Carsharing mag in Städten praktisch sein, auf dem Land ist man aufs eigene Auto angewiesen. Diese Meinung vertreten sehr viele Menschen. Doch dass man sich auch in einer kleinen Gemeinde ein Auto teilen kann, beweist die Ameranger Autogemeinschaft schon seit fast 20 Jahren.
Bereits seit 2006 kann man in einer kleinen bayerischen Gemeinde im Chiemgau Carsharing nutzen – über die Ameranger Autogemeinschaft (AmAG). Utopia hat mit Tilo Teply, einem der Gründer, darüber gesprochen, vor welchen Herausforderungen Carsharing auf dem Land steht, wann sich das System rechnet – und welche Menschen das Mobilitätsangebot nutzen.
Carsharing auf dem Land: In Amerang gibt es das seit 2006
Amerang ist eine kleine Gemeinde in Oberbayern, rund 25 Kilometer von Rosenheim entfernt. Ein Bahnanschluss fehlt, der ÖPNV besteht aus einem Busnetz, das am Wochenende und in den Ferien jedoch nicht bedient wird. Vor fast 20 Jahren gründeten dort sechs Haushalte die AmAG – mit der Mission, Carsharing auch auf dem Land zugänglich zu machen.
„Meine Familie und ich sind damals von München aufs Land gezogen und wollten nicht auf ein eigenes Auto angewiesen sein. Zu Beginn liehen wir die Pkw unserer Verwandten aus, das funktionierte auf Dauer aber leider nicht“, erinnert sich Tilo Teply gegenüber Utopia.
Deshalb schaffte die 6-köpfige Familie schließlich doch ein Auto an und versuchte, es innerhalb der Nachbarschaft auszuleihen, wenn sie es selbst nicht benötigte. 2006 schließlich fügten sich laut Teply einige Dinge glücklich zusammen: Der örtliche Umweltverband hatte drei Jahre zuvor einen Bürgerbus gegründet, im Ort interessierten sich plötzlich weitere Menschen für nachhaltige Mobilität und der Carsharing-Verein aus Vaterstetten bei München hatte sein Konzept 2005 bei einer Konferenz des Abwasserzweckverbands Ringkanalisation Chiemsee in Amerang vorgestellt. Der Vortrag von Herrn Breindl von den Vaterstettner Auto Teilern war für Teply der entscheidende Impuls.
„Wir konnten das Online-Buchungssystem von Vaterstetten übernehmen, das war entscheidend für den anfänglichen Erfolg der AmAG. Auch wenn damals wie heute noch nicht alle Mitglieder online ein Fahrzeug buchen, sondern anrufen. Dieser Gemeinschaftsfaktor macht beim Carsharing auf dem Land auch den Charme aus“, so Teply.
Das Konzept hinter der Ameranger Autogemeinschaft
Jedes Mitglied der AmAG zahlt eine einmalige Gemeinschaftseinlage von 450 Euro. Tritt man aus dem Verein aus, erhält man diese zurück. Zusätzlich fällt ein monatlicher Mitgliedsbeitrag von fünf Euro an, jede Fahrt kostet einen Euro plus einen Strecken- und Zeittarif zwischen zehn und 40 Cent pro Stunde bzw. 20 bis 35 Cent pro Kilometer.
Für die Gründung war allerdings mehr Kapital nötig: Die Parteien zahlten eine Einlage abhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten. Diese Investition bekamen sie nach und nach zurück, als das Carsharing-System anfing, sich finanziell zu tragen.
Zu Beginn standen dem Carsharing-Verein ein Fahrzeug (ein Siebensitzer) zur Verfügung, sieben Jahre später wurde ein weiteres Auto angeschafft. Momentan sind es drei Autos für derzeit 22 Haushalte: ein Kleinwagen, ein kleines Elektroauto sowie ein geräumigerer Pkw. Zwischenzeitlich hatte die AmAG auch ein Jugendprojekt mit einem Renault Twizy 45, das coronabedingt wieder verkauft werden musste.
Auch die Gemeinde Amerang ist seit 2013 Mitglied im Verein und erledigt Dienstfahrten mit den Carsharing-Fahrzeugen. Eine finanzielle Förderung gibt es seitens der Kommune nicht, Tilo Teply betont aber, dass die Autos der AmAG im Ortskern reservierte Parkplätze haben.
Neben der Kommune bringe sich auch die ansässige Kfz-Werkstatt mit ein – ein laut Teply unverzichtbarer Faktor für das Fortbestehen der Autogemeinschaft. „Unser erstes Mehrzweckauto, einen Opel Zafira, konnten wir dadurch viele Jahre fahren.“
Wer macht mit und ab wann rechnet sich Carsharing?
Die übrigen Mitglieder sind nach Aussage von Teply eine bunte Mischung: Idealist:innen, die kein eigenes Auto besitzen wollen, Jugendliche, die sich keinen Wagen leisten können oder wollen und auch Senior:innen, die den Zweitwagen abgeben und bei Bedarf auf ein Carsharing-Fahrzeug ausweichen.
Für die AmAG sind die aktuell 22 mitwirkenden Haushalte eine gute Größenordnung – mit mehr Mitgliedern wachse der organisatorische Aufwand, auch würden die drei geteilten Fahrzeuge nach Einschätzung von Teply dann an manchen Tagen nicht mehr ausreichen.
Der Carsharing-Fan betont aber: „Wenn mehr Leute mitmachen und wir dadurch stärker wahrgenommen werden, freut mich das natürlich. Das Ziel hinter Carsharing sind schließlich eine umweltverträgliche Mobilität und der Platzgewinn durch weniger herumstehende Autos.“
Das kann sich auch finanziell rechnen: Der Bundesverband Carsharing (bcs) berechnete, dass sich Carsharing im Durchschnitt lohnt, wenn man im Jahr weniger als 12.500 Kilometer mit dem Auto fährt. Tilo Teply betont im Gespräch mit Utopia, dass die Werkstattkosten fürs eigene Auto bei dieser Berechnung nicht berücksichtigt seien und teils erheblich ins Gewicht fallen würden. Auch teure Autoversicherungen schlagen zu Buche – Teply geht deshalb davon aus, dass sich Carsharing wie bei der AmAG auch bei einer jährlichen Fahrleistung von an die 20.000 Kilometer rechnen kann.
Ein schöner Nebeneffekt: Die AmAG diene als Ort der Begegnung und Gemeinschaftsbildung. Wenn Mitglieder ins Buchungssystem schreiben, dass sie ins benachbarte Wasserburg fahren, würden sich regelmäßig andere Mitglieder anschließen. So komme die Nachbarschaft zusammen.
„Noch pendeln die Menschen einzeln“ – Herausforderungen fürs Carsharing auf dem Land
Warum aber machen dann nicht mehr Menschen mit bei der AmAG? Als einen Grund dafür nennt Teply Bequemlichkeit. Hinzu komme, dass ein flächendeckendes Carsharing-Angebot fehle, in dem die Autos noch freier und zu jeder Zeit bewegt werden können.
Ein erster Schritt in diese Richtung war vor rund fünf Jahren die Quernutzung der Autoflotten der AmAG mit denen der beiden Nachbarstädte. Denn auch Bad Endorf und Wasserburg haben eigene Carsharing-Modelle – das Potenzial für weitere Synergien ist nach Meinung von Teply groß.
Fazit: Carsharing kann Gemeinschaft und Klimaschutz fördern
Das Gespräch mit Tilo Teply zeigt, dass Carsharing keinesfalls Anonymität in Großstädten bedeuten muss, sondern auch familiär auf dem Land stattfinden kann. Teply fasst es wie folgt zusammen: „Man muss sich ein bisschen engagieren und arrangieren. Carsharing fördert auf jeden Fall die sozialen Kompetenzen.“
Für die AmAG würde sich der Gründer künftig noch einen Carport wünschen – damit gerade die älteren Mitglieder im Winter weniger Eiskratzen müssten und man Kindersitze zwischenlagern könne und nicht mit nach Hause nehmen müsse, wenn man das Carsharing-Fahrzeug abstellt.
Anderen Interessierten in Gemeinden rät Teply, ortsansässige Vereine und deren Mitglieder für die Carsharing-Idee zu gewinnen. So könne man auf bestehenden Strukturen aufbauen und beispielsweise den Mannschaftsbus des Fußballvereins nutzen, wenn dieser nicht gebraucht wird. Utopia meint: Mit ein wenig Kreativität und (politischem) Willen ließe sich wohl in vielen Kommunen Carsharing umsetzen.
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