Nur noch eine Folge, eine Nachricht, einmal schnell durch den Feed scrollen. Manchmal fällt es uns schwer, uns von Handy oder Tablet zu lösen. Wo beginnt Online-Sucht und was sind die Folgen unseres Internet-Konsums?
Bereits 2019 hat die WHO Spielsucht (Gaming Disorder) in ihren Katalog der Krankheiten (ICD) aufgenommen. Gaming Disorder bezeichnet einen krankhaften Umgang mit „digitalen Spielen“ oder „Videospielen“, bei dem Betroffene unter anderem die Kontrolle über das eigene Spielverhalten verlieren.
Gaming Disorder ist ein Teilaspekt von Online-Sucht, eine psychische Störung, die immer mehr anerkannt wird. Online-Sucht beschränkt sich nicht auf digitale Spiele – auch ein problematischer Umgang mit sozialen Medien, Online-Shopping oder Pornographie kann damit bezeichnet werden. In der medizinischen Fachsprache hat sich der Begriff „Internetnutzungsstörung“ (INS) durchgesetzt.
Online-Sucht: Wie viel Zeit verbringen wir im Netz?
Das Internet bestimmt immer größere Teile unseres Alltags. Im Rahmen einer Studie der Techniker Krankenkasse zur Digitalkompetenz von 2021 gaben 76 Prozent der befragten Erwachsenen an, mehrmals täglich beziehungsweise eigentlich immer das Internet zu nutzen. Gleichzeitig beteuerten ganze 87 Prozent, dass sie versuchen, möglichst wenig Zeit im Internet zu verbringen.
Die Techniker Krankenkasse hatte schon 2019 das Medienverhalten von jungen Menschen in Deutschland untersucht. Das Ergebnis: 85 Prozent der 12- bis 17-Jährigen nutzten soziale Medien jeden Tag. Dabei betrug die tägliche Nutzungsdauer knappe drei Stunden. Die meiste Zeit verbrachten die Kinder und Jugendlichen mit der Nutzung von WhatsApp (66 Prozent), gefolgt von Instagram (14 Prozent) und Snapchat (9 Prozent).
Digitale Kompetenz versus Abhängigkeit
Die Digitalisierung kann die Entwicklung – gerade von Heranwachsenden – positiv beeinflussen: Sie schafft neue kreative Freiräume und kann die kognitive Entwicklung fördern. Aber wann ist es zu viel?
Bei Online-Sucht handelt es sich um eine Verhaltensstörung, weil sie den Alltag der Betroffenen beherrscht – bis zu einem Punkt, an dem sie sozialen, beruflichen, oder familiären Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Die Krankenkasse DAK warnt: „Der Übergang von einem normalen Nutzungsverhalten hin zu einer suchtgetriebenen Aktivität tritt dabei meist schleichend ein und ist nur schwer zu erkennen.“ Von einer internetbezogenen Störung sei die Rede, wenn mehrere Symptome über mindestens 12 Monate auftreten.
Zu typischen Symptomen für Online-Sucht zählt die Krankenkasse zum Beispiel folgende:
- Keine Kontrolle über Internetnutzung (Beginn, Ende, Zeitumfang)
- Freundschaften und andere Hobbies werden vernachlässigt oder aufgegeben
- Festhalten an übermäßiger Internetnutzung trotz negativer Folgen (z.B. Konflikte mit Partner:innen, Problemen am Arbeitsplatz, Schlafmangel)
- Auch offline drehen sich die Gedanken ständig um Online-Aktivitäten
Online-Sucht: die Folgen
Das Bundesministerium für Gesundheit verweist auf epidemiologische Studien, laut denen Männer und Frauen fast gleich häufig von Online-Sucht betroffen sind. Unterschiede zeigen sich bei der Art der Internetnutzung: Während 77 Prozent der 14- bis 24-jährigen internetnutzenden Frauen hauptsächlich in sozialen Netzwerken online sind und nur 7,2 Prozent Online-Computerspiele spielen, spielen 65 Prozent der internetnutzenden Männer vorwiegend Games und sind nur zu 34 Prozent in den sozialen Netzwerken unterwegs.
Die TK-Studie hat auch Symptome für körperliche und psychische Belastung bei erhöhtem Internetkonsum untersucht. Das Ergebnis: 40 Prozent der privaten Vielsurfer:innen (fünf Stunden und länger) zeigten überdurchschnittlich häufiger depressive Symptome, wie zum Beispiel Stimmungsschwankungen. 38 Prozent litten unter Nervosität. Zum Vergleich: Menschen, die weniger als 60 Minuten am Tag im Internet verbrachten, waren nur zu 16 Prozent von Depressionen betroffen, 19 Prozent fühlten sich nervös. Diese Gruppe war jedoch etwas öfter von Muskelverspannungen betroffen (65 Prozent) als Vielsurfer:innen (59 Prozent).
Die TK untersuchte auch die Auswirkungen von Internetnutzung im beruflichen Kontext. „Ein eindeutiger Zusammenhang zu gesundheitlichen Einschränkungen ist hier nicht auszumachen“, fasst die Krankenkasse zusammen.
Was hilft bei Online-Sucht?
Online-Sucht ist eine psychische Störung, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Wer sich im eigenen Alltag beeinträchtigt sieht oder dies bei Angehörigen feststellt, sollte sich professionelle Hilfe suchen. Der Fachverband Medienabhängigkeit bietet auf seiner Webseite eine Übersichtskarte und eine Adressliste für Beratungsstellen in ganz Deutschland. Auch das Portal Erste Hilfe Internetsucht vermittelt Anlaufstellen und bietet weitere Informationen zum Thema.
Wer die Internetnutzung im Alltag reduzieren möchte, um Online-Sucht vorzubeugen, der kann dazu verschiedene Maßnahmen ergreifen. Ein klassischer Medienpädagogik-Tipp ist die Rhythmisierung des Alltags: Setze dir klare Zeiten für Internetkonsum und bleibe sonst offline.
Online-Sucht bei Jugendlichen: Wie Eltern vorbeugen
Jugendliche sind besonders gefährdet von Online-Sucht. Was können Eltern tun?
Handys und Internet sind aus unserem Alltag schwer wegzudenken, sie ganz zu verbieten ist oft keine Option. Doch Eltern sollten mit gutem Beispiel vorangehen und in der Lage sein, ihr digitales Verhalten zu steuern. Kinder sollten nicht das Gefühl haben, in Konkurrenz zum Internet, WhatsApp, Facebook und Co. zu stehen.
TK-Expertin Sabine König rät: „Eltern sollten wissen, worum es geht – damit sie ihren Kindern zur Seite stehen können. Dazu gehört, klare Regeln für die Mediennutzung zu vereinbaren.“ Kleinkinder und Heranwachsende ein Tablet beziehungsweise Smartphone in die Hand zu drücken und das Kind auf dem Sofa abzusetzen, könne Eltern zwar kurzfristig entlasten. Auf lange Sicht schaffe es aber andere Probleme.
Zu einer hohen digitalen Kompetenz gehört laut Medienpädagogin Ines Sura die Fähigkeit, den eigenen Umgang mit den Medien zu hinterfragen: „Benutzen die digitalen Medien mich oder benutze ich sie?“ Das eigene Mediennutzungsverhalten zu reflektieren, ist Teil von Medienkompetenz. Auch junge Menschen, die mit digitalen Medien ausgewachsen sind, müssen sich diese Kompetenz erst aneignen. Mehr Informationen und Tipps zu Medienkompentenz liefert dieser Artikel: Medienkompetenz: So hast du dein Handy im Griff und nicht dein Handy dich.
Hinweis: Betroffene von Online-Sucht können sich unter anderem an die Onlineberatung der Caritas wenden. Diese bietet Beratung per Onlinechat an. Die Chat-Öffnungszeiten sind von Montag bis Freitag von 14:30 Uhr bis 17:30 Uhr. Die Website des Fachverband Medienabhängigkeit e.V. und das Portal Erste Hilfe Internetsucht bieten Beratungs- und Anlaufstellen zum Thema Online-Suchtfür Betroffene und Angehörige.
Bitte lies unseren Hinweis zu Gesundheitsthemen.
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