Die Meere sind überfischt, verschmutzt und vermüllt, sie heizen sich auf und versauern, die Artenvielfalt nimmt ab – und ihr Zustand wird immer schlechter. Das zeigt der neue „Meeresatlas 2017“.
Welchen Einfluss hat der Mensch auf die Ökosysteme der Meere? Und wie schlimm steht es wirklich um die Ozeane? Der neue Meeresatlas präsentiert umfangreiche Daten und Fakten über den Umgang des Menschen mit dem Meer. Herausgeber sind die Heinrich-Böll-Stiftung, der Kieler Forschungsverbund Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ und die Monatszeitung Le Monde Diplomatique. Gemeinsam fordern sie ein Umdenken und ein umfassendes internationales Kontroll- und Schutzsystem für die Ozeane.
Die Meere kommen geraten durch menschliche Eingriffe immer stärker unter Druck, die Meeres-Ökosysteme wandeln sich zum Teil rapide. Diese Erkenntnis ist nicht neu, doch die nun gesammelten Daten machen klar, wie akut die Bedrohung der Ozeane ist.
Klimawandel und Versauerung
Die Meere können bis zu 27 Prozent des ausgestoßenen CO2 und zugleich 93 Prozent der globalen Erderwärmung aufnehmen. Damit dämpfen die Ozeane die menschengemachte Klimaerwärmung. Mittlerweile lässt sich die Erwärmung sogar in der Tiefsee dokumentieren, so die Herausgeber des Meeresatlas.
Die große Menge aufgenommenes CO2 lässt die Meere versauern – die Versauerung in einzelnen, besonders produktiven Ozeanregionen übertrifft im Jahr 2017 bereits die Prognose für den globalen Ozean im Jahr 2100. Hier kann die fortschreitende Versauerung schon in kürzester Zeit tiefgreifende Auswirkungen auf die Nahrungsketten haben, denn sie gefährdet die Bestände vieler Meereslebewesen.
Überfischung
Laut Meeresatlas sind derzeit 58 Prozent der globalen Fischbestände maximal genutzt, 31Prozent der Bestände sind überfischt. Manche Bestände von Speisefischen wie Schwertfisch, Hai oder Kabeljau sind bereits um bis zu 90 Prozent geschrumpft.
Nicht zuletzt aufgrund der hohen Beifangmengen in der industriellen Fischerei sind einzelne Tiergruppen wie Wale, Seeschildkröten und viele Rifffische bereits bedroht oder stehen vor dem Aussterben.
Zugleich hat sich der Konsum von Fisch aus Aquakulturen in knapp 30 Jahren mehr als vervierfacht. Heute kommt jeder zweite Speisefisch aus Aquakulturen. Dabei verschärft das oftmals das Problem der schwindenden Fischbestände: Zuchtfische in Aquakultur verbrauchen bis zu 20 Kilogramm Wildfisch pro Kilogramm Eigengewicht.
Plastikmüll
Zusätzlich werden die Ozeane weltweit durch riesige Mengen an Plastikmüll belastet. Schätzungen zufolge landen jedes Jahr rund acht Millionen Tonnen Plastikmüll in den Meeren.
Größere Plastikteile stellen dabei eine unmittelbare Gefahr für Meereslebewesen dar. Kleinere Partikel (Mikroplastik) ziehen Schadstoffe an und Meereslebewesen verwechseln sie mit Nahrung – die Tiere nehmen vergiftetes Plastik auf. Mit Fisch oder Meeresfrüchten landet das Ganze dann auch auf unseren Tellern.
Der Großteil des Plastikmülls gelangt vom Land aus in die Meere. Doch auch der zunehmende Schiffsverkehr und der boomende Kreuzfahrttourismus tragen dazu bei. Zudem belastet die Schifffahrt die Meere mit Ölresten und Abgasen.
„Die Ballung des Küstentourismus verursacht über Bebauung, Abwässer und Verkehr massive Schäden an den Küstenmeeren – allein die Mittelmeerküsten nehmen ein Drittel der weltweiten Touristenströme auf“, sagte Dirk Scheelje, Vorstandsmitglied der Landesstiftung Schleswig-Holstein, bei der Vorstellung des neuen Meeresatlas.
„Meeres- und Küstentourismus muss also zwingend nachhaltiger gestaltet werden, wenn wir die Meere und Küsten auch für die folgenden Generationen als Erholungs- und lebenswerte Räume erhalten wollen.“
„Es liegt in unserer Hand“
Es ist vor allem die Summe der diversen Stressfaktoren für die Ozeane, welche die Lebensgrundlage von Fischen und andere Meeresbewohnern gefährdet. Das sagte Martin Visbeck, Sprecher des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“, bei der Vorstellung des Meeresatlas.
Die Folgen der Erwärmung werden laut Visbeck zu Strömungsveränderungen führen, die das weltweite Klima beeinflussen. „Überschreiten wir dabei Kipppunkte kann sich das regionale Klima unwiederbringlich verändern – mit deutlichen Folgen für die Küsten und Lebensräume der Meeresökosysteme und Menschen.“
„Die gute Nachricht ist: Es liegt in unserer Hand, katastrophale Entwicklungen zu verhindern.“
Unzureichender Schutz für die Meere
Bisher sind die Ozeane trotz ihrer Verletzlichkeit nicht umfassend geschützt.
„Nur 4,3 Prozent der Meeresflächen stehen unter Schutzregelungen, davon sind gerade einmal 1,9 Prozent stark geschützte Zonen. Die Ozeane gehören zu den am wenigsten global geschützten Ökosystemen und verantwortungsvoll verwalteten Gebieten der Erde. Das ist angesichts der Bedeutung der Meere für das Klima, unsere Ernährung und die Artenvielfalt verantwortungslos“,
sagt Barbara Unmüßig, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung.
Nicht nur gibt es viel zu wenig Schutzgebiete; es gibt keine globalen Institutionen oder Kontrollsysteme, welche die vielfältigen Gefahren – Verschmutzung, Vermüllung, Überfischung usw. – adressieren könnten. „Es braucht deshalb einen übergreifenden Regierungsmechanismus mit effektiven Sanktionsmöglichkeiten“, so Unmüßig.
Statt wirksamer Schutzmaßnahmen sichern sich die Staaten derzeit Nutzungsrechte: „Die größten Eingriffe drohen nun durch Tiefseebergbau. Die Rohstoffgewinnung am Meeresgrund zerstört das fragile Ökosystem dort auf Dauer, ohne dass wir die Auswirkungen dieser Zerstörung auf das komplexe Gesamtsystem Meer und somit auch Klima und Land auch nur im Ansatz begreifen würden.“
Unmüßig fordert daher ein globales Moratorium für Rohstoffgewinnung und Tiefseebergbau, bis potenzielle Folgen geklärt sind. Auch eine „internationale Plastikkonvention“, die das Plastikmüllproblem in den Meeren angeht, sei unerlässlich.
Haben die Meere noch eine Chance?
Unmüßig und Visbeck sehen eine große Chance in den „Zielen für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen, konkret in Ziel Nr. 14: „Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen“.
Zum ersten Mal erhalten die Meere damit „eine Stimme auf der weltweiten Agenda zur Entwicklung für mehr Nachhaltigkeit“, so Visbeck. Unmüßig hält das für einen „hervorragenden Ausgangspunkt“, damit der Schutz und die nachhaltige Nutzung der Ozeane endlich politische Priorität bekommt.
Die Verantwortung liegt jedoch auch bei jedem Einzelnen: Durch die Vermeidung von unnötigem Plastikmüll, den weitgehenden Verzicht auf Fisch, nachhaltige Reisen und die Reduzierung des eigenen CO2-Fuaßbadrucks kann jeder dazu beitragen, die Meere zu schützen.
Bei der Heinrich Böll Stiftung findest du alle Infos zum Meeresatlas 2017 und den Download.
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