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Plastik statt Plankton im Meer

Geschätzte Abbauzeiten von häufigem Schwemmgut
© Museum für Gestaltung Zürich

Das Meer ist groß, aber es kann nicht alles schlucken – schon gar nicht all unser Plastik. Nach Jahrzehnten der Müllentsorgung spuckt uns der Ozean unseren Müll wieder vor die Füße. Längst wird der Sand unter unseren Füßen langsam zu Plastik.

Plastik im Meer: Quietsche-Enten auf großer Fahrt

Vor 19 Jahren ging vor Hongkong eine Ladung Plastikenten von Bord eines chinesischen Frachters. Seitdem vagabundieren die Gummitierchen durchs die Meere, statt in den Badewannen dieser Welt herumzuschwimmen. Einige strandeten in England, andere an der Ostküste Amerikas, wieder andere in Japan und manche irgendwo im „ewigen“ Eis.

Stellt man sich diese Reise vor, geben sie ein lustiges Bild ab, diese Quietsche-Enten auf großer Fahrt. Aber eigentlich ist es keine nette Anekdote, sondern eine traurige Geschichte. Plastikenten können nämlich verdammt alt werden – bis zu 450 Jahre schafft so ein Plastetier in unseren Ozeanen. Und die chinesischen Enten sind bei weitem nicht der einzige Plastikmüll im Meer.

Plastik im Meer: geschätzte Abbauzeiten von häufigem Schwemmgut
Plastik im Meer: geschätzte Abbauzeiten von häufigem Schwemmgut (Zum Vergrößern auf das Bild klicken © Museum für Gestaltung Zürich - "Endstation Meer")

Eine große Gefahr ganz klein: Mikroplastik

Kein Mensch kann genau sagen, wie viel Plastikmüll sich weltweit bereits im Meer angesammelt hat. Fakt ist: es wird immer mehr. Denn der bereits vorhandene Müll löst sich nicht einfach auf. Beziehungsweise doch, das tut er, aber erst nach bis zu 600 Jahren – dann hat die Natur nämlich sogar das hartnäckigste Fischernetz dem Meeresboden gleich gemacht. Nur dass auch der Meeresboden wohl bald zum Teil aus Plastik bestehen wird.

Das Fatale am Kunststoff ist nämlich, dass er im Grunde kaum biologisch abgebaut werden kann, sondern nur in immer kleinere Stücke zerrieben wird und deshalb nur optisch verschwindet. Als sognanntes Mikroplastik wird bereits jetzt mehr und mehr zur unheimlichen Bedrohung. Denn die riesigen Plastikmüllmengen haben dank Salzwasser und Sonneneinwirkung bereits begonnen, sich zu zersetzen. Mikroplastik, bestehend aus Teilchen kleiner als der Durchmesser eines Haares, ist weltweit vielerorts in Wasser, Sand und im Sediment am Meeresboden nachweisbar. In Experimenten zeigte sich bereits, dass sich diese Teilchen nicht nur in Mägen von Schalentieren sammeln, sondern sich auch in deren Gewebe und Körperflüssigkeit anreichern.

„Plastik gefährdet unsere Ökosysteme, weil es mittlerweile als vermeintliches Nahrungsmittel für Meeresorganismen verfügbar ist. Je kleiner das Mikroplastik, desto wahrscheinlicher verwechseln Muscheln, Würmer oder Fische die Partikel mit Nahrung oder nehmen sie passiv durch Filtration auf“, sagt Nadja Ziebarth, Meeresschutzexpertin beim BUND. Die Auswirkungen von Mikroplastik auf Meeresorganismen reichten von physiologischen Störungen über Tumorbildung bis hin zu erhöhten Sterberaten. „Besonders gefährlich ist, dass Mikroplastik wie ein Magnet auf Giftstoffe im Wasser wirkt. Meereslebewesen nehmen mit dem Mikroplastik auch Schadstoffe auf.“ An Mikroplastik seien bis zu tausendfach höhere Schadstoffkonzentrationen gefunden worden als im Umgebungswasser.

Geisternetze, Zwitterfische, Quallen aus Plastik

Die Konsequenzen sind bisher noch unklar. Fest steht jedoch, dass sich mit dem Mikroplastik auch die im Plastik enthaltenen Schadstoffe wie Weichmacher und Lösemittel stärker verteilen und ins Wasser übergehen. Da einige dieser Stoffe hormonell wirken, kommt es bei männlichen Fischen bereits verstärkt zu Unfruchtbarkeit und Zwitterbildung. Und zu allem Überfluss tragen nicht nur diese ohnehin im Plastik enthaltenen Schadstoffe zur Vergiftung der Meereslebewesen bei. Plastik wirkt im Meer wie ein Schadstoffmagnet, der wasserabweisende Chemikalien im Meer an- und aufsaugt.

Aber bevor wir die Bewohner des Meeres mit unserem Plastikmüll vergiften, sind viele bereits durch andere Tücken des Materials verendet. In manchen Gebieten schwimmen sechs Mal mehr Plastikteile als Plankton. Und viele Tiere fressen das Plastik. Schildkröten halten Plastiktüten zum Beispiel für Quallen und auch Seevögel verschlucken kleinere Teile, die auf der Oberfläche schwimmen, was zum Darmverschluss und damit zum Tod führt. Viele strangulieren sich auch beim Nestbau mit Plastikschnüren. Andere Tiere geraten in Sixpackringe oder in verlorene Fischernetze, sogenannte Geisternetze. Lies dazu auch: 12 Bilder, die zeigen, dass wir unseren Konsum ändern müssen.

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Ein weltweites Problem für die Meere

Plastik wird mittlerweile an allen Stränden der Erde angespült, vor allem nach Stürmen beschleicht den Strandbesucher eine leise, sehr leise Ahnung, wie schlimm es tatsächlich um die Verschmutzung der Ozeane bestellt ist. Die größte Müllkippe der Welt befindet sich übrigens nordöstlich von Hawaii und trägt den Namen ‚Great Pazific Garbage Patch‘. Der große pazifische Müllflecken, der bekannteste Müllstrudel der Welt ist inzwischen etwa vier Mal so groß wie Deutschland und er ist nicht der einzige seiner Art.

Dabei ist der Müll, den wir an der Wasseroberfläche wahrnehmen können, ganz bildlich nur die Spitze des Eisberges. Denn der gräßte Teil liegt inzwischen auf dem Meeresboden. In europäischen Meeresabschnitten wurden auf einem Quadratkilometer Meeresboden bis zu 100.000 mit bloßem Auge sichtbare Müllteile gezählt. In Indonesien waren es sogar bis zu 690.000.

Auf diesem Weg gelangt Plastik ins Meer

Während der in die Nordsee entsorgte Müll meist von Fischerei und Schifffahrt stammt, gibt es noch viele weitere Quellen für die Verschmutzung. Müll wird über die Flüsse ins Meer gespült oder von Müllkippen an der Küste ins Wasser geweht. Auch Badegäste lassen ihre Abfälle ab und zu am Strand liegen. Allein in die Nordsee werden jährlich etwa 20.000 Tonnen Müll entsorgt und das, obwohl die Müllverklappung in Nord- und Ostsee seit 1988 offiziell verboten ist.

Laut Spiegel Online gesteht ein internes Strategiepapier der Bundesregierung das Scheitern des internationalen Meeresschutzes auf ganzer Linie ein. Selbst das Müllverbot für Ost- und Nordsee habe keine Wirkung gezeigt. Und: „Solange die Müllannahme in Häfen nicht kostenfrei ist“, heißt es laut Spiegel Online im Strategiepapier, „wird sich die Einstellung der Seeleute nur schwer ändern lassen.“

Weltweit gestaltet sich das Problem dank mangelnder Entsorgungs- und Recyclingsysteme noch dramatischer. Laut United Nations Environment Programme (UNEP) ist daher ein ganzer Strauß an regionalen und globalen Strategien zur Eindämmung der Müll-Katastrophe im Meer nötig. Ein wichtiger Schritt ist eine weltweite Sensibilisierung der Menschen für die Brisanz des Problems.

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