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Longtermism: Kurz und einfach erklärt

Longtermism
Foto: CC0 / unsplash.com / dylan nolte

Die Philosophie des Longtermism konzentriert sich darauf, wie sich unsere heutigen Handlungen auf die Generationen in ferner Zukunft auswirken. Warum das Konzept in seiner praktischen Umsetzung jedoch äußerst problematisch ist, erfährst du hier.

Viele Menschen machen sich Gedanken darum, wie wohl das Leben ihrer Kinder oder Enkelkinder aussehen wird. Die Idee des Longtermism geht dabei jedoch noch einige Schritte weiter: Wir sollen laut des Longtermismus nicht nur Kinder und Enkelkinder im Blick behalten, sondern unser Handeln stets danach ausrichten, wie es Generationen in ferner Zukunft beeinflussen könnte.

Das klingt insbesondere angesichts der Klimakrise nach einem notwendigen und längst überfälligen Perspektivwechsel, der zu nachhaltigerem Handeln anregen kann. Die Ansichten berühmter Befürworter:innen des Longtermism in Bezug auf die globale Erwärmung sind jedoch fragwürdig, wenn nicht gar problematisch. So birgt die Ideologie in ihrer aktuellen Umsetzung auch große Gefahren.

Longtermism und effektiver Altruismus

Die Idee des Longtermism ist eng mit dem sogenannten „Effektiven Altruismus“ verbunden, so der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen gegenüber dem SWR. Beide Denkschulen sind laut ihrem Selbstverständnis darauf ausgerichtet, Gutes zu tun und positive Auswirkungen auf die Welt zu haben, aber dabei besonders darauf achtet, dies auf die effizienteste Weise zu tun. Im Wesentlichen geht es darum, Ressourcen und Bemühungen so zu lenken, dass sie maximalen Nutzen und positive Veränderungen bewirken.

Beide Philosophien sind vor allem bei reichen und mächtigen Vertreter:innen im Silicon Valley beliebt. So zählen laut Pörksen etwa Elon Musk, Mark Zuckerberg und Peter Thiel zu überzeugten Anhänger:innen und Geldgeber:innen des Longtermism. Hinzu kommen weitere Spender:innen aus der Krypto-Szene, so der Spiegel.

Dass einige der mächtigsten Menschen weltweit Geld in den Longtermism und Effektiven Altruismus fließen lassen, hat laut Pörksen reale Folgen. So lassen sich durch das Geld etwa Think Tanks, große Projekte und veröffentlichte Warnschriften finanzieren.

Longtermism und das Problem mit der Klimakrise

Viele Vertreter:innen des Longtermism sehen die Klimakrise eher als randständiges Phänomen.
Viele Vertreter:innen des Longtermism sehen die Klimakrise eher als randständiges Phänomen.
(Foto: CC0 / Pixabay / marcinjozwiak)

Unser Handeln nach der Menschheit in ferner Zukunft auszurichten, wie es der Longtermism vorgibt, und dabei Gutes auf möglichst effiziente und evidenzbasierte Weise zu tun, wie es der effektive Altruismus beschreibt, scheinen auf den ersten Blick keine schlechten Ideen zu sein. Doch schaut man genauer hin, beinhalten beide Ideologien gefährliche Implikationen.

Zunächst einmal kann der Longtermism genutzt werden, um so gut wie jede Handlung in der Gegenwart beliebig zu rechtfertigen, so Pörksen. Schließlich ist es für niemanden von uns möglich, die Zukunft vorherzusagen. Was heute also genau richtig und wichtig für die zukünftige Menschheit wäre, kann keine Institution und kein:e Silicon-Valley-Milliardär:in wissen.

Ein Aspekt, der laut wissenschaftlichem Konsens sicherlich im Hinblick auf zukünftige Generationen zu beachten wäre, ist dabei die Klimakrise. Doch gerade diese wird von den bekanntesten Longtermism-Vertreter:innen eher als Randphänomen behandelt, so der Spiegel. Auch Pörksen bestätigt, dass Longtermism erlaubt, die Klimakrise langfristig lediglich als kleinen „Ausreißer“ zu betrachten.

Kaltes Denken und Fokus auf technische Katastrophen

Statt sich auf die Klimakrise zu fokussieren, widmen sich viele Longtermist:innen eher Zukunftsszenarios, wie der entfesselten KI, Biowaffen, synthetischer Biologie oder bislang völlig unbekannten Problemen. Hier wird bereits das zentrale Problem der Ideologie deutlich: So legen einige wenige besonders reiche und mächtige Personen schlichtweg fest, welche Zukunftsprobleme tatsächlich relevant sind. Dementsprechend beschreibt Pörksen Longtermism als „hochgradig elitäre Ideologie“.

Ein weiteres Problem ist, dass die Ideologie erlaubt, das Leid von Menschen in der Gegenwart zu vergessen – und zwar auch noch unter dem Deckmantel des Altruismus. Schließlich liegt der Fokus ja auf den unzähligen zukünftigen Generationen und ihrem Wohlergehen, für die auch in der Gegenwart Opfer gebracht werden müssen. Die Ideologie ist also besonders gut geeignet, um von aktuellen Missständen abzulenken.

Zudem ist Longtermism und der effektive Altruismus laut Pörksen von einem kalten, quantifizierenden Denken geprägt. Schließlich konzentriert man sich nur auf die Methoden, die für möglichst viele Menschen einen Nutzen haben. Das Leid Einzelner zählt dabei nicht. Die Frage, ob man ein Passagierflugzeug, das auf ein Hochhaus zufliegt, abschießen sollte, ist nach dieser Ideologie sehr einfach zu beantworten: Es zählt immer nur das Leben und das Wohl der Mehrheit.

Menschenleben mathematisch gegeneinander aufzuwiegen, ist dabei aus ethischer Sicht ein hochkontroversdiskutiertes Thema. Laut dem Bundesverfassungsgericht verweigert das deutsche Rechtssystem eine solche Denkweise aufgrund des Artikel 1 zur Würde des Menschen sogar völlig.

Fazit: Eine gute Grundidee, aber problematische Umsetzung

Longtermism ist also aufgrund seiner Implikationen und Hintergrundannahmen eine äußerst problematische Ideologie. So erlaubt sie es nach Pörksen, sich mit einer altruistischen Philosophie zu schmücken, die man nach Belieben auslegen kann.

Trotzdem kann die Grundidee der Denkschule auch auf positive Weise genutzt werden. So ist es angesichts zahlreicher drängender Probleme und Herausforderungen längst an der Zeit sich vom kurzfristigen Denken zu verabschieden und eine langfristige Perspektive einzunehmen. Dabei dürfen aktuelle Missstände jedoch nicht in Vergessenheit geraten oder verharmlost werden. Wie langfristiges Denken in Bezug auf die Klimakrise funktionieren kann, beschreibt etwa das Konzept der Generationengerechtigkeit.

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