr Neu­bau folgt dem makro­öko­no­mi­schen Mus­ter, dass der Preis (also die Mie­te) sich schon regu­lie­ren wür­de, wenn das Ange­bot stimmt – doch die­se Glei­chung geht schon durch Zweck­ent­frem­dung in Milieu­schutz­ge­bie­ten, Airb­nb und spe­ku­la­ti­ven Leer­stand nicht auf.

Die stän­di­ge For­de­rung nach Neu­bau­ten ist des­halb naiv oder lob­by­is­tisch moti­viert – und lässt die Fra­ge des Über­le­bens des Pla­ne­ten außer Acht. Boden ist kein belie­big ver­mehr­ba­res Gut – schon gar nicht in Ber­li­ner Bezir­ken wie Fried­richs­hain-Kreuz­berg. Bau­en braucht Zeit – eine Woh­nung, die heu­te benö­tigt und nach­ge­fragt wird, ist erst zwei bis drei Jah­re spä­ter bezugs­fer­tig. Das Bau­en in der gegen­wär­ti­gen Form igno­riert meist die Fra­ge, was gebaut wer­den soll, für wen und von wem – und vor allem, in wel­cher Art und Wei­se. Sinn­vol­le Ant­wor­ten auf die­se Fra­gen kom­men weder von der Poli­tik noch aus dem Bau­sek­tor selbst. Wer genau­er hin­schaut fin­det ers­te gute Ansät­ze in Bür­ger­initia­ti­ven oder Zusam­men­schlüs­sen wie dem Netz­werk ​“Immo­vie­lien”, einer Platt­form für gemein­wohl­ori­en­tier­te Akteu­re rund um das The­ma Bauen.

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Trotz Bauboom ist es schwierig in Berlin eine bezahlbare Wohnung zu finden. (Foto: CC0 / Unsplash / Jonas Tebbe)

Die Immo­bi­li­en­bran­che ver­steht unter Nach­hal­tig­keit kein zukunfts­ori­en­tier­tes, ganz­heit­li­ches Han­deln unter Berück­sich­ti­gung der Lebens­zy­klus­kos­ten, son­dern ein ​“Wei­ter so”, viel­leicht ergänzt um neue, ver­meint­lich smar­te Tech­no­lo­gi­en. Unser CO2-Kon­to ist längst ver­braucht. Wenn wir Nach­hal­tig­keit ernst neh­men, sind die Kli­ma­zie­le nicht mit neu­en smar­ten Tech­no­lo­gi­en zu errei­chen, son­dern fast aus­schließ­lich mit dras­ti­scher Reduk­ti­on. In Deutsch­land beträgt die durch­schnitt­li­che Wohn­flä­che 46,5 Qua­drat­me­ter pro Kopf – Ten­denz stei­gend. Da stellt sich die Fra­ge nach der Suf­fi­zi­enz, und ob das eine rich­ti­ge Ent­wick­lung ist. Die nach­hal­tigs­te Art zu bau­en ist ein­deu­tig – und da dürf­ten sich alle einig sein – nicht zu bau­en. Es ist im Übri­gen auch sach­lo­gisch, dass die Mie­te in einem Bestands­ge­bäu­de gerin­ger ist, als die Mie­te, die an der­sel­ben Stel­le in einem Neu­bau gezahlt wer­den muss, die nicht nur die Kos­ten für den Abriss, son­dern auch den Neu­bau selbst erwirt­schaf­ten muss. Die­ser Logik fol­gend, müss­te es ein gene­rel­les Abriss­ver­bot geben.

In Bezug auf Immo­bi­li­en müs­sen wir ganz­heit­lich betrach­tet nicht nur den lau­fen­den Ener­gie­ver­brauch einer Immo­bi­lie berück­sich­ti­gen, son­dern auch die Lebens­zy­klus­kos­ten und den CO2-Ruck­sack, den das kon­ven­tio­nel­le Bau­en mit sich trägt – von der Erstel­lung bis zur Ent­sor­gung. Der CO2-Aus­stoß bei der Pro­duk­ti­on von Bau­ma­te­ria­li­en wird fast immer aus­ge­blen­det, was dadurch erleich­tert wird, dass immer noch kei­ne ver­nünf­ti­ge Beprei­sung von CO2 exis­tiert. Wenn man einen rea­lis­ti­schen Preis für CO2 in Form einer CO2-Steu­er von 180 Euro pro Ton­ne zugrun­de legt, wie es von Sci­en­tists for Future und ande­ren gefor­dert wird, wür­de das den End­preis von Beton bei­spiel­wei­se fast verdoppeln.

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Anstatt Häuser abzureissen und neu zu bauen, wäre eine Renovierung viel klimafreundlicher. (Foto: CC0 / Pixabay / vhsPfaffenhofen)

Es stellt sich also öko­no­misch, öko­lo­gisch und kul­tu­rell die Fra­ge: Was wäre, wenn wir ein Abriss­ver­bot hät­ten? Tat­sa­che ist: Wir müs­sen mit res­sour­cen­scho­nen­den, loka­len, nach­wach­sen­den Mate­ria­li­en arbei­ten – in ers­ter Linie und soweit kon­struk­tiv und brand­schutz­tech­nisch mög­lich mit Holz, Lehm und Hanf. Ein Sze­na­rio, das sich in der Kon­se­quenz eines Abriss­ver­bo­tes in Kom­bi­na­ti­on mit einer ver­nünf­ti­gen Post-Wachs­tums­ge­sell­schaft mani­fes­tiert, wäre zum Bei­spiel eine Land­schaft diver­ser leer­ste­hen­der Shop­ping-Malls. Die­se dann ein­fach abzu­rei­ßen, wäre für vie­le Kon­sum­kri­ti­ker sicher­lich eine gro­ße Genug­tu­ung – und gleich­zei­tig sind sie ein wert­vol­les Mahn­mal einer Kon­sum­ge­sell­schaft, an der wir um ein Haar kaputt gegan­gen wären.

Die­se lee­ren Ein­kaufs­zen­tren lie­ßen sich wun­der­bar nach­nut­zen, indem sie etwa zu ver­ti­ka­len Gewächs­häu­sern und Aqua­po­nik-Anla­gen (das ist die Gemü­se­zucht in erd­lo­sen Was­ser-Anla­gen, die etwa in Tel Aviv schon heu­te im gro­ßen Stil betrie­ben wird) umfunk­tio­niert wer­den. Sie kön­nen ohne lan­ge Trans­port­we­ge die Stadt mit Nah­rungs­mit­teln ver­sor­gen. Auf den Dächern wer­den kom­mu­na­le Gär­ten ent­ste­hen, die auch Treff­punkt und zusätz­li­che Grün­flä­chen in der Stadt sind. Die Stadt wür­de so suk­zes­si­ve zu einer grü­nen Oase, die sogar im Stan­de ist, einen posi­ti­ven Bei­trag zum Kli­ma­schutz zu leisten.

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Leerstehende Flächen sollten sinnvoll für Gemeinschafts- und Klimaprojekte genutzt werden. (Foto: CC0 / Unsplash / Karl Kohler)

Ein posi­ti­ves Bei­spiel dafür, wie bereits begon­nen wird, zen­tral gele­ge­ne und nicht aus­rei­chend genutz­te Flä­chen nach­zu­nut­zen, ist auf dem Park­haus im Ring-Cen­ter 2 in Ber­lin ent­stan­den. Hier ist auf dem obers­ten und fast nie von Auto­fah­rern benutz­ten Park­deck ein Hotel mit 152 Zim­mer in Holz­mo­dul­bau­wei­se ent­stan­den. Es wur­de also eine inner­städ­ti­sche Bra­che nach­ge­nutzt und mit einer Bau­wei­se ver­dich­tet, die auf­grund des Mate­ri­al­ein­sat­zes in der Her­stel­lung kli­ma­neu­tral oder sogar bes­ser ist, weil das Holz aus nach­hal­ti­ger Forst­wirt­schaft mehr CO2 gespei­chert hat, als durch Ver­ar­bei­tung und Trans­port anfällt.

In einem ande­ren bei­spiel­haf­ten Pro­jekt wur­den in einem leer­ste­hen­den und dem Abriss geweih­ten Indus­trie­ge­bäu­de in einem süd­li­chen Stadt­teil Ber­lins leer­ste­hen­de Flä­chen so her­ge­rich­tet, dass sie jetzt über 60 Künst­ler­ate­liers beher­ber­gen. Direkt gegen­über wur­de hin­ge­gen eine bestehen­de Immo­bi­lie platt gemacht, um eine Logis­tik­hal­le für einen rie­si­gen Ver­sand­händ­ler zu bau­en. Hier fah­ren nun die pre­kär beschäf­tig­ten Kurie­re in ihren Die­sel­kut­schen ein und aus, um im Inter­net bestell­te Waren inner­halb von weni­gen Stun­den in die Stadt aus­zu­lie­fern. Genau wie die Ent­wick­lung neu­er Shop­ping-Malls in Ber­lin ist dies eine höchst denk­wür­di­ge Ent­wick­lung und völ­lig ent­ge­gen der Uto­pie einer kli­ma­ge­rech­ten Stadt, der kur­zen Wege und der loka­len Produktion.

Wenn wir ein Abriss­ver­bot hät­ten, wür­den wir also nicht nur ver­wais­te Shop­ping­cen­ter auf nach­hal­ti­ge Wei­se nach­nut­zen und in den Dienst der Stadt­ge­sell­schaft stel­len, wir wür­den auch ver­hin­dern, dass wei­ter Ver­wer­tungs­phan­ta­si­en von Inves­to­ren ange­heizt wer­den. Dass die Boden­prei­se in Bal­lungs­räu­men immer neue Höhen errei­chen, liegt auch an der fort­wäh­ren­den Befrie­di­gun­gen von Ren­di­te­ver­spre­chen und Ver­dich­tung des Stadt­raums mit Hoch­häu­sern, Mikro­apart­ments oder Kapselhotels.

Der Beitrag erschien ursprünglich im waswärewenn-Magazin sowie im Triodos-Bank-Blog diefarbedesgeldes.de

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