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„Blanker Hohn für alle Betroffenen“: Jenkes Psyche-Experiment erntet Kritik

Jenke von Wilmsdorff wagt angesichts der Herausforderungen der vergangenen zwei Jahre ein neues Experiment.
Foto: Screenshot ProSieben

Coronakrise, Isolation, Krieg mitten in Europa: Die vergangenen zwei Jahre waren hart für unsere Psyche. Journalist Jenke von Wilmsdorff startet deshalb ein neues Experiment – und spricht über seine eigenen Ängste.

Pandemie, Einsamkeit, Angst und ein Krieg in der Ukraine: Jenke von Wilmsdorff wagt angesichts der Herausforderungen der vergangenen zwei Jahre ein neues Experiment. Gemeinsam mit Psychologe Leon Windscheid thematisiert er das Thema Psyche und welche Auswirkungen bestimmte Faktoren auf sie haben.

„Noch immer sind psychische Probleme ein Tabu-Thema. Kaum jemand redet offen darüber“, erklärt der TV-Journalist auf ProSieben. Wilmsdorff möchte das ändern – weswegen er in seinem neusten Experiment seine Psyche unter Druck setzt. „Wie schnell gerate ich aus der Balance?“. Dieser Frage will das Experiment nachgehen.

Dafür hat sich Wilmsdorff in einem Raum isolieren lassen – ohne jedoch zu wissen, wie lange seine künstliche Quarantäne dauert. „Dadurch, dass ich nicht wusste, wie lange es dauert, hatte ich diese ewige Unruhe“, erklärt er auf einer Presseshow. Dies nage an der Psyche und habe bei ihm für eine „relativ zügige Instabilität“ gesorgt.

Jenke in Isolation: „Ich mache mir Sorgen – um einfach alles“

Wie das konkret aussieht, zeigte die Sendung, die am Montag auf ProSieben ausgestrahlt wurde: Zu Beginn seiner Isolation durfte sich der Journalist noch mittels Social Media und einem Streaming Dienst ablenken. Mit anderen Menschen reden oder Kontakt zur Außenwelt waren allerdings strikt verboten. Immer wieder ist er gezwungen, schlechte Nachrichten zu lesen.

„Ich mache mir Sorgen – um einfach alles. Und ich weiß nicht, wie ich Ruhe in den Kopf kriege“, sagt Wilmsdorff und greift zur Rotwein-Flasche. Wie viele Menschen in Deutschland während der Pandemie. So ist der Alkoholkonsum während des Lockdowns um 37 Prozent gestiegen. Laut Psychologe Windscheid gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass Grübeln eine Vorstufe für depressive Verstimmungen ist. Bereits an Tag 5 kann der Journalist nicht mehr einschlafen, wälzt sich von einer Bettseite zur anderen – auch, weil er tagsüber mehrere Stunden am Stück keine Beschäftigung hat und nichts tut. Sport zu treiben fällt ihm immer schwerer.

„Gucken wir aufs gesamte Leben, ist jede vierte Frau und jeder achte Mann von Depressionen betroffen“, resümiert Windscheid. Pro Jahr sind es 5,3 Millionen Erwachsene in Deutschland, die die Kriterien einer Depression erfüllen. Ein Indiz dafür ist laut Windscheid der Verlust jeglicher Interessen, des eigenen Antriebs und des Gefühls von Freude. Für Außenstehende sei dies aber oft schwer bis kaum zu beurteilen, daher ist professionelle Hilfe ratsam.

Wilmsdorff wurde während des Experiments auch mit seinen eigenen Ängsten konfrontiert. „Mir wurde bewusst, dass ich eine sehr traurige, einsame Kindheit hatte“, sagt er. Die Isolation erinnerte Wilmsdorff an den Hausarest, den er als Kind bekam – und an seinen Vater, der die Familie verließ, als er drei Jahre alt war. Dem Journalisten sei klar geworden, dass er „einen Großteil“ seiner Kindheit „auf der Flucht“ gewesen sei – „vor Gefühlen, Einsamkeit, Verlustangst, vor Schmerz. Ganz viel Schmerz.“ Wilmsdorff habe aufgrund seiner Probleme eine Zeit lang nicht mehr essen wollen, weshalb er im Krankenhaus künstlich ernährt worden ist.

Scharfe Kritik von Zuschauer:innen

Überwunden habe er seine, wie er sagt, Angst, indem er unter anderem das tat, wovor er sich fürchtete. Allerdings stellt Wilmsdorff klar: Er wolle sich und seine Erlebnisse keinesfalls auf eine Stufe mit depressiven Menschen oder Suchtkranken stellen. Ihm ginge es lediglich darum, „eine Brücke zu schlagen“, indem er mit dem Experiment „in das Umfeld“ der jeweiligen Problematik komme. ProSieben zufolge sieht man darin also Aufklärungsarbeit.

Bei manchen Zuschauer:innen kam das Experiment allerdings nicht gut an. Auf Twitter kritisierten sie die künstliche Isolation als ethisch fragwürdig. So schrieb ein:e User:in: „Hey, ich sperre mich ein bisschen ein, dann werde ich depressiv und dann komme ich wieder raus. Nein, einfach nein. Dass das Thema enttabuisiert wird, ist ja gut. Aber die Durchführung dieses Experiments ist blanker Hohn für alle wirklich Betroffenen.“

Von einer „privilegierten Zeitverschwendung“ spricht User:in Anna. „Sich einfach eine Zeit lang fürs Fernsehen einsperren, performen und gucken, was passiert, hat nichts mit tatsächlicher Einsamkeit & wirklicher Einschränkung durch psychischer Erkrankungen zu tun.“

Utopia meint: Das Jenke-Experiment ist eine öffentlichkeitswirksame Sendung, die einem breiten Publikum ein bestimmtes Thema näher bringen möchte. Das ist wichtig. Doch Shows wie diese ersetzen in keinem Fall eine ärztliche, professionelle Beratung. Insbesondere bei Fragen rund um psychische Erkrankungen. Sollte dir die Belastung in der Coronakrise zu viel werden, bekommst du hier Tipps: Psychische Belastung in der Coronakrise? Hier findest du Hilfe

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