Indem du genderneutral sprichst, beziehst du neben der männlichen Form bewusst andere Geschlechter in deine Sprache mit ein. Wir erklären dir, wo Gendern herkommt, warum Menschen es anwenden und wie du es selbst umsetzen kannst.
Die Ursprünge der genderneutralen Sprache
Gendergerechte oder genderneutrale Sprache, umgangssprachlich als Gendern bezeichnet, steht für den Versuch, die Gleichstellung der Geschlechter mit sprachlichen Mitteln zu fördern und abzubilden. Oft wird sie auch inklusive Sprache genannt, da sie nicht nur Frauen und Männer sprachlich gleichstellt, sondern auch nicht-binäre Personen einbezieht – also Menschen, die sich weder eindeutig als männlich oder weiblich identifizieren.
Gendern kommt ursprünglich aus der feministischen Linguistik: Sprachwissenschaftlerinnen wie Luise F. Pusch und Senta Trömel-Plötz gehörten zu den ersten, die die übliche Verwendung des generischen Maskulinums als sexistisch bezeichneten und Alternativen vorschlugen. In ihrem 1982 erschienenen Aufsatz „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“ untersuchten sie Sprachnormen auf geschlechtliche Asymmetrien.
Ihr Fazit: Deutsch mache Frauen sprachlich unsichtbar. Indem wir die grammatikalisch männliche Bezeichnung – etwa „Lehrer“ oder „Ärzte“ – für alle Geschlechter verwenden, blenden wir Frauen sprachlich aus. Diese Sprachkritik war lange nur Inhalt akademischer Diskussionen.
Seit den letzten Jahren verbreitet sich die genderneutrale Sprache jedoch immer stärker. Noch vor 20 Jahren empfahl die Duden-Redaktion, das generische Maskulinum als Standardnorm zu verwenden. Inzwischen ist sie davon abgerückt: 2020 erschien im Dudenverlag das „Handbuch geschlechtergerechte Sprache“ von Gabriele Diewald und Anja Steinhauer. Dort findest du grundlegende Richtlinien des Genderns.
Warum genderneutral sprechen?
Über die psychologische Wirkung des Genderns wurden etliche Studien durchgeführt. Viele von ihnen zeigen: Sind Aussagen im generischen Maskulinum formuliert, etwa bei Berufsbezeichnungen, stellen sich die meisten Menschen vor allem Männer vor. Ist von Lehrern die Rede, denken wir eher an Männer. Bei Lehrer:innen stellen wir uns öfter Frauen vor.
So liegt es nahe, dass sich eine genderneutrale Sprache langfristig eventuell auch auf die Berufswahl auswirkt: Hören Frauen und nicht-binäre Personen öfter von Pilot:innen, Ingenieur:innen oder Chef:innen statt nur von Piloten, Ingenieuren und Chefs, können sie es sich vielleicht eher vorstellen, diese Berufe zu ergreifen und erfolgreich zu sein.
Wissenschaftler:innen sind sich jedoch nicht einig darüber, wie aussagekräftig diese Studien tatsächlich sind. Linguist:innen wie Ewa Trutkowski, Gisela Zifonun oder Peter Eisenberg stellen die Methodik infrage, da es stark vom Kontext abhänge, welche Assoziationen bestimmte Wörter auslösen. In den bisherigen Studien wurde dieser Effekt nicht ausreichend berücksichtigt. Andererseits legen Studien nahe, dass die Verwendung geschlechtsneutraler Begriffe in Stellenanzeigen Diversität unter den Bewerbenden fördert.
Gendern in der Praxis: Wie geht das?
Es gibt zur Zeit keine verbindliche Schriftform der genderneutralen Sprache. In der Praxis haben sich jedoch vor allem zwei Strategien herausgebildet: Die Sichtbarmachung und die Neutralisierung.
Im ersten Fall werden die Geschlechter betont. Das Ziel sei einen sprachlichen Ausgleich zu schaffen. Das ist vor allem in den sogenannten gendered languages üblich. Das sind Sprachen, in denen Substantiven grammatikalische Geschlechter zugeordnet werden, wie Deutsch, Französisch oder Spanisch.
Im zweiten Fall werden neutrale Formen verwendet, die alle Geschlechter einschließen sollen. Diese Praxis ist vor allem in Sprachen wie Englisch und Schwedisch üblich, deren Substantive kein grammatikalisches Geschlecht haben. Im Englischen sprechen wir also zum Beispiel von humankind statt mankind oder von firefighters statt firemen.
Formen, die das Geschlecht sichtbar machen:
- Die Doppelnennung: Lehrerinnen und Lehrer, Ärztinnen und Ärzte, Chefinnen und Chefs, jeder und jede
- Das Gendersternchen: Lehrer*innen, Ärzt*innen, Chef*innen, jede*r
- Der Doppelpunkt: Lehrer:innen, Arzt:innen, Chef:innen, jede:r
- Der Schrägstrich: Lehrer/Innen, Ärzt/Innen, jede/r
- Das Binnen-I: LehrerInnen, ÄrztInnen, ChefInnen, jedeR
- Der Unterstrich oder der Gendergap: Lehrer_Innen, Ärzt_Innen, Chef_Innen, jede_r
Formen, die das Geschlecht „neutralisieren“:
- Lehrkräfte oder Lehrende statt Lehrer:innen
- medizinisches Personal statt Ärzte und Ärztinnen
- Führungskräfte, Führung oder Vorgesetzte statt Chef:innen
- alle statt jeder
Eine dritte, wenn auch seltener praktizierte Möglichkeit wäre die Feminisierung oder das generische Femininum: „Lehrerinnen“ würde dabei „Lehrer“ als die Form ersetzen, bei der alle „mitgemeint“ sind. Diese wird jedoch sehr selten verwendet, da sie wieder ein Ungleichgewicht schafft und ebenfalls nicht-binäre Personen ausschließt.
Was ist nun wirklich genderneutral?
Im Versuch, alle genderneutral zu repräsentieren, wird oftmals debattiert, welche Form am angemessensten ist:
- Der Schrägstrich und das Binnen-I etwa gelten als eher ungeeignet, da sie non-binäre Person ausschließen.
- Das Gendersternchen hingegen repräsentiert auch die Geschlechteridentitäten, die weder männlich noch weiblich sind.
- Ähnlich verhält es sich mit dem Gendergap, der für das Spektrum aller Geschlechter steht.
- Der Gender-Doppelpunkt gilt als die lesefreundlichste Option. Zudem soll er bessere Inklusion für Blinde und Sehbehinderte ermöglichen, da Sprachausgabeprogramme den Doppelpunkt automatisch als kurze Pause mitlesen.
Sprachlich wird die Gender-Lücke als eine kleine Pause – sogenannter Glottisschlag – mitten im Wort gesprochen – ähnlich wie in den Worten „The-ater“ oder „ver-enden“ oder „er-innern“.
Kritik am Gendern: Warum Gendern Gemüter spaltet
Die genderneutrale Sprache hat viele Befürworter:innen, erntet aber auch viel Kritik. Sprachwissenschaftlerinnen wie Martina Werner oder Ewa Trutkowski kritisieren, dass Gendersprache Genus (das grammatikalische Geschlecht, das wir auch bei Gegenständen wie die Umwelt oder der Löffel verwenden) mit Sexus gleichsetzt, also dem biologischen Geschlecht. Befürworter:innen weisen darauf hin, dass diese Kategorien stark verwoben sind und einander bedingen: Begriffe weiblicher Akteurinnen sind meistens auch grammatikalisch feminin, zum Beispiel „die Mutter“.
Auch ist es in der Wissenschaft umstritten, ob Sprache tatsächlich in einem solchen Ausmaße Realität prägen kann. Nicht zuletzt steht vor allem die Strategie der Sichtbarmachung in der Kritik, da sie Geschlechterunterschiede unnötig betone und das Geschlecht in den Vordergrund stelle, was für noch mehr Diskriminierung sorge. Wohl auch deshalb finden im Deutschen Formen wie Studierende, Lehrende oder Mitarbeitende immer mehr Verwendung.
Ob sich Gendern am Ende durchsetzt und welche Formen in die Standardsprache übergehen, ist noch unklar. Auch wenn die meisten Umfragen bislang zeigen, dass die Mehrheit Gendern unwichtig findet oder dagegen ist, entwickelt sich Sprache stetig weiter. Was einst von einer Minderheit gesprochen wurde, hat sich heute zur Norm entwickelt. Fakt ist, dass immer mehr Universitäten , Unternehmen und Medien gendersensible Sprache verwenden, ob neutralisierend oder geschlechterbetonend. Womöglich sind die Formen, die wir in einigen Jahren verwenden werden, heute noch gar nicht erfunden.
Weiterlesen auf Utopia.de:
- Gender Mainstreaming: Was steckt hinter dem Begriff?
- Wahltraut: Wahl-O-Mat für Gleichstellung und Inklusion
- Weltfrauentag: Das Gender-Pay-Gap-Experiment entlarvt Lohnungerechtigkeit
War dieser Artikel interessant?