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Stealthing: Was du über die Sexualstraftat wissen solltest

Stealthing: Was du über die Sexualstraftat wissen solltest
Foto: CC0 / Pixabay / sasint

Stealthing ist eine Straftat nach § 177 StGB, bei der Täter:innen während des Geschlechtsverkehrs das Kondom heimlich abziehen. Wir erklären in diesem Artikel, was du über die Sexualstraftat wissen solltest.

Stealthing gehört laut § 177 im Strafgesetzbuch zu den sexuellen Übergriffen, deren Versuch oder Vollendung strafbar ist. Je nachdem, welche konkreten Tatumstände vorliegen, ist neben dem Stealthing auch der Tatbestand der Vergewaltigung erfüllt.

Wenn du zu den Betroffenen gehörst, empfehlen wir dir, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen und Täter:innen bei der Polizei anzuzeigen. Im ersten Schritt kannst du dich auch an eines der folgenden Hilfetelefone wenden:

  • Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 08000 116 016
  • Hilfetelefon Gewalt an Männern: 0800 123 9900

Was versteht man im strafrechtlichen Sinne unter Stealthing?

Durch die Verschärfung des Sexualstrafrechts ("Nein heißt Nein") gilt Stealthing seit 2016 als Verbrechen.
Durch die Verschärfung des Sexualstrafrechts ("Nein heißt Nein") gilt Stealthing seit 2016 als Verbrechen.
(Foto: CC0 / Pixabay / Anqa)

Stealthing ist ein Sexualverbrechen, bei dem Täter: innen beim Geschlechtsverkehr ohne Einverständnis des:der Partner:in das Kondom abziehen. Dies geschieht heimlich. Deshalb gilt Stealthing als besonders heimtückische Tat, die nicht nur den Safer Sex untergräbt, sondern auch die sexuelle Selbstbestimmung der anderen Person unterläuft. So hinterlässt Stealthing neben psychischen Folgen wie Traumata schlimmstenfalls weitere, körperliche Folgen: Betroffene laufen Gefahr, sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten wie Syphilis oder HIV anzustecken, zusätzlich dazu können weibliche Opfer ungewollt schwanger werden.

Als Tatbestand steht Stealthing seit dem Jahr 2016 unter Strafe. In diesem Jahr verschärfte der Deutsche Bundestag das Sexualstrafrecht in dem Sinne, dass jede sexuelle Handlung, die dem Willen von Akteur:innen zuwiderläuft, unter Strafe fällt. Durch diesen „Nein heißt Nein“-Grundsatz liegt eine sexuelle Straftat bereits dann vor, wenn das Opfer verbal Nein sagt, weint oder andere Abwehrhandlungen zeigt. Auch dann, wenn sich das Opfer aufgrund einer Beeinträchtigung nicht verbal oder körperlich äußern kann, sind diese Handlungen strafbar.

Abhängig von der konkreten Situation sieht das Strafmaß für Täter:innen Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren vor. In schwerwiegenden Fällen, in denen Täter:innen nicht nur Stealthing vornehmen, sondern das Opfer beispielsweise schwer misshandeln, kann laut § 177 StGB sogar ein Freiheitsentzug von mehr als 5 Jahren verhängt werden.

Wichtig: Wir möchten betonen, dass Frauen Opfer von Stealthing werden können, aber ebenso Männer und andere Geschlechtsidentitäten betroffen sein können. Grundsätzlich kann jede:r Sexualpartner:in Stealthing begehen, sodass die Straftat auch beim Sex zwischen gleichgeschlechtlichen Partner:innen nicht auszuschließen ist.

Berliner Kammergericht entschied erstmals über Strafbarkeit des Stealthings

In Berlin entschied das zuständige Kammergericht im Jahr 2020 erstmals über den Tatbestand des sogenannten Stealthings. Im Beschluss entschieden die Richter zugunsten einer Frau, die Opfer von Stealthing wurde. Sie erlaubte dem Täter einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit Kondom, das er anschließend heimlich abzog.

Die Richter:innen sahen es in ihrer Begründung als erwiesen an, dass „das Opfer gegen dessen Willen in ungeschützter Form penetriert […] und in den Körper der Geschädigten ejakuliert wurde“. Durch die Tatbestandsmäßigkeit bestünde nicht nur die Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft oder einer sexuell übertragbaren Krankheit. So hoben die Richter:innen insbesondere die „Ebene des sexuellen Selbstbestimmungsrechts“ hervor, die im Zuge der Tat erheblich verletzt wurde und diese die sexuelle Autonomie des Opfers unterlief. Somit sahen die Richter:innen den Tatbestand des § 177 Abs. StGB als erfüllt an, stellten aber zugleich keine Vergewaltigung fest, da der Geschlechtsverkehr an sich einvernehmlich erfolgte.

Nach der Verhandlung bekam das Opfer ein Schmerzensgeld in Höhe von rund 3.000 Euro zugesprochen, während der Täter, der gegen das Urteil rechtlichen Einspruch erhob, zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilt wurde.

Stealthing: Das können Opfer tun, um sich zu wehren

Betroffene Opfer sollten Stealthing polizeilich anzeigen und psychologischen Beistand suchen, um das Geschehen seelisch verarbeiten zu können.
Betroffene Opfer sollten Stealthing polizeilich anzeigen und psychologischen Beistand suchen, um das Geschehen seelisch verarbeiten zu können.
(Foto: CC0 / Pixabay / Bru-nO)

Für Opfer kann Stealthing eine belastende, schwer traumatisierende Erfahrung sein. Denn neben dem Risiko, durch den ungewollt ungeschützten Geschlechtsverkehr schwanger zu werden und/oder ernsthaft zu erkranken, steht der damit verbundene Vertrauensbruch und die Untergrabung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts. Erschwerend hinzu kommt, dass Stealthing gerichtlich schwer nachweisbar ist, wenn Opfer keine eindeutigen Beweise vorlegen können und schlussendlich Aussage gegen Aussage steht.

Umso wichtiger ist es für Betroffene, sich anderen anzuvertrauen und mit rechtlichen Mitteln gegen Täter:innen vorzugehen:

  • Falls du Opfer von Stealthing bist, solltest du dir bewusst machen, dass du an dem Vorfall keine Schuld trägst. Alle Schuld liegt bei dem oder der Täter:in, die dein Vertrauen ausgenutzt hat. Du solltest die Tat daher keinesfalls als „Missgeschick“ abtun oder die Schuld bei dir suchen. Du hast das Verhalten in keinster Weise provoziert und solltest dich deshalb auch nicht schämen, da Stealthing (leider) jeder und jedem passieren kann.
  • Hab keine falsche Scham davor, für dich einzustehen und den Vorfall bei der Polizei anzuzeigen. Stealthing ist eine Sexualstraftat, die ebenso wie Vergewaltigungen auf Unrecht basiert und bestraft werden muss.
  • Neben der Anzeige solltest du unbedingt ärztliche Hilfe beanspruchen und dich untersuchen lassen, um gesundheitliche Schäden abzuwenden. Falls du durch den ungeschützten Geschlechtsverkehr fürchtest, eine sexuell übertragbare Krankheit zu bekommen, solltest du dies unbedingt bei den Ärzt:innen ansprechen. Die meisten sexuell übertragbaren Krankheiten sind, rechtzeitig erkannt, gut behandelbar. Auch im Falle einer möglichen HIV-Infektion gibt es eine sogenannte „HIV-PEP“, eine Vorsorge nach einem möglichen HIV-Kontakt. Dabei nehmen Betroffene für vier Wochen Medikamente ein, welche die Vermehrung der Viren hemmen.
  • Sei dir bewusst, dass du nicht alleine bist und auf Unterstützung zählen kannst. Nimm Kontakt mit Beratungsstellen für Betroffene auf. Einige Hilfetelefone beraten dich auf Wunsch auch anonym. Du erreichst beispielsweise das Hilfetelefon gegen Gewalt für Frauen oder Männer jeweils unter der Rufnummer 08000 116 016 bzw. 0800 123 9900. Auch in Selbsthilfegruppen für Betroffene sexualisierter Gewalt kannst du mit Mitbetroffenen und erfahrenen Fachkräften in Kontakt treten und die Gewalttat aufarbeiten.
  • Leider gibt es keine einhundert-prozentige Möglichkeit, sich vor Stealthing zu schützen. Dennoch kannst du das Risiko verringern, indem du die Warnzeichen von toxischen Beziehungen erkennst und im Zweifelsfall auf dein Bauchgefühl vertraust. Solltest du dich bei einem oder einer Partner:in unwohl fühlen, ist es absolut legitim, den Geschlechtsverkehr abzubrechen.

Weiterlesen auf Utopia.de:

English version available: What Is Stealthing? Nonconsensual Barrier Removal Explained

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