„Anpacken für eine nachhaltigere Zukunft“: Interview mit Dominik Wind (POC21) Von Daniel Hires Kategorien: Konsum Stand: 10. November 2015, 09:00 Uhr Foto: © POC21 Das Innovationscamp POC21 mit fast 400 Teilnehmern ging gerade zu Ende. Utopia hat mit Mitbegründer Dominik Wind über die schlausten Innovationen, das WG-Leben in einem Schloss und sein persönliches Utopia gesprochen. Was ist POC21? POC21 war ein siebenwöchiges Innovationscamp, das ab Mitte August im Chateau de Millemont bei Paris stattfand – mit dem Ziel, die für einen wirklich nachhaltigen Lebensstil nötigen Technologien „Open Source“ zu entwickeln, prototypisch zu realisieren und für alle Interessierten frei verfügbar zu machen. Über 100 Maker, Designer, Ingenieure, Wissenschaftler und Geeks lebten und arbeiteten für sieben Wochen vor Ort zusammen, um einen mutigen, offenen und nachhaltigen Zukunftsentwurf im Vorfeld der U.N. Klimaverhandlungen COP21 für die breite Öffentlichkeit zu liefern. Das ganze Team vor dem Chateau de Millemont bei Paris (Foto: © POC21) Wer ist Dominik Wind? Dominik Wind ist einer Mitgründer von POC21 (Foto: © POC21) Einer von ihnen: Dominik Wind, er ist studierter Medienpädagoge und als selbstständiger Berater tätig. Zudem Gründer und Geschäftsführer des in Berlin ansässigen gemeinnützigen Unternehmens Open State – einem Labor für angewandte Zukunftsforschung. Als Mitgründer des Innovation Camps POC21 fokussiert er sich auf die Entwicklung offener Technologien für einen nachhaltigen Lebensstil. Außerdem ist Dominik Wind an mehreren Universitäten als Dozent tätig. Utopia: Wie lebst du Nachhaltigkeit im Alltag? Dominik: Mit einer Ausnahme keine Flüge mehr seit 2012, bewusste Kaufentscheidungen mit Fokus auf Langlebigkeit und Reparierbarkeit, wo immer möglich, viel Selbstbau, eigener Garten mit Gemüse- und Obstanbau nach den Prinzipien der Permakultur, nach sechs Jahren Berlin mit Kind und Kegel, wieder Leben im Bayerischen Heimatdorf, direkter mit der Natur und näher bei der Familie. Grundsätzlich bin ich auf der Suche nach einer gesunden Balance zwischen meiner Technikbegeisterung und Neugier auf alles Neue auf der einen, und dem Wunsch nach Naturnähe auf der anderen Seite, ohne dabei das Eine zur “Lösung aller Probleme” zu überhöhen, oder das Andere zu romantisieren. Welches eurer Projekte hat das größte Potenzial, großflächig Einsatz zu finden? Meiner Meinung nach ist showerloop ziemlich geil, eine Duschinstallation die es erlaubt, knapp 90% der Energie(kosten) zu sparen. Der Trick ist einfach: das Duschwasser wird nicht in die Kanalisation abgeleitet, sondern in einem mehrstufigen Filtersystem auf Trinkwasserqualität gereinigt und wiederverwendet. Aber auch Kitchen B hat großes Potential. Das Projekt bringt ein altbekanntes Verfahren zur Nahrungsmittelaufbewahrung in zeitgemäßem Design in die Küche, um somit dem Energiefresser Kühlschrank Paroli zu bieten. Bei unserer Abschlussausstellung wurde das Projektteam auch gleich von Herren und Damen der ESA (European Space Agency) eingeladen. Faircap ist ein 3D-druckbarer Wasserfilter, der auf gängige PET Flaschen geschraubt werden kann. Oder Sunzilla, ein modularer Solargenerator, überall dort einsetzbar, wo heute Dieselgeneratoren laufen. Das sind alles sinnvolle Neuerungen, von denen ich mir viel erwarte. Und welches war das ambitionierteste und verrückteste Projekt? Für mein Empfinden Bicitractor, ein Fahrradtraktor. Beim genaueren Hinsehen hat sich mir dann aber doch die Sinnhaftigkeit des Ganzen erschlossen. Kleinere Höfe haben oft nicht die Mittel, sich große landwirtschaftliche Maschinen anzuschaffen und die Servicekosten sind immens. Außerdem wollen viele Biobauern ihre Ernte auch nicht unbedingt zusätzlich mit Abgasen einnebeln. Während des Camps gingen dann auch bereits sage und schreibe 50 Vorbestellungen beim Projektteam ein und das nur aus einem einzigen landwirtschaftlichen Kollektiv vor Ort, mit dem wir den Prototyp getestet haben. Nächster Schritt: unterstützende Elektromotoren. Der Name ist eine Referenz an die Klimaverhandlungen COP 21 Ende des Jahres in Paris. Ist das nur PR, oder glaubt ihr wirklich, es mit der internationalen Politik aufnehmen zu können? Da kommt es jetzt sehr darauf an, wer mit “wir” gemeint ist. Wenn “wir” alleine die Veranstalter von POC21 sein sollen, dann sicher nicht. Wenn hingegen “wir” die Gemeinschaft all derer bezeichnen soll, die anpacken und versuchen, ihren kleinen Teil zu einem Übergang in eine nachhaltigere und lebensfähige Zukunft beizutragen, dann ja klar! Was hast du vorher gemacht und wie seid ihr auf die Idee gekommen? Ich arbeite als Designer, allerdings nicht von Dingen, sondern sozialen Prozessen. Mich interessiert, wie Menschen, die sich nicht oder kaum kennen, gemeinsam Entscheidungen treffen, Neues kreieren und ihr Umfeld aktiv gestalten. Das kann dann im Endeffekt der Fünf-Personen-Halbtagesworkshop genauso sein wie eben das Sieben-Wochen-Camp mit insgesamt fast 400 Teilnehmern. Das Camp ist jetzt vorbei. Was hat dich am meisten beeindruckt oder überrascht? Das Zusammenleben vor Ort war nicht wie in einem Hotel, sondern viel mehr wie in einer großen WG geregelt, d.h. eine Community von über 100 Bastlern musste sich selbst um so Alltägliches wie das Kochen für so viele Menschen und den Einkauf der Zutaten kümmern, wobei meist vegan und immer regional gekocht wurde und dabei so oft wie möglich auf Wegwerfware der umliegenden Supermärkte zurückgegriffen wurde. Das hieß für zehn Personen täglich mehrstündige Kochschichten, während sich andere dreimal täglich um das Leeren der acht Trockentoiletten kümmerten. Diese und viele weitere Aufgaben wurden im Campteam Tag für Tag selbst organisiert. So war sichergestellt, dass das Communityleben weitestgehend reibungslos funktioniert. Das hat mich sehr beeindruckt. Jeder, der mal in einer WG gelebt hat, weiß, wie schwer das sein kann. Außerdem gab es über die gesamte Dauer des Camps keinen einzigen Diebstahl, ebenfalls ein Beispiel für den respektvollen Umgang miteinander und eine wirklich funktionierende Gemeinschaft Was sollte jetzt nach dem Camp passieren, wenn es nach euch ginge? Wir haben ein enormes mediales Echo ausgelöst, insbesondere in Frankreich, dem Veranstaltungsort von POC21 und natürlich COP21 Ende diesen Jahres. Es wissen jetzt einige Millionen Menschen mehr um das Potential von Open Source Hardware, wenn es um nachhaltigere Produktion und Konsum geht. Offene Produkte können repariert, vor allem aus lokalen Ressourcen gebaut und auf spezifische Bedarfe angepasst werden. Außerdem sind offene Produktdesigns die unabdingbare Voraussetzung für eine Kreislaufwirtschaft, die diesen Namen auch verdient: nur wenn ich weiß, was “drin” ist, kann geplant werden, wie es nach dem Produktlebenszyklus weiter gehen könnte. Bei all dem stehen wir aber leider noch ganz am Anfang. Hier weiter zu forschen, mehr Menschen einzubeziehen und auch die ersten Produkte professionell in den Markt zu bringen, um eine echte Alternative für breitere Käuferschichten außerhalb der “Nerd-Nische” anzubieten, sind unsere nächsten Ziele. Hierfür werden wir 2016 in der Nähe von Berlin einen permanenten Ort aufbauen: zum Tüfteln und Torschen, zum Lernen und Erleben der Alternativen, ein ausgewachsenes Fablab mitten in der Natur. Das POC21-Team bei einem Meeting im Schloss (Foto: © POC21) Wird es wieder ein Camp geben? Klar, früher oder später bestimmt, wobei so kurz nach POC21 noch kein zweiter Durchgang konkret in Planung ist. Jetzt geht es erstmal um eine möglichst detaillierte Dokumentation des Ganzen, um es für andere möglichst einfach zu machen, ähnliche Events zu wiederholen und dabei auf unseren Erfahrungen aufzubauen. Wir werden zum Beispiel zeitnah unser Budget und die Detailausgaben veröffentlichen, genauso wie 3D Filme von allen Räumen und die Dokumentation aller Projekte und unserer sozialen Prozesse vor Ort. Wie sieht dein Utopia aus? Ich träume von einer Welt, in der wir in lokalen, global vernetzten Gemeinschaften selbstbestimmt die Technologien entwickeln und produzieren, die wir zum Leben benötigen. Grundfertigkeiten in den Gewerben und der digitalen Fabrikation werden bereits in der Schule gelehrt, da unsere Gesellschaft soweit entwickelt ist, dass niemand mehr verhungern, ohne Dach über dem Kopf oder ohne Strom leben muss. Auf Basis quelloffener Soft- und Hardware wurde eine Basis-Infrastruktur für alle errichtet, eine Art “technologisches Grundeinkommen”, hinter das niemand zurückfallen kann. Die Gemeinschaften, die sowohl in Nachbarschaften in Großstädten als auch in eher ländlich geprägten Gegenden entstehen, sind demokratisch und föderal organisiert: so viel “lokal” wie möglich, so viel regional und national wie nötig. Innerhalb dieser Gemeinschaften unterstützen sich die Mitglieder untereinander, zum Beispiel durch P2P Versicherungsmodelle und regionale Währungen, was zu mehr systemischer Resilienz und individueller Mitgestaltung im Alltag führt. Weiterlesen auf Utopia: POC21: Ein Schloss, um unsere Konsumkultur zu revolutionieren 10 Tipps für nachhaltigen Konsum mit wenig Geld Shift 5 im Test: das faire Smartphone ** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos. War dieser Artikel interessant? 0 0 Vielen Dank für deine Stimme! 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