Vor zehn Jahren stürzte in Bangladesch der Fabrikkomplex Rana Plaza ein. Die Katastrophe forderte zahlreiche Menschenleben und konfrontierte die Öffentlichkeit mit grausamen Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie. Was hat sich seitdem getan? Eine Textilexpertin warnt, dass sich die Situation mancherorts sogar verschlimmert hat.
Die Tragödie ereignete sich am Morgen des 24.4.2013. In einem Vorort von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, stürzte ein achtstöckiger Gebäudekomplex ein. Zu der Zeit befanden sich mehr als 5.000 Arbeiter:innen in dem Fabrikgebäude Rana Plaza, berichtet die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Über 1.100 von ihnen starben, circa 2.000 wurden verletzt. Bereits am Vortag waren Risse entdeckt worden. In dem Gebäude entstanden auch Produkte für europäische Modemarken und deren Zulieferer, unter anderem für Primark, Benetton, Mango, C&A, KiK und Adler.
Rana Plaza: Wie konnte es zu der Katastrophe kommen?
Weltweit arbeiten über 60 Millionen Menschen in der Textil- und Bekleidungsbranche, schätzt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Die meisten von ihnen sind in Ländern des globalen Südens beschäftigt. In vielen dieser Produktionsländer gibt es noch 16-Stunden-Arbeitstage. Auch erhalten Mitarbeiter:innen oft keine Löhne, die zum Leben reichen, und ihnen kann bei Schwangerschaft oder Krankheit gekündigt werden. Dazu kommen unzureichende Schutzmaßnahmen – zum Beispiel beim Umgang mit Chemikalien – Wasser- und Luftverschmutzung und eben Mängel in der Gebäudesicherheit. Neben den zahlreichen sozialen Mängeln gilt die Textilindustrie auch als wenig nachhaltig: Sie ist für circa vier Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich, schätzt ein McKinsey-Report aus dem Jahre 2020.
Missstände entlang Textillieferketten waren auch 2013 keine Neuheit und Rana Plaza nicht die erste – oder letzte – Tragödie dieser Art. Aber der Unfall erlangte große Medienaufmerksamkeit und stieß eine gesellschaftliche Debatte an. Menschen begannen vermehrt, sich mit den Zuständen auseinanderzusetzen, unter denen ihre Mode produziert wurde – und forderten Änderungen von Unternehmen. Außerdem gründeten sich Bewegungen wie Fashion Revolution, die jährlich an die Katastrophe erinnern und zu Reformen in der Modeindustrie aufrufen.
Was hat sich seit 2013 getan?
Zahlreiche der betroffenen westlichen Unternehmen hatten nach dem Unglück Geld für Betroffene gesammelt und sich bereit erklärt, arbeitsrechtliche Standards in ihren Produktionsketten strenger zu überwachen. Doch haben sich die Arbeitsbedingungen in Bangladesch seit der Rana-Plaza-Tragödie tatsächlich verbessert?
Das ist nur teilweise der Fall. Human Rights Watch (HRW) berichtete 2019 bereits davon, dass sich unter anderem Sicherheitsbedingungen in Fabriken zwar gebessert hätten – doch die Kosten dafür hätten nicht die Modemarken übernommen. Sie würden stattdessen ständig Druck auf Bekleidungslieferanten in Bangladesch ausüben, um die Preise niedrig zu halten und die Herstellung von Kleidung zu beschleunigen. Infolgedessen seien unter anderem die Löhne von Textilarbeiter:innen weiter gesunken oder würden verspätet gezahlt. Pausenzeiten würden beschränkt und Produktionsziele steigen. Auch die Organisation Fashion Revolution bescheinigt der Modeindustrie „kaum Fortschritte bei der Transparenz“ – unter anderem bezüglich existenzsichernden Löhnen, Vereinigungsfreiheit, Tarifverhandlungen, Gesundheitsschutz und Sicherheit sowie Rückverfolgbarkeit.
„Rana Plaza hätte sich überall ereignen können, denn es war ein verheerendes Ergebnis in einer Branche, in der Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung an der Tagesordnung sind“, schreibt Fashion Revolution. „Diese Katastrophe hat gezeigt, dass mangelnde Transparenz Menschenleben kostet.“ Immerhin würde die globale Modeindustrie seit der Katastrophe genauer unter die Lupe genommen. Mehr Unternehmen haben zudem in den letzten Jahren ihre Lieferketten – zumindest teilweise – offengelegt.
Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh
Der „Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh“ (auf Deutsch etwa „Bangladesch-Vereinbarung über Brand- und Gebäudesicherheit“) wurde nur wenige Wochen nach dem Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudekomplexes unterzeichnet. Es zielt darauf ab, den Gebäude- und Brandschutz in Bekleidungsfabriken in Bangladesch zu verbessern und sieht auch einen unabhängigen Beschwerdemechanismus für Sicherheitsbedenken vor. Das Abkommen wurde inzwischen durch eine internationale Vereinbarung abgelöst. Derzeit haben laut Fashion Revolution 192 Modemarken die Vereinbarung unterzeichnet. Sie haben sich damit unter anderem zu Inspektionen von Zuliefererfabriken durch unabhängige Inspektoren verpflichtet, und dazu, grundlegende Sicherheitsrenovierungen mitzufinanzieren. Tun sie das nicht, kann rechtlich gegen sie vorgegangen werden. Auch in Pakistan wurde inzwischen ein entsprechendes Abkommen durchgesetzt.
Allerdings behandelt das Abkommen vorrangig Gebäudesicherheit und geht nicht gegen niedrige Löhne und andere ausbeuterische Bedingungen vor. Und es gilt nur für Marken, die es unterzeichnet haben. „Man liest täglich von Feuern in Fabriken“, kritisiert Menschenrechtsaktivistin Kalpona Akter aus Bangladesch in einer Pressekonferenz der Clean Clothes Campaign. „Unser Gesetz und seine Durchsetzung sind noch nicht angemessen.“
Greenpeace-Textilexpertin Viola Wohlgemuth lobt das Abkommen ebenfalls: „Es hat dazu beigetragen, die katastrophale Situation der Textilarbeiter:innen weltweit bekannter zu machen und stellenweise zu verbessern. Aber dass wir solche Abkommen brauchen, ist ein Armutszeugnis.“ Sie beklagt, dass einige Firmen das Abkommen zwar unterzeichnet hätten, parallel dazu aber bereits in anderen Ländern wie Äthiopien Fabriken gegründet hätten, um die Vertragsbedingungen zu umgehen.
Außerdem sei in den vergangenen Jahren in anderen Ländern wie China eine Ultra-Fast-Fashion-Industrie entstanden, in der Arbeitsbedingungen herrschen, „die noch schlimmer sind als alles, was man bisher kannte.“ In einem Greenpeace-Report zu Modehändler Shein werden Arbeitstage von bis zu 18 Arbeitsstunden pro Tag erwähnt, zahlreiche Notausgänge in den Fabriken sollen blockiert und obere Stockwerke wiederholt verriegelt sein. Auf den Produkten wurden zudem gefährliche Chemikalien nachgewiesen, deren Konzentration EU-Grenzwerte deutlich überschritten.
10 Jahre nach Rana Plaza: Was muss sich ändern?
Ist ausgeschlossen, dass sich eine Katastrophe wie die von Rana Plaza wiederholt? Derzeit sieht es nicht so aus. Entlang Textillieferketten herrschen immer noch ausbeuterische Bedingungen. Was müsste die Modeindustrie tun, um dies zu ändern?
Wohlgemuth fordert zum einen Transparenz entlang der Lieferketten. Dabei könne unter anderem ein starkes EU-Lieferkettengesetz helfen. Dieses wird derzeit verhandelt. Am deutschen Lieferkettengesetz kritisiert sie, dass es nur die letzten Punkte der Lieferkette betrachtet. Dabei hätten textile Lieferketten bis zu 200 Schritte. „Die größten Umwelt- und Menschenrechtsverbrechen passieren grade am Anfang der Lieferkette“, so die Expertin. Des Weiteren brauche es bessere Bezahlung und Arbeitssicherheit. Dafür müssten Menschen in Industriestaaten weniger neue Textilien konsumieren und wegwerfen – auch in Deutschland.
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