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Tiere essen, weil wir sie lieben? Aussagen, losgelöst von der Realität

Schwein im Stall
Foto: pexels / Matthias Zomer

Tierliebe geht durch den Magen – diese Ansicht vertritt die Autorin Christina Berndt in einem Essay der Süddeutschen Zeitung. Ist das so? Wir halten die Aussage für realitätsfern.

Eine Welt mit „lauter Vegetariern“ wäre vor allem eines: „eine traurige“, schreibt Christina Berndt in einem Essay für die Süddeutsche Zeitung. Die promovierte Wissenschaftsjournalistin ist der Ansicht, wer Tiere liebt, sollte sie essen. Natürlich nur glückliche Kühe, Schweine und Hühner. Die Autorin zeichnet dabei eine Welt von Nutztieren, die man „bewundern und streicheln“ und „denen man in die Kulleraugen“ schauen kann. Wir fragen uns: Von welcher Realität spricht Berndt?

Basis ihrer – wie sich noch weiter zeigen wird, abstrusen – Argumentation ist die Annahme, dass verhindertes Leid verhindertes Glück bedeute: „Es ist eine sehr destruktive, lebensfeindliche Haltung, Leid um jeden Preis verhindern zu wollen. Wer Leid verhindert, indem er Leben verhindert, der verhindert Glück“, so Berndt. Diese These erinnert an die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche. Frauen dürften nicht abtreiben, weil dies potenzielles Leben verhindere, heißt es auf Seiten der Abtreibungsgegner:innen. Die Bedingungen, die dieses Leben hätte, werden jedoch außer Acht gelassen.

Massentierhaltung anstatt Streichelzoo

So auch von der Autorin: Denn Berndt rechtfertigt ihre Kritik am Status quo – der zunehmenden Beliebtheit des vegetarischen und veganen Lebensstils – mit Zustandsbeschreibungen aus längst vergangenen Zeiten. Genauer gesagt aus Zeiten, in denen Menschen tatsächlich noch eine Beziehung zu den Tieren hatten, die sie selbst töten mussten. Berndt schreibt: „Beim nicht gelebten Leben von Tieren steht aber noch mehr auf dem Spiel als allein das Glück der Tiere. Es geht auch um das Glück der Menschen, die diese Tiere dann nicht mehr genießen können. Genießen ganz unabhängig vom Essen. Menschen könnten die Tiere nicht mehr beobachten und füttern, sich an ihnen erfreuen, sie streicheln und ihr Immunsystem beim Stallbesuch trainieren.“ Doch die Realität ist eine ganz andere.

Die Fleischindustrie funktioniert nach kapitalistischen Martkmechanismen, ist getrieben von billigen Preisen, oft schlechten Arbeitsbedingungen und eben auch von katastrophalen Umständen in Vieh- und Schlachthöfen. Schweine sind auf engsten Raum gepfercht, sehen das Tageslicht nicht und müssen ihr Dasein auf Spaltenböden fristen. Massentierhaltung anstatt glücklicher Streichelzoos also.

Aussagen, losgelöst von der Realität des Fleischsystems

Zwar erkennt Berndt die akuten Missstände „misshandelter Tiere“ in „schrecklichen Ställen“ an, allerdings hält sie das nicht davon ab, über das jahrzehntelang florierende globale Geschäft mit sogenannten Nutztieren hinwegzusehen. So war laut dem Statistischen Bundesamt China vor der Pandemie Deutschlands wichtigster Abnehmer für Schweinefleisch, nur ein Beispiel der weltweiten Export-Maschinerie. Pro Jahr werden rund 60 Milliarden Tiere weltweit für den Verzehr geschlachtet. Wie also kommt die Autorin auf den Gedanken, dass angesichts der realen Umstände „Nutztiere durchaus ein gutes Leben führen“ könnten, auch wenn sie getötet werden?

Berndt schreibt: „Aber bis dahin empfinden sie Lebenslust, werden von ihrer Mutter geliebt, lernen laufen, balgen sich mit ihren Geschwistern, machen Erfahrungen und Entdeckungen und erfreuen sich an saftigem Gras und vollem Korn.“ Eine schöne Vorstellung. Und doch eine, die losgelöst ist von der existierenden Infrastruktur des Fleischsystems, das Ferkelkastrationen, das Ausbrennen von Hörnern und Masthühner verlangt, die nicht länger als vier Wochen alt werden dürfen. Berndt heißt mit ihrer „Wer Tiere liebt, sollte sie essen“-Aussage ein Konsumverhalten gut, das so für die Mehrheit der Menschen gar nicht möglich ist – weil nunmal der Großteil des Fleisches aus leidvoller Massentierhaltung stammt.

Das leichtfertige Gerede von glücklichen Tieren

Sie spricht leichtfertig von „ziemlich glücklichen Tieren“ aus besserer Haltung, ohne einmal zu fragen, wie die aktuelle Industrie zu reformieren sei. Oder ob sie es überhaupt noch ist.

Sie befürwortet Bedingungen, die das Leben eines Nutztiers „lebenswert“ machen, plädiert für „ordentliches Futter“, „genug Platz und Sonne“ bevor das Tier geschlachtet wird, „ohne dabei allzu viel Angst und Schmerz zu erleiden“. Dann, so die Autorin weiter, „dürfte das Leben für das Tier wertvoller sein als der Schutz vor Leid durch Nichtexistenz“.

Abgesehen davon, dass nicht abschließend geklärt ist, ob es so etwas wie einen möglichst stress- und schmerzfreien Tod gibt, widerspricht sich Berndt damit schlussendlich selbst. Sie sagt, man sollte „selbstverständlich keine misshandelten Tiere essen“. Doch ist nicht das Töten eines Tieres, das leben will, die ultimative Misshandlung?

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