Algen kennen wir oft als glibberigen grünen Organismus, der beim Baden stört. In der asiatischen Küche sind Algen als Seetang eine beliebte Zutat vieler Gerichte. Seit einiger Zeit rücken Algen auch in den Fokus der Wissenschaft und werden als Hoffnungsträger der nachhaltigen Energiegewinnung gefeiert. Das solltest du darüber wissen.
Als im Mai 2019 ein Photobioreaktor zur Internationalen Raumstation ISS flog, war die Süßwasseralge Chlorella vulgarismit an Bord. Das kleine Lebewesen ist ein wahrer Segen für die Mannschaft, denn es wandelt verbrauchte Atemluft in frischen Sauerstoff um und unterstützt die Nahrungsmittelproduktion im All. Die Forscher:innen hoffen auf weitere neue Erkenntnisse, wie sich Algen in den kosmischen Sphären verhalten.
Dass Algen schnell und beinahe überall wachsen, macht sie für die Wissenschaft so interessant. Vor allem, weil sie genau wie Pflanzen Fotosynthese betreiben. Bei diesem biochemischen Vorgang wird Wasser und Kohlendioxid durch Lichtzufuhr in Glukose und Sauerstoff umgewandelt. Glukose (Traubenzucker) ist der Baustein für pflanzliches Wachstum.
Algen als grüne Treibstoffe
Die chemische Zusammensetzung der Alge ist so komplex wie ihre Artenvielfalt. Deshalb schlummert in den Mikro- und Makro-Lebewesen eine Menge ungenutztes Potenzial. Auf der Erde existieren zehntausende Algenarten. Exakt kann man die Artenanzahl nicht beziffern. Denn nur ein Bruchteil wird bisher von der Forschung und Industrie genutzt.
In vielen Algenarten stecken neben Vitaminen und Nährstoffen eine Menge Fette, Kohlenhydrate und Proteine – Stoffe, die der Schlüssel zur nachhaltigen Energiegewinnung sein könnten. Durch Zentrifugieren, Filtern, Ausflocken oder Sedimentieren werden die Bestandteile extrahiert und können weiterverarbeitet werden:
- Aus den Fettanteilen wird Bio-Diesel hergestellt.
- Aus den Kohlenhydraten wird Bio-Ethanol gewonnen.
- Durch das Gären der Biomasse entsteht Biogas.
- Manche Algenarten produzieren sogar Wasserstoff, einen weiteren Hoffnungsträger der grünen Energiegewinnung.
Möglichkeiten der Energiegewinnung aus Algen
Die grünen Treibstoffe aus Algen könnten den Schadstoffausstoß in Zukunft drastisch reduzieren und ein wichtiges Mittel im Kampf gegen den Klimawandel werden: Die biologischen Algenkraftstoffe sind frei von Schadstoffen wie Schwefel oder Stickstoff, die oft in konventionellen Kraftstoffen stecken. Da die Reinigung der fossilen Kraftstoffe sehr aufwendig und kostspielig ist, landen die Schadstoffe in der Regel in Form von Abgasen in der Umwelt. Ein günstiger und nachhaltiger Bio-Kraftstoff wäre für den Güterverkehr ein wahrer Segen, zumal Elektroautos noch längst nicht flächendeckend verfügbar sind.
Energieträger Algen – sie wachsen jederzeit und überall
Für Bio-Kraftstoffe wie E10 werden bislang oft Mais oder Raps genutzt. E10 steht jedoch in der Kritik, da der großflächige Anbau von Mais, Raps oder Zuckerrohr zu Bodenverarmung, höheren Nahrungsmittelpreisen, Pestizidbelastung und Artenschwund führen kann. Algen hingegen wachsen fast überall und können sogar in Laboren oder Reaktoren gezüchtet werden. Das schafft zum einen Platz auf den Feldern für Nahrungsmittel, zum anderen kann die Algen-Biomasse als klimafreundlicher Dünger eingesetzt werden.
Ein weiterer Vorteil: Algen wachsen bis zu zehn Mal schneller als Mais, da jede einzelne Zelle Fotosynthese betreibt. Außerdem sind sie über das ganze Jahr hinweg aktiv – Witterungsbedingungen spielen kaum eine Rolle. So können selbst Tagebauflächen oder Industriebrachen, die für die Landwirtschaft noch unfruchtbar sind, für die Algenproduktion genutzt werden.
In der Lausitz gibt es bereits auf ehemaligen Kohlebergbauflächen Rekultivierungsprojekte mit Algen: Auf einem kleinen Areal stehen Gewächshaus, Reaktor, Silo und Fermenter für die Produktion, doch auf dem Großteil der Fläche sprießen renaturierte Wiesen mit Blühpflanzen für Insekten. Eine Win-Win-Situation für die Natur und die Algen, denn in geschlossenen Ökosystemen benötigen die grünen Lebewesen weniger Wasser.
Natürlicher Luftfilter Alge
Um den CO2-Bedarf für die Fotosynthese zu decken, bedienen sich Algen aus dem CO2 der Atmosphäre. Das macht sie ähnlich wie Bäume zu natürlichen Luftfiltern. Wissenschaftler:innen schlagen deshalb Algenanlagen in der Nähe von Kohlekraftwerken vor, um den klimaschädlichen CO2-Ausstoß zu kompensieren. Nach jetzigem Stand wären dafür jedoch gigantische Flächen notwendig.
Im asiatischen Raum werden bereits viele Algenanlagen betrieben, da hier die idealen Bedingungen herrschen: warme Durchschnittstemperaturen, hohe Luftfeuchtigkeit, viele Sonnenstunden und der Zugang zum Meer. In Europa fehlen diese Anbauflächen noch. Daher forscht die Wissenschaft auch emsig daran, die Alge noch effizienter zu machen.
Wunderstoff Glykolat – Algen für eine grünere Chemieindustrie
Bis vor kurzem stand man noch vor dem Problem, dass die Alge einen Großteil der Fotosynthese-Energie in ihr eigenes Wachstum steckt. So wird ein Großteil der Energie an die Produktion von Biomasse verschenkt, obwohl andere Inhaltsstoffe der Alge für die kommerzielle Nutzung viel wertvoller sind.
Forscher:innen der Universität Leipzig hemmten deshalb im vergangenen Jahr erstmals das Wachstum der Meerwasseralgenart Nannochloropsis salina: Die Alge produzierte weiterhin permanent Glykolat, eine Vorstufe von Zucker. Dieser energiereiche Stoff wird nun abgezapft und weiterverarbeitet: Aus Glykolat werden Chemikalien und Bio-Kraftstoffe produziert, die allesamt frei von Nebenstoffen sind. Das macht die Alge zum Hoffnungsträger der grünen Chemie. Auch in der Plastikproduktion könnte die Alge langfristig das fossile Erdöl ablösen und unsere Verpackungswelt nachhaltiger machen.
Energiegewinnung aus Algen: Die Algenanlage für die Hausfassade
In der direkten Energiegewinnung aus Algen befindet sich vieles noch im experimentellen Stadium. Wie zum Beispiel die Energieversorgung von Gebäuden aussehen kann, demonstrieren erste Pilotprojekte in Deutschland: Im Rahmen der internationalen Bauausstellung 2013 in Hamburg (IBA) entstand in Hamburg-Wilhelmsburg das BIQ-Algenhaus, ein „Smart Material House“.
Die Südwest- und Südostfassade des Algenhauses ist mit Glaspaneelen bestückt, in denen die Grünalge Scenedesmus wächst. Sie betreibt Fotosynthese mit Sonnenlicht und dem CO2 aus der hauseigenen Gasanlage. Die erzeugte Energie steht dem Haus direkt als Heizenergie zur Verfügung, die übrige Energie wird ins Fernwärmenetz eingespeist. Die entstandene Biomasse wird regelmäßig geerntet und gärt in der benachbarten Mikroalgenanlage zu Methan – als reinstes Biogas aus der Nachbarschaft. Die Anlagentechnik ist aber noch nicht ganz ausgereift, beansprucht viel Platz und war bislang anfällig für Störungen. Trotzdem kann man aus dem Projekt viele Erkenntnisse für die zukünftige Nutzung von Algen als Energieträger gewinnen.
Ein ähnliches Projekt gibt es auf dem Euref-Campus in Berlin-Schöneberg zu bestaunen. Hier steht ein Energie-Innovationszentrum von Forschungseinrichtungen und Firmen. Große Glasröhren an einer Gebäudefassade beherbergen eine Farm für Mikroalgen, die Sonnenlicht in chemische und thermische Energie umwandeln. Die Biomasse wird ebenfalls geerntet und als Lebensmittel genutzt. Für Großanlagen wäre die Technologie schon heute rentabel, für ein Einfamilienhaus ist die Alge als Heiz- und Warmwasserquelle noch Zukunftsmusik.
Utopia-Fazit: Bis sich die Alge als ernsthafte Energie-Alternative für private Haushalte etabliert, werden wohl noch ein paar Jahre vergehen. Immerhin: An der Universität Cambridge entwickelten Forscher:innen eine biologische Solarzelle auf Algenbasis. Die erreicht zwar noch nicht die Leistung von Silizium-Solarzellen, hat aber durchaus Potenzial für ländliche Regionen ohne Zugang zu Versorgungsnetzen – zum Beispiel in Entwicklungsländern.
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