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Kernfusion: Der Schlüssel zur Energiewende?

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Foto: CC0 / Pixabay / Alexas_Fotos

Bei einer Kernfusion entstehen riesige Mengen Energie – ist sie der Schlüssel zu einer CO2-neutralen Zukunft? Wir erklären dir, was du über das Gegenstück zur Kernspaltung wissen solltest.

Lange war unsere Sonne den Menschen ein Rätsel. Woher nimmt sie ihre Energie, um über Milliarden Jahre hinweg zu scheinen? Anfang des 20. Jahrhunderts fanden Wissenschaftler:innen die Lösung: Die Sonne bezieht ihre Energie aus Kernfusion. Dabei handelt es sich um einen physikalischen Vorgang, bei dem sich Atome miteinander verbinden.

Was ist Kernfusion?

Wie andere Sterne auch, besteht unsere Sonne vor allem aus Wasserstoff – dem leichtesten Element des Periodensystems.

  • Bei der einfachsten Variante des Wasserstoffs besteht der Kern nur aus einem positiv geladenen Proton.
  • Die schwereren Varianten („Isotope“) Deuterium und Tritium enthalten neben dem einen Proton auch noch ein beziehungsweise zwei Neutronen – neutral geladene Teilchen.

Da Wasserstoffkerne durch das Proton positiv geladen sind, stoßen sie sich eigentlich ab. In der Sonne herrschen jedoch solch extreme Temperaturen, dass die Wasserstoffkerne sehrschnell sind. Stoßen zwei von ihnen zusammen, können sie deshalb verschmelzen. Aus zwei Wasserstoffkernen entsteht so ein Heliumkern. Das ist eine Kernfusion – das Gegenteil einer Kernspaltung, wie sie derzeit in Atomkraftwerken Anwendung findet.

Bei dieser Kernfusion wird sehr viel Energie frei. Das kann man daran erkennen, dass die beiden Wasserstoffkerne zusammen schwerer sind als der daraus entstehende Heliumkern. Während der Kernfusion geht also Masse verloren. Und die vielleicht berühmteste Formel der Physik (E = mc²) sagt uns vereinfacht gesagt, dass Masse (m) zu Energie (E) werden kann. Das Bindeglied ist die Lichtgeschwindigkeit (c), die bei 300.000 Kilometern pro Sekunde liegt. Daraus ergibt sich, dass aus sehr wenig Masse sehr viel Energie entstehen kann.

Worin liegt das Potential der Kernfusion?

Ein Gramm Wasserstoff kann mittels Kernfusion so viel Energie erzeugen wie elf Tonnen Steinkohle - und das ohne CO2-Emissionen.
Ein Gramm Wasserstoff kann mittels Kernfusion so viel Energie erzeugen wie elf Tonnen Steinkohle – und das ohne CO2-Emissionen. (Foto: CC0 / Pixabay / stevepb)

Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) gibt an, dass ein Gramm Brennstoff, der aus einer Kernfusion hervorgegangen ist, so viel Energie erzeugen kann wie aus der Verbrennung von 11 Tonnen Steinkohle entstehen. Zum Vergleich: Die bei der Spaltung von einem Gramm Uran freiwerdende Energie entspricht der Verbrennung von 2,5 Tonnen Steinkohle.

Fusionskraftwerke könnten also viel Energie produzieren . Und da bei der Kernschmelze kein Kohlenstoff im Spiel ist, entsteht auch kein CO2. Deshalb könnten Fusionskraftwerke helfen, in Zukunft komplett auf fossile Energieträger zu verzichten. Das wiederum ist unausweichlich, wenn wir die Klimaerwärmung auf zwei oder gar 1,5 Grad begrenzen wollen.

Darüber hinaus hätten Kernfusionskraftwerke gegenüber herkömmlichen Atomkraftwerken laut der Bildungsplattform LEIFI einige weitere Vorteile:

  • Für die Kernfusion bräuchte man als Rohstoffe nur „schweren“ Wasserstoff – also Deuterium und Tritium. Deuterium kommt laut dem IPP im Meerwasser vor. Das radioaktive Tritium kann man aus der Natur nicht gewinnen. Es lässt sich dem IPP zufolge jedoch einfach aus Lithium herstellen, das wie Deuterium ein günstiger und in hohen Mengen verfügbarer Rohstoff ist (auch wenn der Lithium-Abbau teilweise problematisch ist).
  • Das einzige Nebenprodukt der Kernfusion ist ein Neutron. Dieses kann wiederum in einer Reaktion genutzt werden, um aus Lithium Tritium für eine neue Kernfusion zu gewinnen. Bei der Kernspaltung dagegen entstehen radioaktive Spaltprodukte, von denen noch Millionen Jahr lang eine Bedrohung für Mensch, Tier und Natur ausgeht.
  • Im Reaktor sind immer nur winzige Mengen Deuterium und Tritium vorhanden – bei einem Unfall könnte also auch nur sehr wenig davon austreten. Zudem funktioniert die Kernfusion nur unter idealen Bedingungen. Wenn es zu einem Schaden kommt, stoppt die Fusion deshalb sofort.

Nachteile der Kernfusion

Ganz ohne Atommüll wird es auch Kernfusion nicht geben.
Ganz ohne Atommüll wird es auch Kernfusion nicht geben. (Foto: CC0 / Pixabay / rabedirkwennigsen)

Kernfusion hat LEIFI zufolge aber auch Nachteile:

  • Auch wenn in Fusionskraftwerken wesentlich weniger Atommüll entsteht als in herkömmlichen Kernkraftwerken, sind sie nicht ganz frei von Atommüll. Der Grund dafür: Bei der Reaktion entstehen  Neutronen in der Hülle des Reaktors, die diverse Reaktionen auslösen können. Bei diesen können radioaktive Atomkerne entstehen. Sie sollen allerdings wesentlich kürzere Halbwertszeiten haben als typische Produkte der Kernspaltung. Das heißt, sie strahlen über einen deutlich kürzeren Zeitraum.
  • Wie schon beschrieben, sollen Kernfusionsreaktoren Tritium enthalten. Dabei handelt es sich um einen radioaktiven Stoff. Es muss deshalb gewährleistet sein, dass es den Reaktor nicht verlassen kann. Dafür benötigt man einen hochsicheren Reaktor, der auf Grundlage von langjährigen Forschungsergebnissen erbaut wurde.

Im Vergleich zu herkömmlichen Atomkraftwerken klingen diese Nachteile jedoch wesentlich geringer – und die Vorteile umso größer. Warum also gibt es noch keine Fusionskraftwerke?

Kernfusion – 100 Millionen Grad heißes Plasma

Im Inneren der Sonne ist es über 100 Millionen Grad heiß - eine Voraussetzung für Kernfusion.
Im Inneren der Sonne ist es über 100 Millionen Grad heiß – eine Voraussetzung für Kernfusion. (Foto: CC0 / Pixabay / AlexAntropov86)

Die Antwort ist einfach: Man braucht extrem viel Energie, um eine Kernfusion überhaupt in Gang zu bringen.

Wie oben beschrieben, sind sehr hohe Temperaturen eine Voraussetzung für Kernfusion (zumindest nach momentanem Kenntnisstand). Die deutsche Gesellschaft für Physik (DPG) schreibt, man müsse Temperaturen von 100 bis 200 Millionen Grad erreichen. Erst dann sind die Atomkerne so schnell, dass sie ihre elektrische Abstoßung überwinden und verschmelzen können.

Der DPG zufolge lassen sich solche Temperaturen bereits erreichen. Es ist jedoch schwierig, sie lange genug aufrecht zu erhalten, damit die Kernfusion in Gang kommt. Denn das Problem ist, dass der Reaktor, der die Wasserstoffkerne umgibt, keine 100 Millionen Grad heiß ist. Deshalb dürfen die Teilchen beispielsweise die Wände des Reaktors nicht berühren.

Wie soll das funktionieren? Hier machen Forscher:innen sich zunutze, dass der Wasserstoff bei solch hohen Temperaturen nicht mehr als Gas vorliegt, sondern als Plasma.

  • In einem normalen Wasserstoffgas schwirren Wasserstoffatome herum – immer ein positiv geladener Atomkern und ein negativ geladenes Elektron, das von der entgegengesetzten Ladung angezogen wird.
  • Im Plasma sind die Atome jedoch so schnell und haben so viel Energie, dass die Elektronen sich von den Atomkernen lösen können.

Statt neutral geladenen Atomen enthält das Plasma also getrennte positive und negative Teilchen. Das wiederum bedeutet, dass es auf elektromagnetische Felder reagiert. Mithilfe von geeigneten ringförmigen Magnetfeldern lässt sich das Plasma deshalb „einschließen“ – es kann die Feldlinien des Magnetfelds nicht überqueren.

So können die Forscher:innen das Plasma daran hindern, die wesentlich kälteren Wände des Reaktors zu berühren und auf diese Weise Wärme zu verlieren.

Der Klimawandel ist zu schnell für Kernfusion

Forscher:innen schaffen es heutzutage, das Plasma zu bezwingen und Kernfusionen hervorzurufen. Der bisher größte Erfolg war der europäische Reaktor JET, der 1997 eine Leistung von 13 Megawatt erreichte. Leider waren dies nur 65 Prozent der Energie, die die Forscher:innen brauchten, um das Plasma zu heizen und aufrechtzuerhalten.

Das internationale Projekt ITER soll schaffen, was bisher nicht gelang – eine Kernfusion mit Energiegewinn. An dem Projekt beteiligen sich weltweit viele Länder, aktuell entsteht der Reaktor in Südfrankreich. 2025 soll dort das erste Plasma entstehen. Richtig laufen wird der Reaktor allerdings wohl erst 2035 – und auch dann wird er als reiner Forschungsreaktor keinen Strom ins Stromnetz einspeisen.

Es erscheint also sehr unwahrscheinlich, dass Kernfusion der Welt helfen wird bis 2050 oder gar früher klimaneutral zu werden.

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