Das Neue Europäische Bauhaus ist eine EU-Initiative, die die Lebensqualität in Europa durch die Förderung von Nachhaltigkeit, Ästhetik und Inklusion erhöhen will. Wie diese Vision Realität werden kann, zeigen erste Pilotprojekte.
Das Bestreben, aus den Trümmern des Ersten Weltkrieges etwas völlig Neues zu schaffen, war zu Beginn der 1920er Jahre der Impuls für das Bauhaus: eine der einflussreichsten Kunstschulen des 20. Jahrhunderts. Mit ihrem Anspruch, Ausdrucksformen zu schaffen, die sowohl funktional als auch ästhetisch ansprechend waren, hatte sie großen Einfluss auf die Architektur, das Design und die Kunst in Europa und weltweit.
100 Jahre später soll das Neue Europäische Bauhaus als Neuinterpretation dieses Ansatzes die Vision eines schöneren und vor allem nachhaltigeren Europas erfüllen.
Das ist das Neue Europäische Bauhaus
Das Neue Europäische Bauhaus (NEB) ist eine Initiative der Europäischen Kommission, die im Jahr 2020 ins Leben gerufen wurde. Sie soll den europäischen Grünen Deal um eine kreative und kulturelle Dimension ergänzen. Dafür setzt das NEB auf die kreative Kraft von Kunst und Design, um innovative, nachhaltige und ästhetisch ansprechende Lösungen für unsere heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen zu finden.
Dabei geht es vor allem um die Themen Klimawandel, Umweltverschmutzung, Ressourcenknappheit, soziale Gerechtigkeit und den Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft. Die Kommission hat dazu aufgerufen, dass sich Einzelpersonen, Unternehmen, Gemeinden, Architekt:innen, Designer:innen und Künstler:innen an der Initiative beteiligen, um diesen Herausforderungen kreativ zu begegnen.
So will das Neue Europäische Bauhaus zeigen, dass Nachhaltigkeit nicht nur eine moralische Verpflichtung ist, sondern auch eine Chance bietet, positive Veränderungen mit Innovationen und Design zu gestalten.
Neues Europäisches Bauhaus: Nachhaltigkeit, Ästhetik und Inklusion
Die Europäische Union hat sich mit dem Green Deal das Ziel gesetzt, dass Europa bis zum Jahr 2050 klimaneutral wird. Bis 2030 sollen es bereits 55 Prozent weniger Treibhausgase als zum Zeitpunkt von 1990 sein. Die Baubranche kann erheblich dazu beitragen, diese Ziele zu erfüllen. Schließlich benötigen Gebäude circa 40 Prozent der produzierten Energie in der EU, was 36 Prozent aller Treibhausgasemissionen in Europa ausmacht. Daher ist die Renovierungswelle Teil des Grünen Deals.
Die Renovierungswelle zielt darauf ab, den Energieverbrauch in Gebäuden zu reduzieren und damit den CO₂-Ausstoß zu verringern. Im Idealfall sollen bis 2030 mindestens 35 Millionen Gebäude in der EU energetisch renoviert werden, um ihre Treibhausgasemissionen um bis zu 60 Prozent zu senken.
Diese Konzentration auf Nachhaltigkeit ist auch eines der Grundprinzipien des Neuen Europäischen Bauhauses. Darüber hinaus soll das Neue Europäische Bauhaus den Grünen Deal und die Renovierungswelle für die Menschen in Europa aber auch ansprechender, inspirierender und fühlbarer machen. Die Initiative soll die Dinge, die uns täglich umgeben, daher auf eine Weise umdenken und umgestalten, die Nachhaltigkeit, Ästhetik und Inklusion miteinander verbindet.
Fünf Leuchtturmprojekte in ganz Europa sollen zeigen, wie aus der Vision greifbare Veränderung wird. Dafür konnten ab Herbst 2021 europaweit Ideen und Vorschläge eingereicht werden.
Leuchtturmprojekt „Creating NEBourhoods Together“ in München-Neuperlach
Eines der Leuchtturmprojekte will gleich ein ganzer Stadtteil nach den Prinzipien des Neuen Europäischen Bauhauses umgestalten: „Creating NEBourhoods Together“ hat es sich zum Ziel gemacht, in München-Neuperlach das soziale Miteinander in Nachbarschaften und einen respektvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen zu stärken.
Der Stadtteil München-Neuperlach steht vor großen Herausforderungen: Ein großer Bestand an Gebäuden und Bauwerken bedarf dringender Sanierung, zugleich ist die Arbeitslosigkeit hoch und Bildungsbenachteiligung spürbar. Diese Probleme stehen stellvertretend für die Herausforderungen, denen sich viele Satellitenstädte und mittelgroße Städte in ganz Europa gegenüber sehen.
In den kommenden zwei Jahren soll „Creating NEBourhoods Together“ in Neuperlach daher im Sinne des NEB innovative Maßnahmen entwickeln und testen, die als Vorbild für andere europäische Städte dienen können.
Eine der zehn „NEB Actions“ im Rahmen des Projekts basiert zum Beispiel auf dem sogenannten „Animal-Aided Design“ – einer Methode zur Einbeziehung von Wildtieren in Architektur, Freiraum- und Stadtplanung. Um die urbane Artenvielfalt in Neuperlach zu fördern, wird eine Toolbox entwickelt, mit der es in einem partizipativen Verfahren möglich ist, eine regionale Tierart auszuwählen und einen Maßnahmenkatalog zu erstellen, um deren spezifische Lebensraumansprüche in die Gestaltung des Stadtteils einfließen zu lassen.
Die weiteren NEB Actions im Projekt sind unter anderem:
- „Energy Communities“: Produktion, Nutzung und Vermarktung von Solarstrom in nachbarschaftlichen Gemeinschaftsanlagen (Stichwort: Energy Sharing)
- „Public Power“: Strategien zur Verschattung städtischer Hitzeinseln für ein verbessertes Stadtklima und mehr Aufenthaltsqualität im urbanen Raum
- „Rethinking the Urban Office Complex“: Integration leerstehender Bürogebäude und ihrer Freiflächen in das städtische Leben als produktive, gemischt genutzte öffentliche Orte
- „PEARL“: Gemeinsam mit Jugendlichen werden temporäre und dauerhafte Orte für die Jugendkultur geschaffen.
Diese Projekte machen Europa bereits zukunftsfähig
Die Leuchtturmprojekte sollen wegweisend für die Gestaltung von zukunftsfähigen Lebensräumen in Europa werden. Das Neue Europäische Bauhaus zeichnet darüber hinaus aber auch Ideen und Projekte aus, die sich bereits in der Umsetzung befinden und ebenfalls Nachhaltigkeit, Ästhetik und Inklusion miteinander verbinden.
Dazu verleiht die Initiative Preise in vier verschiedenen Kategorien. Zu den Gewinnern gehörten 2022 folgende Projekte:
- In der Kategorie „Reconnecting with Nature“ hat ein Projekt gewonnen, das sich dem Schutz von Küsten in Barcelona widmet. Dieses Projekt zielt darauf ab, die Stranddünen durch eine Reihe von Aktionen zu schützen und zu regenerieren, die die Öffentlichkeit zur Teilnahme ermutigen und so das Bewusstsein für die ökologische Bedeutung der Dünen schärfen. Außerdem sollen die Infrastruktur und der Zugang zu den Stränden verbessert werden, damit alle diese wertvollen Naturgebiete weiterhin genießen können.
- In der Kategorie „Regaining a sense of belonging“ ging „Gleis 21“ in Wien als Gewinner hervor, ein Wohnprojekt, an dessen Planung sich die zu einer Baugruppe zusammengeschlossenen Bewohner:innen von Anfang an beteiligen konnten. Das Gebäude besteht nun nicht nur aus Wohneinheiten, sondern bietet auch Platz für Gemeinschaftsräume und ein öffentlich zugängliches Erdgeschoss, in dem Kulturevents stattfinden.
- In der Kategorie „Prioritising the places and people that need it the most“ hat „De Korenbloem“ aus Belgien gewonnen: Dieses innovative Wohnprojekt für Bewohner:innen mit Demenz im Frühstadium oder Behinderungen durch einen Schlaganfall kombiniert Wohngebäude mit einem Netz von Einrichtungen wie einer Tagespflege und einem Nachbarschaftszentrum und will so Isolation verhindern.
- In der Kategorie „Shaping a circular industrial ecosystem and supporting life-cycle thinking“ konnte das portugiesische Projekt „Replay“ überzeugen, das Spielzeuge in kommunale Kreislaufnetzwerke einbettet. Anstelle ungewollte oder alte Spielzeuge in den Müll zu werfen, sammelt, repariert, spendet oder recycelt es das Projekt.
Neues Europäisches Bauhaus: Vision oder PR-Kampagne?
Das Neue Europäische Bauhaus stellt eine vielversprechende Initiative dar, um nachhaltige und ästhetisch ansprechende Architektur sowie Städtebau zu fördern. Durch die Verknüpfung von Kultur, Technologie und Nachhaltigkeit sollen neue Ideen und Lösungsansätze entstehen, die weit über die Baubranche hinauswirken können. Die Leuchtturmprojekte des NEB haben das Potenzial, als Vorbild für andere Städte und Regionen zu dienen und so den Weg zu einer klimafreundlicheren Zukunft zu ebnen.
Allerdings gibt es auch Kritik am NEB, die vor allem die Frage aufwirft, ob es sich hierbei um eine reine PR-Kampagne der EU handelt oder ob tatsächlich substantielle Veränderungen angestrebt werden. Laut dem Deutschen Kulturrat könne das NEB zwar einen wirklichen Wandel anstoßen, aber nur, wenn genügend Ressourcen zur Verfügung gestellt und die Bürger:innen miteinbezogen würden.
Es bleibt also abzuwarten, welche greifbaren Ergebnisse das Neue Europäische Bauhaus in den kommenden Jahren wirklich im Alltag der Menschen in Europa erzielen wird.
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