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Gefeierte Sexismus-Ausstellung von Joko & Klaas: früherer Streich hinterlässt faden Beigeschmack

Männerwelten
Screenshot: Joko & Klaas/Youtube

„Dick Pics“, sexuelle Belästigung und Gewalt: Was Frauen jeden Tag erleben, ist nichts für schwache Nerven. Das erklärt Moderatorin Sophie Passmann – und leitet damit einen 15-minütigen TV-Beitrag ein, der auf verstörende Weise auf ein wichtiges Thema aufmerksam macht.

„Das, was es gleich zu sehen gibt, gehört eben zum Leben dazu – zumindest zu dem von manchen Leuten,“ sagt die Autorin und Journalistin Sophie Passmann am Anfang eines 15-minütigen Videos, das am Mittwochabend live auf ProSieben gesendet wurde.

„Männerwelten“ macht auf sexuelle Belästigung und Gewalt gegen Frauen aufmerksam

Der Beitrag stammt aus der ProSieben-Show „Joko & Klaas gegen ProSieben“, in der die beiden Entertainer Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf wöchentlich mit ihrem Arbeitgeber um eine Viertelstunde Sendezeit spielen. Gewinnen die beiden, dürfen sie 15 Minuten lang senden, was sie wollen. ProSieben hat laut eigener Aussage keinen Einfluss auf den Inhalt.  

Diese Woche nutzten Joko und Klaas die gewonnene Viertelstunde, um in einem Beitrag auf ein wichtiges Thema Aufmerksam zu machen: sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Die beiden selbst kommen dabei nicht zu Wort, stattdessen führt Passmann durch eine virtuelle Ausstellung mit dem Titel „Männerwelten.“ Gemeinsam mit prominenten Frauen wie Palina Rojinski, Stefanie Giesinger oder Collien Ulmen-Fernandes präsentiert sie Erfahrungsberichte über sexuelle Belästigung und Gewalt gegen Frauen – im Internet sowie außerhalb davon.

„Das grenzt an virtuellem Missbrauch“

Als erstes Ausstellungsstück präsentiert Moderatorin und Schauspielerin Palina Rojinski sogenannte „Dick Pics“, die ihr und Freundinnen unaufgefordert auf Instagram, Twitter und Co. ins Postfach geschickt würden. Fotos also, die Männer von ihren Penissen schießen. „Ich finde das verstörend und es grenzt an virtuellem Missbrauch“, sagt Rojinski im Video. Und tatsächlich sei das Verschicken von „Dick Pics“ strafbar, fügt Passmann hinzu.

In der nächsten Szene lesen Moderatorin Jeannine Michaelsen, Journalistin Visa Vie und Model Stefanie Giesinger verstörende sexistische Kommentare vor, die sie auf Youtube, Instagram oder Twitter erhalten haben.

„Ihr Kleidungsgeschmack sagt Fick mich doch – ihr Face sagt, lass Bruder,“ lautet ein an Michaelsen gerichteter Kommentar. Musikjournalistin Visa Vie zitiert: „Sie soll nicht immer so tun, als hätte sie Ahnung von Rap. Jeder weiß, sie ist nur wegen Titten angestellt.“ Und Giesinger liest vor: „Viel zu dünn, sie bricht bestimmt durch, wenn man ihr ordentlich im Bett gibt.“

Für Frauen, die auf Social Media eine große Reichweite haben, sind solche Kommentare leider nichts ungewöhnliches. Das belegen auch statistische Daten, die Passmann ergänzt: Unter dem Video von weiblichen Influencerinnen seien im Schnitt 16 von 100 Kommentaren sexistisch. Und bei männlichen Influencern? „Genau, null.“

Chatverläufe, in denen Frauen zum Selbstmord aufgefordert werden

Auch harmlos beginnende Unterhaltungen können im Internet schon mal zu „unangenehmen Anmachversuchen mit oft ekelhaftem oder beleidigendem Ausgang“ werden. Die Instagram-Seite „antiflirting2“ sammelt solche Konversationen. Im Video lesen Moderatorin Collien Ulmen-Fernandes und Journalistin Katrin Bauernfeind in verteilten Rollen Chatverläufe vor, in denen Frauen beleidigt und zum Selbstmord aufgefordert werden.  

Sexuelle Belästigung und Gewalt findet aber natürlich nicht nur im Internet statt. Eine weitere Darbietung sei das Ergebnis einer kleinen Umfrage im engsten Bekanntenkreis, sagt Passmann: Frauen erzählen darin von alltäglichen Situationen, in denen sie von fremden Männern in der Öffentlichkeit angemacht, angefasst oder beleidigt wurden.

„Männerwelten ist eine Dauerausstellung“

„Leider ist Männerwelten eine Dauerausstellung, die sich nicht auf ein paar Fernsehminuten und einzelne Räume beschränken lässt, sondern während und nach dieser Sendung weitergeht. In unserem Alltag, am Arbeitsplatz, in der Ubahn“, fasst Passmann am kurz vor Ende des Beitrags zusammen.

Es folgt der letzte Teil der Sexismus-Ausstellung, der nicht minder verstörend ist: Ausgestellte Kleidungsstücke, die Frauen bei einer Vergewaltigung getragen haben sollen. Denn: Frauen, die vergewaltigt wurden, müssten oft erzählen, welche Kleidung sie getragen hätten, erläutert Passmann. „So als gäbe es eine Länge von Rock, die irgendwann eine Vergewaltigung erlaubt, als wäre die Tiefe des Ausschnitts schuld daran, dass manche Männer aufhören, Frauen zu respektieren.“

Nur zehn Prozent aller Vergewaltigungen werden zur Anzeige gebracht

Das Video endet mit Statistiken zur sexuellen Gewalt gegen Frauen: Fast die Hälfte aller Frauen in Deutschland wurde schon einmal sexuell belästigt, jede siebte hat bereits strafrechtlich relevante Formen sexueller Gewalt erlebt. Nur zehn Prozent aller Vergewaltigungen werden zur Anzeige gebracht.

Auf Youtube zählt das Video bereits mehr als 700.000 Aufrufe und fast 1.000 Kommentare (Stand 13.05.) In den Kommentaren erhalten Joko und Klaas viel Lob und weitere Erfahrungsberichte von Frauen. Auch auf Twitter bekommt der Hashtag #Männerwelten viel Aufmerksamkeit: Fast 15.000 Tweets bestätigen die große Relevanz des Themas.

Fader Beigeschmack: Jokos Busengrapscher

Einen faden Beigeschmack hat die Sache allerdings: Leser*innen auf Instagram haben uns nach erscheinen dieses Artikels darauf hingewiesen, dass Joko im Oktober 2012 in der ZDF-Sendung „NeoParadise“ einer Frau an Busen und Hintern gegriffen habe. Klaas‘ frauenverachtende Reaktion auf den geschmacklosen Streich macht das ganze noch bizarrer:

„Gott, aber der war das auch so unangenehm. Die stand da wirklich und hat sich richtig entwürdigt gefühlt. Die fährt jetzt gleich nach Hause und dann wird die erst einmal schön heulen unter der Dusche, die steht dann sechs Stunden unter der Dusche.“

Der Vorfall ereignete sich auf der IFA Berlin – und löste zurecht eine Welle der Empörung aus. In einem Statement des ZDF hieß es später, dass die Berührung nur angedeutet gewesen sei, Joko und Klaas entschuldigten sich – was die Sache nicht weniger problematisch macht. Nachlesen kann man das zum Beispiel bei der Süddeutschen Zeitung.

Inhaltliche Kritik an Männerwelten

Auch inhaltlich gibt es Kritik an der Sendung. Twitter-User*innen mahnen an, dass nur junge weiße Frauen zu sehen waren, sexuelle Gewalt aber alle Frauen betreffe. Sonja Eismann, Journalistin und Herausgeberin des feministischen „Missy Magazine“, kritisiert die Aufmachung der Sendung: Sexualisierte Gewalt sei nicht etwas Abgründiges, Ekeliges, sondern leider alltäglich. Der Gruselfaktor bediene zudem das Klischee des Fremden, der hinter dem Busch auflauert, dabei spiele sich sich sexualisierte Gewalt meist im nahen Umfeld von Frauen ab.

Utopia meint: Ein Klaps auf den Po, das unaufgeforderte Zusenden von „Dick Pics“, plumpe Aufforderungen zum Sex. Und wer sich gegen sowas wehrt, wird beleidigt. Fast die Hälfte aller Frauen in Deutschland wurde schon einmal sexuell belästigt – man kann sich vorstellen, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegt. Denn oft werden solche sexuellen Übergriffe bagatellisiert. Zudem melden Frauen bei weitem nicht jeden einzelnen Vorfall – weil es ihnen unangenehm ist, weil es anstrengend ist, oder weil sowas oft schneller passiert, als frau reagieren kann.

Mit ihrer Sendung erreichen Joko und Klaas regelmäßig ein Millionenpublikum. Eigentlich geht es um Unterhaltung. Umso besser, wenn die beiden ihre Reichweite dafür nutzen, um auf dieses gesellschaftliche Problem aufmerksam zu machen. Nicht nur die Statistiken zeigen, wie verstörend die Zustände in einer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft wie der unseren immer noch sind. Auch aus den Kommentaren unter dem Video kann man herauslesen, wie präsent sexuelle Belästigung und Gewalt im Alltag vieler Frauen sind – und wie wenig noch immer darüber gesprochen und dagegen getan wird.

Auch an dieser Stelle der Nachtrag: Der Streich von früher hinterlässt einen Faden Beigeschmack – und macht es schwer, Joko und Klaas‘ Engagement einfach nur zu feiern.

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