Ein Haus, das sich an die Lebensumstände der Bewohner anpasst und bei Bedarf vergrößert oder wieder verkleinert? Wiener Architekten wollen mit einem neuartigen Bausystem eine Alternative zum unveränderlichen Einfamilienhaus bieten.
Die meisten neu gebauten Häuser dürften so aussehen: Küche, Bad, Schlaf- und Wohnzimmer sowie zwei Kinderzimmer plus Garten und vielleicht noch ein Keller. Ist das Haus gebaut, lässt sich so schnell am Grundriss nichts mehr verändern – und sind die Kinder einmal ausgezogen, ist plötzlich jede Menge ungenutzter Platz da.
Was wäre, wenn sich ein Haus an die Biografie seiner Bewohner anpassen würde, statt umgekehrt die Bewohner ans Haus? Der Wiener Architekt Philipp Stromer und sein Team wollen mit ihrem „Biber-Bausystem“ eine veränderbare Alternative zu starren Fertighäusern bieten. Seit Frühjahr 2018 ist der Prototyp auf dem Markt.
Ein Haus, ganz nach meinen Bedürfnissen
„Unser System gibt dem Leben der Familie einen Rahmen, es ist nie fertig“, erzählt Stromer. Die unveränderliche Hausbasis bildet ein Holzrahmen, in den je nach Lebenslage verschiedene Wohnmodule auf zwei Etagen ein- und wieder ausgebaut werden können.
Die Grundmodul-Wohnung für zwei Personen ist 50 m² groß; der noch leere Raum im Holzrahmen kann dann kreativ genutzt werden, etwa für Begrünung, eine Hängematte oder ein Sonnensegel. Das Haus lässt sich bei Familienzuwachs später auf 90 m², 130 m² oder 160 m² auf zwei Etagen vergrößern.
Beim Bauen wieder selbst Hand anlegen
Die Wiener Architekten präsentieren bewusst keine fertige Eigenheimlösung, sondern möchten die Häusle-Bauer zum Selbermachen anleiten: „Wir wollen Menschen dazu befähigen, auch beim Bauen wieder selbst Hand anzulegen“, sagt Stromer. Die Selber-Bauer sollen sich vom Rahmen inspirieren lassen und intuitiv entscheiden: „Man merkt am besten vor Ort, wo etwa der schönste Platz für die Terrasse ist.“
Die Architekten informieren die Bauherren über die wichtigsten Normen, Richtlinien und beraten bei der Materialwahl. Je mehr die Hausbauer selbst machen, desto günstiger wird das mitwachsende Eigenheim: 1.500 Euro statt 2.500 Euro pro m² kostet das Modul-Haus dann.
Denn mit ihrem neuen Konzept wollen Stromer und sein Team vor allem auch Menschen mit kleinem Budget erreichen, die vom Eigenheim träumen: „Wenn die Mittel nicht da sind, kann man immer noch selbst anpacken“, meint Stromer.
Ebenso wie der Preis hängt die Bauzeit von der Eigenleistung ab und kann laut Stromer von wenigen Wochen bis zu einem Jahr betragen. „Das ist davon abhängig, wie viele Leute mitarbeiten und wie professionell gearbeitet wird.“
Zuerst Tiny-Haus, dann großes Eigenheim
Das Konzept ist nachhaltig gedacht – sind die Kinder ausgezogen, können aus dem großen Haus zum Beispiel zwei separate Senioren-Wohnungen entstehen, indem man die Innentreppe nach außen verlegt. „Das Deckenloch schließen oder die Außenwände abreißen – das sind natürlich kleine Maßnahmen, doch der Aufwand im Vergleich zum herkömmlichen Zubau vergleichbar gering“, meint Stromer.
Der Prototyp der Wiener Architekten erinnert an die beliebten Tiny-Häuser. Doch im Gegensatz zu den Mini-Häusern ist ihr modulares Wohnen-Konzept flexibler und kann eben bei Familienzuwachs erweitert werden. Gleichzeitig erinnert das Biber-Bausystem an das Dominohaus des bekannten französischen Architekten Le Corbusier aus den 1920er Jahren.
Ökologisch bauen ist Trend
Stromer und sein Team wollen nicht nur ein nachhaltiges Baukonzept anbieten, sondern auch durch die Wahl der Baumaterialien die Baubranche ein bisschen grüner machen. „Im Baubereich sind vor allem die Tragstrukturen, das Dämmmaterial und die Fundamente die großen CO2-Sünder“, erklärt Stromer. So verursache eine Tonne Stahl (über den gesamten Gebäudezyklus betrachtet) etwa zwei Tonnen CO2; eine Tonne Holz hingegen binde etwa eine Tonne CO2.“.
Bei der Dämmung setzen die Architekten auf Schafwolle, Hanf und Zellulose – einem Abfallstoff aus der Industrie. „Die herkömmliche Mineralwolle ist sehr CO2-intensiv“, erklärt Stromer. Sein Biber-Bausystem ist im Gegensatz zum klimaschädlichen Beton mit großen Erdschrauben schwebend im Boden verankert. Die Schraubfundamente heben das Holzkonstrukt etwa 30 Zentimeter vom Boden ab und schützen das feuchtigkeitsempfindliche Holz vor Spritzwasser und Starkregen. „Die Luft weht unten durch. Durch diese Bauweise ist das Holz langfristig haltbar“, sagt Stromer. Bis zu 100 Jahre soll das Haus halten.
Stromer und seine Kollegen folgen damit dem Trend hin zum ökologischen Bauen: „Die Leute sind sensibler geworden, vor 10 Jahren hat darüber noch niemand nachgedacht“, sagt Stromer. Die Bauherren von heute seien daran interessiert, kleiner, aber dafür ökologischer zu bauen: „Besonders die Innenraum-Qualität ist bei einem ökologischen Haus eine ganz andere als bei einem herkömmlichen“.
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