Die hessische Stadt Marburg zahlt eine Prämie von 1.250 Euro – wenn man sein Auto für ein Jahr stilllegt. Wir haben nachgefragt, wie das Projekt bei den Bürger:innen ankommt und wie sinnvoll eine Auto-Abschaff-Prämie für die Verkehrswende ist.
Eine Verkehrswende in Deutschland ist dringend notwendig, damit wir die vereinbarten Klimaziele erreichen. Denn noch stößt der Verkehrssektor zu viele Treibhausgasemissionen aus. Ein wichtiger Weg dorthin: Weniger Autos auf den Straßen. Die Stadt Marburg hat dazu ein spannendes Experiment gestartet und belohnt Bürger:innen, wenn diese ihr Auto abschaffen.
Marburg führt Abschaff-Prämie für Autos ein
Im Juni 2024 fiel der Startschuss: Marburg kündigte an, an 50 Einwohner:innen eine Prämie zu zahlen, wenn diese für ein Jahr auf ihr Auto verzichten. Die Abschaff-Prämien waren bereits nach einem Monat vergriffen – es folgten eine Warteliste und Ende 2024 weitere 50 Prämien, die ebenfalls bereits nach wenigen Wochen fast alle vergeben waren.
Stadtrat Dr. Michael Kopatz sagt dazu gegenüber Utopia:
„Wir haben uns natürlich erhofft, dass die Prämie gut angenommen wird. Von der großen Resonanz waren wir aber sehr überrascht.“
Im Haushalt für 2025 habe die Stadt deshalb erneut 100 Prämien vorgesehen.
Über 1.000 Euro Prämie, wenn Auto ein Jahr abgemeldet wird
Die Auto-Abschaff-Prämie der hessischen Universitätsstadt mit rund 80.000 Einwohner:innen umfasst dabei maximal 1.250 Euro pro Jahr. Der Betrag wird in Form von Gutscheinen ausgezahlt:
- Carsharing: bis zu 800 Euro
- Deutschland-Ticket für bis zu 12 Monate über die Stadtwerke Marburg (Gegenwert 600 Euro)
- Marburg-Gutscheine: bis zu 400 Euro
- Klimaboni: 50 Euro (Die Klimaboni können in Marburg für nachhaltige Produkte ausgegeben werden)
Die Prämienteilnehmer:innen können zwischen den Angeboten wählen oder diese kombinieren: zum Beispiel 800 Euro Guthaben für Carsharing plus 400 Euro fürs Einkaufen. Die Marburg-Gutscheine stammen aus Geschäften und Gastrobetrieben in der Stadt Marburg.
Die Auszahlung der Abschaff-Prämie fürs Auto erfolgt in zwei Raten, einmal direkt nach Abmeldung des Kfz und ein zweites Mal nach sechs Monaten. Jeder Haushalt und Antragsteller:in kann nur einen Antrag einreichen. Es können sich alle Marburger:innen für die Prämie anmelden, die mindestens noch ein Jahr in Marburg wohnen und in der Zeit ihr in Marburg zugelassenes Privatauto abmelden.
Warum braucht es die Prämie?
Marburg leidet wie viele andere deutsche Städte unter einem hohen Parkdruck. Die Stadt muss in ihrer Stadt- und Verkehrsplanung für jeden PKW zwei bis drei Parkplätze mitdenken, um Bereiche wie Wohnen, Arbeit und Einkaufen abzudecken. Mit jedem Auto weniger kann die Stadt langfristig Parkplatzkosten einsparen. Kopatz bringt es auf den Punkt:
„Es steht zu viel Blech auf den Straßen“.
Die Idee für die Abschaff-Prämie kam Stadtrat Kopatz während eines Gesprächs, das er bei einer Bahnfahrt führte. Der Gesprächspartner hatte sich die Bahncard 100 gekauft, weil er selbst vorübergehend nicht Autofahren durfte. „Seit er beruflich mit der Bahn fährt, stellte er fest, dass das für ihn die cleverere Fortbewegungsart ist. Da er während der Bahnfahrten arbeiten kann, hat er auch wirklich Feierabend, wenn er nach Hause kommt und muss nichts mehr nacharbeiten oder ähnliches. Nach einem Jahr hatte er neue Routinen eingeübt. Das wollte ich in Marburg auch ausprobieren“, so Dr. Michael Kopatz im Gespräch mit Utopia.
Die Laufzeit von einem Jahr ist für Stadtrat Kopatz eine wichtige Besonderheit der Marburger Prämie. „Es braucht seine Zeit, um sich auf die Bahn oder Bahn & Bike umzustellen oder auszuprobieren, wie Carsharing funktioniert. Für viele in Marburg ist das Carsharing eine tolle Alternative, weil sie ein Auto nur noch einmal die Woche benutzen“, erzählt der Stadtrat. Bei einer kürzeren Laufzeit könnte man neue Routinen nicht ausreichend einüben, eine längere Dauer würde viele Menschen abschrecken.
Wer nutzt die Abschaff-Prämie in Marburg?
Die Prämien wurden von den Marburger:innen schnell angenommen. Die Auswertung des Projekts laufe noch, doch die ersten Ergebnisse zeigten, dass die meisten ihr Auto nicht nur abgemeldet, sondern auch verkauft haben.
Stadtrat Kopatz erzählt: „Allein aus einem Dorf wurden fünf Fahrzeuge abgemeldet, dort haben sie ein Carsharing-Angebot. Diese Antragsteller sind Senioren, die sagen: Eigentlich brauche ich das Auto nur noch selten.“
Viele Marburger:innen schaffen Zweitwagen ab
Zur Zielgruppe gehörten auch Menschen, die für die Prämie Zweit- und sogar Drittwagen abschaffen. „Für diese Menschen wollten wir einen Anreiz schaffen, damit sie Alternativen ausprobieren“, so Kopatz. Deshalb sei eine hohe Prämie fürs Carsharing integriert.
Den Vorwurf, die Prämie nutze vor allem Gut- und Besserverdienenden, weist Kopatz aber zurück: „Jedes Auto, das weniger in der Stadt steht und weniger geparkt werden muss, ist für uns ein Vorteil. Damit sparen wir Geld. Hinzu kommt der Wunsch der Menschen, die in der Kernstadt leben, dass weniger Autos durch die Innenstadt fahren.“
Zu teuer? Kritik an der Abschaff-Prämie fürs Auto
Von den Einwohner:innen Marburgs gab es laut Dr. Kopatz vorwiegend positive Rückmeldungen. Die Bürger:innen würden bei der Antragstellung gerne und offen erzählen, was sie vorhaben und warum sie das Auto abmelden.
Was die Prämienausschüttung die Kommune kostet, lässt sich für den Kommunalpolitiker leicht gegenrechnen: „Wir sparen Kosten ein, wenn wir weniger Parkplätze errichten und erhalten müssen, und erzielen Gewinne, wenn wir Parkflächen anderweitig nutzen können, beispielsweise durch Verkauf oder Verpachtung.“
Er rechnet gegenüber Utopia vor: Ein Parkplatz in einer neu zu errichtenden Hochgarage koste 20.000 Euro. Ein Straßenrandparkplatz koste die Stadt jährlich mehr als 300 Euro durch Herstellung und Unterhalt etwa für Reinigung, die Verwaltung von Anwohnerparkausweisen sowie diverse Infrastruktur. Da man die Parkflächen auch verpachten und Gebäude errichten könne, gingen der Kommune zusätzlich Geldwerte verloren.
Dennoch gab es bereits den Vorwurf einer teuren Verschwendung von Steuergeldern. Stadtrat Kopatz wehrt sich dagegen: „Das Geld der Prämie bleibt in der kommunalen Wirtschaft, beim Einzelhandel. Wir betreiben sozusagen eine edle Form der Wirtschaftsförderung.“
Abschaff-Prämie für Marburg ein Erfolg?
Da das Angebot so gut ankam und die ersten 100 Prämien schnell vergriffen waren, möchte die Stadt Marburg 2025 weitere 100 Prämien zur Verfügung stellen. Kann man die Abschaff-Prämie fürs Auto deshalb als Erfolg werten?
Der Weg hin zur Prämie war kein einfacher, erinnert sich Kopatz, der als Wissenschaftler arbeitete, bevor er vor rund drei Jahren Stadtrat wurde. In einem Arbeitskreis waren viele Diskussionsrunden notwendig, nun sei er aber stolz auf das Ergebnis. Die Marburger Beschlussvorlage könnten andere Städte „gerne übernehmen und loslegen.“
„Verkehrswende geht extrem schlecht voran“
Insgesamt geht dem Politiker die Verkehrswende zu langsam: „Beim Thema Verkehrswende geht es extrem schlecht voran. Das Einzige, das wirklich für weniger C02-Emissionen im Verkehrssektor gesorgt hat, ist das Deutschlandticket. Ansonsten sieht es in dem Bereich düster aus.“
Weiter sagt Kopatz:
„Wenn man sich Städte wie Zürich, Wien, Barcelona oder Paris anschaut, sieht man, was möglich ist. In Deutschland – auch in Marburg – wird nach meinem Eindruck fast jeder Parkplatz erbittert verteidigt.“
Für eine echte Mobilitätswende kann eine Auto-Abschaff-Prämie nur einer von vielen Bausteinen sein. Marburg hat ein Mobilitätskonzept erarbeitet und setzt dieses nach und nach um – vorangegangener Bürgerentscheid und kritische Diskussionen inklusive. Um Mobilitätsroutinen zu verändern, werden die E-Ladeinfrastruktur sowie Radwege ausgebaut, ebenso der Fuhrpark der Stadt.
Besonders wichtig ist für Kopatz auch, alle Parkplätze kostenpflichtig zu machen, auch Pendlerparkplätze. In Hessen hätten viele Bedienstete des Landes ein angebotenes hessenweites Jobticket lange ignoriert. „Sobald der Parkplatz beim Arbeitgeber aber etwas kostet, überlegen viele, ob sie das Jobticket nicht doch nutzen möchten.“
Sämtliche Maßnahmen wirken für den Politiker aber nur im Zusammenspiel: Ein Jobticket alleine könne wenig Wirkung entfalten, wenn kein gutes Bus- oder Bahnangebot bestehe. Wenn man überall einen kostenlosen Parkplatz finde, lasse man das Auto auch nicht stehen.
Als Ideallösung wünscht sich Dr. Kopatz statt der Auto-Abschaff-Prämie der Stadt Marburg ein „entsprechendes Förderprogramm, durch das Bund oder Länder die Kommunen unterstützen.“ Für realistisch hält der ehemalige Wissenschaftler dies in Anbetracht der anstehenden Bundestagswahl aber nicht.
War dieser Artikel interessant?