Tiger faszinieren den Menschen seit jeher. Im Jahr des Tigers 2022 scheint die Raubkatze in der Konsumkultur allgegenwärtig zu sein. Zugleich nehmen die Tigerbestände in freier Natur immer weiter ab. Besteht ein Zusammenhang?
Die chinesische Astrologie kennt wie die europäische zwölf Tierkreiszeichen. Anders als beim europäischen Zyklus sind die einzelnen Sternbilder aber nicht den zwölf Monaten des Jahres zugeordnet, sondern es steht jeweils ein ganzes Jahr im Zeichen desselben Tieres. Ein kompletter chinesischer Tierkreis-Zyklus umfasst also 12 Jahre. Nach 2021, dem Jahr des Büffels, folgt 2022 das Jahr des Tigers. Aber was bedeutet das eigentlich?
Der Tiger in der Tradition: Bewundert und gefürchtet
Wie auch im europäischen Tierkreis sind den chinesischen Sternbildern bestimmte Eigenschaften zugeordnet. Menschen, die im Jahr des Tigers geboren sind, sollen sich zum Beispiel durch Mut, Abenteuerlust, Optimismus, Durchsetzungskraft und Risikobereitschaft auszeichnen. Der Tiger steht also sinnbildlich für eine Reihe kraftvoller und positiv besetzter Charaktereigenschaften.
Nicht zuletzt ist es diese Symbolkraft, die den Tiger in der chinesischen Tradition, aber auch in anderen Kulturen so beliebt macht. Dabei besteht grundsätzlich ein Spannungsverhältnis zwischen Bewunderung und Angst: Zum einen erscheint der Tiger als majestätisches, stolzes Wesen, das schon durch sein Äußeres eine gewisse Ehrfurcht hervorruft. Zum anderen wird er aber auch als Bedrohung für den Menschen empfunden, als wild, gefährlich und blutrünstig. Ein Widerspruch, der fasziniert.
Trotz dieser Symbolik haben sich die Verhältnisse mittlerweile umgekehrt: Heute ist es in erster Linie der Tiger, der vom Menschen bedroht ist. Nach Einschätzung des WWF gab es 2016 noch etwa 3.890 Tiger in freier Wildbahn – sie zählen damit zu den bedrohten Arten. Auch die International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) listet den Tiger als gefährdet. Die Aufmerksamkeit und Bewunderung, die den Tieren zuteil wird, schadet ihnen dabei in vielen Fällen eher, als dass sie nützt. Gerade im Jahr des Tigers zeigt sich das einmal mehr besonders deutlich.
Tigermuster in der Mode: Breite Nachfrage und Fast Fashion
Auch in der Mode hat die Ästhetik des Tigers eine lange Tradition. Das auffällige Streifenmuster hebt den Träger oder die Trägerin aus der Menge hervor und symbolisiert Stärke und Selbstbewusstsein. Echtes Tigerfell ist mittlerweile allerdings zu einer Seltenheit geworden – nicht zuletzt, weil der Handel damit nach dem Washingtoner Artenabkommen CITES illegal ist. Als Ersatz dienen normalerweise „Animal Prints“, also künstlich bedruckte Stoffe in Tierfelloptik.
Das hört sich zunächst gar nicht so schlecht an – immerhin müssen für Textilien mit Animal Print im Gegensatz zu Echtfell keine Tiger sterben. Aber auch die vielen künstlichen Produkte, die im Jahr des Tigers den Markt überschwemmen, haben ihre problematische Seite. Der asiatische und vor allem der chinesische Markt spielen bei diesem Trend eine besonders große Rolle: Die Süddeutsche Zeitung schätzt, dass etwa zwei Milliarden Menschen im asiatischen Raum das Jahr des Tigers feiern. Entsprechend groß sei die Nachfrage nach Produkten im Tiger-Look. Viele dieser Produkte werden in China selbst hergestellt. Vor allem mit Blick auf die starke chinesische Wirtschaft richten sich aber auch westliche Modemarken an dieser Nachfrage aus.
Um eine derart breite Nachfrage zu befriedigen, sind Produkte nötig, die sich schnell, kostengünstig und in großen Mengen produzieren lassen. So können sie anschließend auch zum kleinen Preis weiterverkauft werden. Der Nachteil daran ist, dass solche Textilien meist von niedriger Qualität sind und ihre Lebensdauer gering ist. „Wegwerfkleidung“ dieser Art ist auch unter dem Überbegriff Fast Fashion bekannt.
Fast Fashion hat zahlreiche negative Auswirkungen auf die Umwelt. Das liegt zum einen daran, dass im Herstellungsprozess häufig giftige Chemikalien zur Anwendung kommen. Zum anderen verbraucht die Herstellung große Mengen an natürlichen Ressourcen, allen voran Wasser. Diese Probleme verstärken sich nur noch dadurch, dass die fertigen Produkte so kurzlebig sind. Häufiger Kleider oder auch Deko- oder Spielzeugwechsel steigert den Absatz und kurbelt die Produktion weiter an. Das zeigt sich im rasanten Konsumanstieg der letzten Jahre: Laut Greenpeace hat sich der Absatz von Kleidung allein zwischen 2002 und 2015 fast verdoppelt.
Prada, Gucci und Co. – Der Tiger als Luxussymbol
Neben der Fast-Fashion-Industrie haben auch internationale Luxusmarken das Potenzial hinter dem Jahr des Tigers erkannt. Die SZ berichtet, dass unter anderem Gucci, Prada, Valentino und Burberry auf den Trend aufgesprungen sind. Prada etwa hat in Bezug auf das Jahr des Tigers die Kampagne „Action in the Year of the Tiger“ ins Leben gerufen. Sie soll nicht nur durch Modeästhetik überzeugen, sondern auch auf die prekäre Situation des vom Aussterben bedrohten Tigers aufmerksam machen.
Auch wenn das ein wichtiges Anliegen ist – primär dürfte es Modelabels bei der Wahl des Themas um den Verkaufsumsatz gehen. Bei Designerstücken in Tiger-Optik spielt erneut der chinesische Markt eine erhebliche Rolle: Nach Zahlen des McKinsey-Instituts machen chinesische Konsument:innen den größten Anteil am weltweiten Geschäft mit Luxusartikeln aus. Bis 2025 soll dieser Anteil auf 40 Prozent steigen.
Manchmal wird der Tiger dabei selbst zum Luxusprodukt, das der Vermarktung dient. Gucci bewarb seine Tiger-Kollektion für 2022 mit Bildern, auf denen Models zusammen mit echten Tigern zu sehen waren. Das zog viel Kritik von Tierschützer:innen auf sich: Sie bemängelten, dass Tiere in Fotoshootings zu Werbezwecken nichts verloren hätten. PETA etwa rief im Rahmen einer Petition dazu auf, solche Kampagnen grundsätzlich zu beenden. Laut der SZ wies Gucci die Kritik allerdings zurück. Demnach seien die Tiger erst nachträglich in die Werbefotos montiert worden und beim Shooting selbst nicht dabeigewesen.
Auch im Jahr des Tigers: Tiger gelten weiter als Trophäe
Erfolgreiche Kampagnen wie die von Prada oder Gucci zeigen zum einen, dass Tiger die Menschen nach wie vor faszinieren. Zum anderen verdeutlichen sie, dass der Umgang mit den gefährdeten Raubtieren heute ein anderer sein muss als früher. Die Prada-Kampagne „Action in the Year of the Tiger“ verweist direkt auf die vom Aussterben bedrohten Tigerbestände. Aber auch die kritischen Reaktionen auf die Gucci-Werbebilder beweisen, dass in der Öffentlichkeit zumindest ein gewisses Interesse an Artenschutz und artgerechter Haltung besteht.
In der Praxis sieht es oft anders aus: Trotz ihrer Gefährdung und entgegen zahlreichen Gesetzen werden Tiger immer noch gejagt, getötet und anderweitig misshandelt. Nach Analyse der Schutzorganisation TRAFFIC fallen seit der Jahrhundertwende durchschnittlich zwei Tiger pro Woche der Wilderei zum Opfer.
Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Zum einen gelten Tigerfelle, -köpfe oder -pranken immer noch als Prestigeobjekte und Symbole für Mut und Stärke. Zum anderen schreibt gerade die chinesische Medizin verschiedenen Körperteilen des Tigers heilende Wirkung zu. Laut dem WWF ist darum auch China das Hauptabsatzland für den Tigerhandel. Dort ist seit kurzem etwa der Handel mit Tigerknochen wieder erlaubt. Einen großen Markt gibt es aber auch in Vietnam. Gefragt sind die Knochen unter anderem als Heilmittel gegen Arthritis – als Pulver oder in Form von „Tigerwein“, Reiswein mit eingelegten Tigerknochen. Der Penis des Tigers gilt als starkes Aphrodisiakum. Medizinisch belegt sind all diese Wirkungen nicht.
Neben den weniger als 4.000 Tigern in freier Wildbahn gibt es dem WWF zufolge weltweit rund 20.000 Tiger in Gefangenschaft. Längst nicht alle davon leben in artgerechter Haltung. In der Kritik stehen besonders spezielle Tiger-Zoos in Thailand, Laos oder Vietnam. Sie ziehen als „Streichelzoos“ Touristen an, stehen aber im Verdacht, illegalen Handel mit den Tieren zu treiben. Allerdings ist auch in herkömmlichen Zoos eine artgerechte Haltung von exotischen Tieren wie Tigern oft nicht möglich. Das bemängelt etwa der Deutsche Tierschutzbund. Hinzu kommt, dass zahlreiche Tiger privat gehalten werden – auch das hauptsächlich aus Prestige- oder Profitgründen und in unangemessenen Lebensbedingungen.
Faszination für den Tiger – Ein zweischneidiges Schwert
Tigern wird nach wie vor viel Aufmerksamkeit zuteil – nicht nur im Jahr des Tigers. Ihre äußere Erscheinung wirkt eindrucksvoll und ästhetisch ansprechend auf uns. Verschiedene Kulturen schreiben ihnen Eigenschaften wie Stärke, Stolz und Mut zu. Das macht den Tiger zu einem Tier, mit dem sich viele Menschen identifizieren möchten. Es erklärt zugleich seinen Reiz als Trophäe oder Prestigeobjekt: Wer die Trophäe besitzt, nimmt damit symbolisch die Stärke des Tigers für sich selbst in Anspruch. Ein ähnliches Denken liegt auch der medizinischen Anwendung von Tigerknochen und anderen Körperteilen zugrunde.
Die menschliche Faszination für den Tiger hat also eine sehr problematische Seite. Sie begünstigt die Jagd auf Tiger, den Handel mit Fellen und Körperteilen und die Zurschaustellung gefangener Tiger unter schlechten Lebensbedingungen. Auf diese Problematik hinzuweisen, ist selbstverständlich wichtig. Solange und sofern das Jahr des Tigers aber hauptsächlich die ästhetische Anziehungskraft der Tiere in den Mittelpunkt rückt, trägt es damit womöglich eher selbst zum Problem bei als zu seiner Lösung.
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