Mit schöner Regelmäßigkeit tauschen wir unsere Glühlampen, Pürierstäbe und Waschmaschinen gegen neue Modelle und werfen die Alten auf den Müll. Weniger schön ist, dass die Abstände zwischen der Anschaffung von Neugeräten zu schrumpfen scheinen. Stefan Schridde erklärt, was dahinter steckt.
Den Berliner Betriebswirt Stefan Schridde stört, dass Produkte schneller kaputt gehen, als es den Käufern recht ist – obwohl das gar nicht nötig wäre und die Industrie auch anders könnte. Dahinter steckt die „geplante Obsoleszenz“, ein zielgerichteter Verschleiß, gegen den der Berliner eine beeindruckende Bewegung ins Leben gerufen hat: „Murks? Nein Danke!“. Unter diesem Motto stehen inzwischen ein Portal und ein Verein, der aktiv vorgeht gegen Produkte, bei denen gemurkst wird.
Auch ein Buch hat er geschrieben: „Murks? Nein danke!“ führt den Leser auf etwa 250 Seiten hervorragend in das Thema ein. Man erfährt, was Murks ist und wo man ihn finden kann. Die Liste der Belege, die Schridde dabei vorlegt, ist erdrückend: Von schlecht genähter Kleidung über Fernseher und Notebooks mit merkwürdigen Ausfällen bis hin zum Mindesthaltbarkeitsdatum (eben kein Verfallsdatum) ist alles dabei. Wer das gelesen hat, kauft mit anderen Augen ein.
Schridde wendet sich auch den zahlreichen Mythen zu, mit denen die Hersteller uns einreden wollen, warum der Murks zu akzeptieren, ja irgendwie richtig und wichtig sei. Schön ist, dass der Betriebswirt weiß, wovon er schreibt, wenn er sein Anliegen kraftvoll und unterhaltsam vorbringt. Und er weiß auch, dass es alternative Wege gibt – zum Beispiel eine Kreislaufwirtschaft. Wir haben ihm ein paar Fragen gestellt.
Interview: „Murks? Nein Danke!“
Utopia.de: Wer ist Schuld am Murks: die Hersteller oder die Kunden?
Stefan Schridde: Schuld sind Hersteller und Handel. Denn dort liegt die Produktverantwortung – wir Kunden bestellen den Murks ja nicht. Wir nehmen die Dinge zwar aus dem Regal, doch was dort liegt, verantworten Hersteller und Handel.
Nun gibt es ja diese typischen Preise wie „99 Euro“, auf die die Kunden nun mal reagieren …
Das ist keine Rechtfertigung für fehlenden Anstand im „Handwerk“. Auch wenn der Preisdruck noch so groß ist, darf man nicht jeden Mist ins Regal stellen. Kunden sind zum Beispiel bereit, für modische Schuhe viel Geld zu bezahlen, obwohl diese vielleicht nur sieben Monate halten. Mit Preisargumenten können Unternehmen ihren Murks nicht begründen.
Oft ist der Preis nur eine Frage der Marketingstrategie. Selbst eine Miele-Waschmaschine lässt sich bei gleicher Qualität für den halben Preis fertigen. Dass sie teuer angeboten wird, liegt eher an der Fachhandelsstrategie von Miele. Man kann an unzähligen Produkten zeigen, dass bei ähnlichen Kosten mehr Qualität und Haltbarkeit herstellbar sind.
Ist Murks zu bauen eine Erfindung der modernen Wegwerfgesellschaft?
Wir haben es eher mit einer Wegwerfwirtschaft zu tun. Zu schlampen und Kunden über den Tisch zu ziehen, ist vielleicht manchmal auch Teil des menschlichen Verhaltens. Aber den geplanten Verschleiß als solchen gibt es bereits seit den 1920er Jahren. Er tritt besonders häufig in den gesättigten Märkten auf, auch etwa in den 90ern. In der Betriebswirtschaftslehre bleibt es ein Problem: Was kommt nach der „Sättigung“? Dann kommt zum Beispiel die „Produktvariation“, oder Unternehmen machen eben die Produkte kurzlebig, statt sich neuen Märkten und sinnvollen Innovationen zuzuwenden.
Ist unser wirtschaftliches System Murks?
Der renditegetriebene Produzent ist das Problem, weil er sich in seinem Zielsystem von der Gesellschaft entfernt hat. Wir kennen in Deutschland ja genügend kleine und mittelständige Betriebe, die auf Langlebigkeit setzen, manomama ist ein Beispiel. Die großen Massenhersteller, die von Kapitalgebern getrieben werden, achten eher auf die Maximierung der Rendite anstatt geringste Beiträge in die Materialeinzelkosten zugunsten von mehr Qualität und Haltbarkeit zu stecken.
Wo gibt’s den meisten Murks?
Wenn Strom durchfließt wird es besonders schlimm, weil Strom eine ganze Menge möglich macht, von Bauteilen und Software über miese Lötung bis hin zu schlechten Schnittstellen. Auch bei den Materialien greift man gerne zu Minderwertigem, etwa bei Schuhen, Textilien, Unterhaltungselektronik und IT, auch im Haushaltsbereich, bei Werkzeugen und Gartenzubehör. Auf unserer Webseite kann man solchen Murks melden, da sind inzwischen über 3000 Meldungen eingegangen.
Sind 3D-Drucker für Ersatzteile eine Lösung?
Unter den aktuellen Bedingungen nicht. Sie führen eher zu einer Verschwendung wie früher der private Papierdrucker. Doch 3D-Drucker unterstützen den technischen Kompetenzerwerb, mit ihnen lernen wir wieder technische Zusammenhänge kennen. Sinnvoll wäre daher, die Hersteller zu verpflichten, ein Ersatzteil, das sie selbst nicht mehr herstellen, als CAD-Datei für den 3D-Druck frei zur Verfügung zu stellen.
Ist die Share Economy ein Ausweg?
Es ist ein Weg der Gesellschaft, sich selbst zu helfen. Doch Mieten führt nicht automatisch zu Langlebigkeit. Wir mieten ja heute Handys über Tarifverträge, deswegen sind aber noch lange nicht haltbarer. Insofern muss man das kritisch betrachten. Die Share Economy wird nur deswegen von Herstellern entdeckt, weil sie feststellen, dass sie mehr verdienen können, wenn sie etwas vermieten statt es zu verkaufen. Das ist nicht schlecht. Aber es gibt da eben auch viele Nebelkerzen.
Murks: „Verbraucher dürfen Forderungen stellen!“
Was kann der Verbraucher tun?
Konkret hilft unsere Murks.Lupe, beim Einkauf Murks zu erkennen und zu vermeiden. Doch zuallererst sollten wir das schäbige Kleid des „Verbrauchers“ ausziehen. Der Verbraucher – oder schlimmer „Endverbraucher“ – ist eine Marketingerfindung. Das Wort macht uns zum letzten Stellplatz vor der Müllhalde.
Wir müssen erkennen, dass wir eine kaufende Gesellschaft sind und als solche auch dürfen. Da reicht es nicht, für nachhaltigen Konsum am Regal der Wechselwähler zu sein: Kunde A greift dann verärgert zu Produkt B, Kunde B verärgert zu Produkt A. Für den Handel bedeutet das weiterhin gleichen Umsatz und keinerlei Motivation, etwas zu ändern.
Die Rolle des Verbrauchers, der – angeblich mündig – vor dem Regal steht und entscheidet, macht uns schwach. Was wir brauchen, ist ein Zusammenschluss, etwa unsere bürgerschaftliche Verbraucherschutzorganisation Murks? Nein Danke!.
Wie geht es bei Ihrem Kampf gegen Murks weiter?
Im Dezember 2014 haben wir in Berlin das Murks.Center eröffnet. Auf 180 qm zeigen wir mit Exponaten und Infotafeln die Methoden der geplanten Obsoleszenz und liefern überzeugende Belege für die gewollte Verkürzung der Nutzungszeiten zur Beschleunigung schneller Neukäufe. Wir planen Wanderausstellungen, um die geplante Obsoleszenz vor Ort transparent zu machen und Alternativen aufzuzeigen. Übrigens kann jeder bei unserem gemeinnützigen Verein Murks? Nein danke! e.V. ehrenamtlich mitmachen. Von einer Stunde im Monat über Vollzeit bis hin zu Entrepreneurship ist da alles möglich. Wir haben außerdem eine Allianz gegen geplante Obsoleszenz ins Leben gerufen, damit wir endlich zu gesetzlichen Änderungen kommen.
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