In einer Hamburger U-Bahn-Station steht seit kurzem ein ganz besonderer Kiosk: In dem Laden kann man nichts kaufen – stattdessen findet man jemanden, der zuhört.
Von außen sieht der Bahnhofskiosk in der U-Bahn-Station Emilienstraße aus wie jeder andere. Aber schon der Name ist außergewöhnlich: „Das Ohr“. An den Außenwänden hängen Plakate mit gezeichneten Ohren, auf einem Schild steht: „Ich höre Ihnen zu. Jetzt gleich. Oder ein anderes Mal.“
Im Kiosk sitzt Cristoph Busch, 71 Jahre alt. Seit einigen Wochen mietet er den Kiosk – um anderen Menschen zuzuhören. „Die Leute sind fasziniert von dieser Idee – viele Leute. […] Dass die Leute dann wirklich reinkommen und mir so viel erzählen konnte ich natürlich auch nicht wissen“, so Busch gegenüber dem NDR.
Kleine Anekdoten und große Krisen
Jeden Tag bekommt Busch nun Besuch von Menschen, die ihre Geschichten erzählen. Von kleinen Anekdoten bis hin zu großen Lebenskrisen ist alles dabei. Die meisten berichten allerdings von traurigen Dingen, meint Busch gegenüber Spiegel Online, zum Beispiel über Trennungen, Krankheiten, oder psychische Probleme.
„Ich rede von gleich zu gleich, egal was es ist – auch wenn es Unglück ist. […] Sodass die Leute jemanden vor sich haben, wie sie ihn sonst nie vor sich haben. Ich red einfach wie mir der Schnabel gewachsen ist und das macht mir Spaß und ich glaube das tut auch den Leuten gut und das bringt auch neue Gedanken“, sagte Busch dem NDR.
Zurhör-Kiosk mit Terminvergabe
Für Miete, Strom und Versicherung zahlt Busch knapp 300 Euro, berichtet der Spiegel. Die erste Miete wurde durch eine Kulturförderung der Stadt übernommen, als nächstes wolle er eine Spendenaktion starten.
Der Bedarf nach einem Zuhörer ist groß: Mittlerweile besuchen so viele Menschen den Kiosk, dass Busch Termine vergibt. Wenn jemand länger als eine Stunde redet, bittet er ihn, ein anderes Mal wieder zu kommen.
So wertvoll ist Zuhören
Von Beruf ist Busch Drehbuchautor. Mit seiner Aktion wollte er ursprünglich Inspirationen für neue Projekte sammeln – „schreiben und gucken“, erklärt er gegenüber dem Spiegel. Aus den Geschichten der Menschen will er irgendwann ein Buch machen.
Wie ungewöhnlich es ist, dass jemand einfach nur zuhört, zeigen die Reaktionen der Passanten. So erklärte Busch gegenüber dem NDR: „Da hab ich gehört: Sind Sie Pastor? Sind Sie vom Arbeitsamt? Sind Sie Therapeut? Man denkt, wenn man zuhört hat man gleich eine soziale Funktion. Das war mir vorher nicht so klar. Ich hab gedacht, ich will Geschichten hören. Aber dass das Zuhören an sich schon so einen Wert hat – damit hab ich nicht gerechnet.“
Die Aktion von Cristoph Busch zeigt, wie leicht es sein kann, anderen Menschen zu helfen und ihnen einen Teil ihrer Last abzunehmen. Manchmal reicht zuhören. Der große Erfolg des Kiosks zeigt aber auch, wie groß die Einsamkeit in unserer Gesellschaft sein muss.
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