Europas Rüstungsindustrie braucht Geld. Vermehrt werden Rufe laut, Investitionen in konventionelle Waffen als nachhaltig einzustufen. Geraten Anbieter grüner Fonds unter Druck?
Wer sein Geld in nachhaltigen Fonds anlegt, könnte künftig auch vermehrt in die Rüstungsindustrie investieren. Deutsche Banken- und Fondsverbände wollen künftig nachhaltigen Anlageprodukten nicht mehr verbieten, Geld in konventionelle Rüstungsgüter zu stecken. Hintergrund zur Aufgabe einer geltenden Regel der deutschen Verbände seien aktuelle politische Entwicklungen sowie neue regulatorische Vorgaben, heißt es von der Deutschen Kreditwirtschaft (DK). Völkerrechtlich geächtete Waffen sollen auch weiterhin vollständig für Investitionen ausgeschlossen bleiben. Die Aufsichtsbehörden müssen noch grünes Licht für die Pläne geben.
Das Aufgeben des „Nein“ zur Verteidigungsindustrie, dem sogenannten Mindestausschluss, sei „ein wichtiger Schritt hin zur EU-weiten Standardisierung der Mindestanforderungen an nachhaltige Fonds“, sagt ein Sprecher des Deutschen Fondsverbands BVI. Weiter gültige Ausschlüsse für Tabak, geächtete Waffen und Verstöße gegen soziale Normen und Menschenrechte deckten sich mit den jüngst veröffentlichten Leitlinien für nachhaltige Fonds der europäischen Wertpapieraufsicht ESMA. In diesen werden Investitionen in „Unternehmen, die an Aktivitäten im Zusammenhang mit umstrittenen Waffen beteiligt sind“ ausgeschlossen – nicht in Rüstungsunternehmen generell.
Politik ruft nach mehr Investitionen in Rüstung
Vor dem Hintergrund der geopolitischen Veränderungen, des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sowie Europas Wettbewerbsfähigkeit rückt der Ausbau der hiesigen Rüstungsindustrie in den Fokus der Politik – und dafür braucht es Geld. Das soll zum einen von der Europäischen Investitionsbank (EIB) kommen, die Sicherheit und Verteidigung jüngst zu einer Priorität machte und bislang geltende Vorgaben für Geldflüsse in die Industrie aufweichte.
Gleichzeitig wird auch der Ruf der Politik an die Finanzbranche lauter, mehr in Sicherheit und Verteidigung zu investieren – und dies nicht wegen Nachhaltigkeitsbedenken zu unterlassen. So heißt es etwa in einer im März von der EU-Kommission vorgelegten europäischen Industriestrategie für den Verteidigungsbereich: „Die Bereitschaft der Finanzakteure, mit der Verteidigungsindustrie zusammenzuarbeiten, dürfte (…) durch Mutmaßungen in Bezug auf die Faktoren Umwelt, Soziales und Governance (ESG) beeinträchtigt sein.“
Dabei seien im EU-Rahmen für ein nachhaltiges Finanzwesen einschlägige Vorschriften weder vorgesehen noch geplant, durch die private Investitionen in die Verteidigungsindustrie behindert werden. Der ehemalige italienische Regierungschef Mario Draghi drängt in seinem jüngst vorgelegtem Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit Europas auf Klarstellung dieser Tatsache.
Abgesehen von Waffen, die gemäß internationaler Übereinkommen verboten seien und daher von der EU als mit sozialer Nachhaltigkeit unvereinbar angesehen werden, sorge die Verteidigungsindustrie angesichts ihres Beitrags zu Resilienz, Sicherheit und Frieden gar für mehr Nachhaltigkeit, betont die EU-Kommission.
Experten: Waffen richten signifikanten Schaden an
Können Investitionen in Waffen nachhaltig sein? „Hier geht es natürlich um Wertvorstellungen„, sagt Christian Klein, Professor für Nachhaltige Finanzwirtschaft an der Universität Kassel. Aus seiner Forschung aber gehe hervor: Rüstung sei eines der Felder, die von Menschen, die ihr Geld nachhaltig anlegen möchten, immer ausgeschlossen werden – auch nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.
Verena Menne, Geschäftsführerin des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG), sagt, die Diskussion drehe sich hauptsächlich um den positiven Beitrag zur Sicherheit. Es werde jedoch außer Acht gelassen, ob durch die Rüstungsindustrie ein nach geltenden Nachhaltigkeitsklassifikationen „signifikanter Schaden“ entsteht. Diese Frage sei mit einem eindeutigen „Ja“ zu beantworten. Das FNG lehne eine Vermischung der Sicherheits- mit der Nachhaltigkeitsdebatte ab. „Die Nachhaltigkeitsdebatte sollte wissenschaftsbasiert und nicht politisch motiviert geführt werden.“ Natürlich aber habe ein Land das Recht, sich im Falle eines Angriffs mit Waffen zu verteidigen, betonte die Geschäftsführerin.
Nachhaltige Finanzbranche unter Druck
Die Finanzbranche allerdings gerät zunehmend unter Druck – zwischen den Rufen der Politik und den Wünschen der Anleger:innen. „Sowohl uns als Verband als auch unsere Mitglieder beschäftigt das Thema derzeit sehr stark“, sagt Menne vom FNG. Von der DK heißt es, die beteiligten Verbände hätten sich „intensiv“ mit dem Thema Mindestausschluss für Rüstungsgüter befasst.
Die Fondsgesellschaft Union Investment teilt etwa mit, in ihren nachhaltigen Fonds auch weiter auf Waffeninvestitionen zu verzichten. Waffen könnten notwendig, aber nicht nachhaltig sein, sagt Nachhaltigkeitschef Henrik Pontzen. „Auch wenn einige Konzerne einen hohen Umsatzanteil in Geschäftsfeldern erwirtschaften, die nicht der Rüstung zuzurechnen sind, kommen diese Unternehmen für unsere nachhaltigen Fonds nicht in Frage.“
Worauf Verbraucher:innen achten müssen
Anleger:innen werden weiterhin genau darauf achten müssen, in welche Unternehmen sie mit ihren Finanzprodukten investieren, sagt Menne vom FNG. „Dazu sollten sie sich überlegen, was Nachhaltigkeit in der Geldanlage für sie bedeutet.“ Sie könnten sich dann beraten lassen oder auch selbst recherchieren, welche Finanzprodukte dies erfüllen. Da es sich bei den Mindestausschlüssen um einen Mindeststandard handelt, könnten die Anbieter von Finanzprodukten darüber hinausgehen und wie bisher vorgehen, heißt es von der DK. „Kunden werden auch künftig Produkte entsprechend ihrer Nachhaltigkeitspräferenz angeboten.“
Utopia meint: Waffeninvestitionen bleiben heikel
Können Waffen nachhaltig sein? Der Gedanke fühlt sich falsch an. Waffen werden produziert, um Schaden anzurichten. Sie vernichten Menschenleben und selbst Bomben und Raketen, die ihr Ziel nicht treffen, richten Verwüstung in der Umwelt an. Jeder Waffeneinsatz ist isoliert betrachtet das Gegenteil von nachhaltig. Andererseits gibt es Situationen, in denen Rüstungsgüter schlicht notwendig sind. So brauchen selbst friedliche Länder ein gut ausgestattetes Militär, um sich im Notfall gegen andere Staaten verteidigen zu können, die ihrerseits Waffengewalt nutzen, um andere zu unterjochen.
Dennoch bleiben Waffeninvestments heikel. Man kann eben nicht genau steuern, in welchen Händen die Sturmgewehre und Granaten landen, die man am Ende mitfinanziert hat. Außerdem gibt es genug andere wirklich nachhaltige Geschäftsfelder, die ebenfalls Investitionen dringend nötig haben und einen nicht vor ein moralisches Dilemma stellen – etwa der Energie- oder der Gesundheitssektor. Utopia wird es deshalb weiterhin positiv auslegen, wenn Banken und Fonds Investitionen in Rüstungsgüter ausschließen.
Die von Utopia empfohlenen nachhaltige Banken verzichten daher allesamt auf Kredite und Investitionen in den Waffensektor. Das wird sehr wahrscheinlich auch so bleiben, selbst wenn die EU konventionelle Waffen in Zukunft als „nachhaltig“ klassifiziert. Schließlich haben grüne Banken etwa auch bei der Atomkraft eine strengere Haltung als die EU.
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