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Steffen Meyn ist im Hambacher Forst gestorben: 5 Jahre später kommen seine Aufnahmen ins Kino

Steffen Meyn
Foto: © W-Film

Die Proteste im Hambacher Forst bewegten die ganze Republik. 2018 eskalierte der Konflikt. Bei der Räumung des Waldes kam der Journalist Steffen Meyn ums Leben. Die Dokumentation „Vergiss Meyn nicht“ setzt dem mutigen Beobachter ein Denkmal und gibt durch dessen Perspektive einen authentischen Einblick in die Gedankenwelt der Waldbesetzerszene.

Es ist der Herbst 2018. Schon seit Jahren besetzen Aktivist:innen den Hambacher Forst, der zwischen Köln und Aachen liegt. Der Energiekonzern RWE will den Wald roden und die Landesregierung Nordrhein-Westfalen gibt grünes Licht. Doch viele haben etwas dagegen und sich aus Protest in Baumhäusern niedergelassen. Ihre Botschaft: Solange wir in den Bäumen sitzen, könnt ihr sie nicht fällen. Die Lage spitzt sich zu, als der Forst zur Räumung freigegeben wird. Über tausend Polizist:innen sollen die Widerständler:innen aus dem Wald vertreiben. Es kommt zur Tragödie. Der Journalist Steffen Meyn, der das Geschehen mit einer Kamera begleitet, stürzt vom Baum und stirbt.

Meyns Aufnahmen haben den Fall jedoch überstanden. Sein Wunsch, über die Geschehnisse im Hambacher Forst aufzuklären, lebt weiter und wird Jahre später von seinen einstigen Kommiliton:innen vollendet. Das Ergebnis, der Dokumentarfilm „Vergiss Meyn nicht“ von Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff, kommt am 21. September 2023 in die deutschen Kinos – fünf Jahre und zwei Tage nach Meyns Tod.

Mulmiges Gefühl von Anfang bis Ende

Es passiert zunächst nicht viel in der ersten Szene von „Vergiss Meyn nicht“. Eine 360-Grad-Kamera liegt auf dem Waldboden. Aus ihrer Sicht schweift der Blick in die Baumkronen zu den unbewohnten Hütten der Hambi-Protestbewegung. Es ist ein Standbild untermalt von ruhigen, aber unheilschwangeren Klängen. Als die Aufnahme endlich weiterläuft, herrscht Chaos. Polizist:innen eilen zu einem Baum in der Nähe. Leidvolle Schreie übertönen ihre Konversation. Aus der Ferne schallen die Worte: „Ihr Mörder!“

„Vergiss Meyn nicht“ braucht nicht lange, um klar zu machen, dass es um den Tod eines Menschen geht, dessen letzte Tage in den restlichen 95 Minuten des Films gezeigt werden. Ein mulmiges Gefühl macht sich breit, das selbst die schönen und teils sogar lustigen Momente, die Steffen Meyn in der Hambi-Kolonie erlebt, überschattet.

Im Herbst 2017 begibt sich der „Regisseur / Künstler / Journalist“, wie er sich selbst auf seinem Twitter-Profil bezeichnet, erstmals in den Hambacher Forst. Er hat sich eine 800 Euro teure 360-Grad-Kamera gekauft, um einen vollumfänglichen Einblick in die dortige Parallelgesellschaft werfen zu können. Hier, wo Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen, um einen Wald zu retten; wo eine alternative Art des Zusammenlebens entsteht, die nicht der kapitalistischen Leistungslogik folgt; wo angesichts des Klimawandels maximales Unverständnis dafür herrscht, jetzt noch einen Wald für Kohle abholzen zu wollen.

Authentischer Einblick in die Waldbesetzerszene

Dass „Vergiss Meyn nicht“ mehr ist als nur ein paar verwackelte Aufnahmen eines jungen Mannes, der in Bäumen herumklettert, hat mehrere Gründe. Der wichtigste ist Steffen Meyn selbst, der mit seiner offenen Art schnell das Vertrauen der eingeschworenen Hambi-Gemeinschaft gewinnt und so authentische und bewegende O-Töne aus den dortigen Menschen herausbekommt, wie es wohl nicht viele hinbekommen hätten.

Hinzu kommen Interviews mit den einstigen Protestler:innen, die Jahre später extra für die Dokumentation geführt wurden. Es zeigt sich: Die teils maskierten Waldbesetzer:innen sind keine auf Krawall gebürstete Öko-Extremist:innen – zumindest nicht alle. Viele von ihnen hinterfragen ihren Protest sehr genau, haben Zweifel an ihren Methoden und keine Lust auf gewaltsame Konflikte. Doch sie alle eint die Überzeugung, dass der Hambacher Forst nicht abgeholzt werden durfte. Dafür waren sie bereit viel zu opfern. Ob sie für ihre Überzeugung jedoch auch in den Tod gegangen wären, ist eine der zentralen Fragen der Dokumentation.

Dass es ausgerechnet ein friedlicher, zu keiner der Konfliktparteien gehörender Beobachter war, der von allen Beteiligten den höchsten Preis bezahlen musste, wirkt besonders ungerecht. Vergessen wird man Steffen Meyn nach diesem immersiven und auf tragische Weise faszinierenden Dokumentarfilm aber wirklich nicht.

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