Erdöl ist einer der wichtigsten Energielieferanten weltweit und zugleich auch einer der umweltschädlichsten. Ein Unternehmen aus Norwegen will deswegen nun klimaneutrales künstliches Erdöl herstellen – aus Wasser, CO2 und Ökostrom.
„Blue Crude“, so heißt der Erdöl-Ersatz, den das norwegische Unternehmen „Nordic Blue Crude“ schon in wenigen Jahren in großem Stil herstellen möchte. Das künstliche Erdöl soll dabei komplett klimaneutral sein.
Die „Zutaten“: Wasser, CO2 und Ökostrom. Die Idee klingt zunächst einmal weit hergeholt – die Pläne von Nordic Blue Crude sind jedoch bereits weit fortgeschritten. Die erste Großanlage soll schon 2020 im norwegischen Industriepark Heroya stehen.
Das Herzstück: die Dampf-Elektrolyse
Das Unternehmen arbeitet dafür mit einer Reihe von Partnern zusammen, unter anderem mit der deutschen Firma „Sunfire“. Das Unternehmen aus Dresden hat das Verfahren zur Herstellung des synthetischen Erdöls entwickelt.
Das Verfahren funktioniert nach dem „Power-to-Liquid“-Prinzip (deutsch etwa: „Elektrische Energie zu Flüssigkeit“). Das Herzstück ist dabei die Dampf-Elektrolyse. Mithilfe von Strom wird Wasserdampf in die Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Anschließend wird CO2 in Kohlenstoffmonoxid (CO) umgewandelt.
Die Autobranche verfolgt die Entwicklungen
Zuletzt folgt die „Blue-Crude-Synthese“: Die einzelnen Bestandteile werden miteinander verbunden. Dass das Verfahren funktioniert, stellte Sunfire erst kürzlich unter Beweis. In einer Pilotanlage produzierte das Unternehmen mehr als drei Tonnen des künstlichen Erdöls.
Einen Teil davon erhielt der Autobauer Audi. Unter anderem die Auto-, Energie- und Luftfahrtbranche zeigen bereits Interesse an dem Erdöl-Substitut. Laut Sunfire können mit dem künstlichen Erdöl etwa 3000 Produkte hergestellt werden, die bislang auf fossilem Erdöl basieren – von Kaugummi bis hin zu Raketentreibstoff.
Zusammenarbeit mit Climeworks
Die erste Großanlage in Norwegen soll zunächst 8.000 Tonnen künstliches Erdöl pro Jahr produzieren. Damit könnten beispielsweise 13.000 PKWs versorgt werden, schreibt Sunfire. Das würde 21.000 Tonnen fossiler Emissionen vermeiden. Kosten soll das künstliche Erdöl unter zwei Euro pro Liter. Damit ist es also noch deutlich teurer als herkömmliches Erdöl.
Nordic Blue Crude will die Anlage mit Ökostrom aus Windenergie betreiben. Für das benötigte CO2 hat sich die Firma mit dem Schweizer Unternehmen Climeworks zusammen getan. Climeworks filtert mit einer speziellen Anlage CO2 aus der Luft, bindet es und verkauft es an Abnehmer aus der Industrie. Die erste kommerzielle Anlage steht in der Schweiz, weitere Anlagen sollen folgen.
Zehn identische Anlagen in Skandinavien
Die Produktion des künstlichen Erdöls ist also klimaneutral – ganz im Gegensatz zur herkömmlichen Erdöl-Förderung. Aber: Trotzdem wird wieder CO2 freigesetzt, wenn der Erdöl-Ersatz als Treibstoff verbrannt wird. Die Verbrennung ist allerdings um einiges umweltfreundlicher als die von fossilem Erdöl. Hier werden keine Aromate und Schwefel freigesetzt, außerdem entsteht deutlich weniger Ruß.
2020 soll die Produktion in der ersten Großanlage beginnen. Aufbauend auf den ersten Erfahrungen will Nordic Blue Crude langfristig zehn identische Anlagen in Skandinavien bauen.
Synthetisches Erdöl als klimaneutraler Treibstoff klingt im Prinzip nach einer interessanten und zukunftsweisenden Idee, die es sich lohnt, im Auge zu behalten. Dennoch glauben wir, dass im Bereich Mobilität im Namen von Umwelt- und Klimaschutz die Entwicklung von echten Alternativen zum Verbrennungsmotor und die Abkehr vom Individualverkehr weiter im Fokus der Forschung stehen sollten.
Ist das synthetische Erdöl also die Lösung? Wir glauben, dass es bessere Alternativen geben muss als neue Versionen des Verbrennungsmotors und dass wir auch eine Abkehr vom Individualverkehr brauchen. Doch realistisch gesehen werden wir in den nächsten Jahren weiterhin Produkte und vor allem Treibstoffe aus Erdöl benötigen. Wenn sich diese künftig stattdessen aus künstlichem Erdöl herstellen lassen, wäre das bereits ein Gewinn für die Umwelt. Es lohnt sich also, das synthetische Erdöl im Auge zu behalten – besser als aus der Erde gepumptes Erdöl ist es allemal, solange für seine Produktion nur Strom aus erneuerbaren Energien eingesetzt wurde.
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