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Strom selbst erzeugen: Wie fast alle zur Energiewende beitragen könnten

Strom selbst erzeugen: So könnte jede:r zur Energiewende beitragen
Foto: CC0 Public Domain / Pixabay – MariaGodfrida

Die Klimakrise und die Abhängigkeit von Energieimporten sprechen deutlich dafür, dass mehr Menschen und Quartiere ihren eigenen Strom erzeugen – auch jenseits von Eigenheim-Photovoltaik. Die Möglichkeiten und Potenziale sind vielfältig, doch es braucht mehr politischen Willen.

Der Ukrainekrieg hat ein Schlaglicht auf Deutschlands Abhängigkeiten in der Energieversorgung geworfen – und die deutsche Energiewende beschleunigt. Wir haben gelernt, dass regionale Stromerzeugung durch Erneuerbare Energien mehr Unabhängigkeit, Stabilität und nebenbei mehr Klimaschutz bietet als fossile Energieträger aus dem Ausland. Nur spiegelt sich das kaum in den aktuellen politischen Plänen und Rahmenbedingungen wider.

Sollen wir deshalb jetzt alle unseren Strom selbst erzeugen? Auch wenn’s schön wäre: Ganz einfach ist es nicht.

Erneuerbare Energien brauchen flexible Netze
In fünf Jahren sollen Erneuerbare 80 Prozent unseres Stroms liefern. Neue Solar- und Windparks auf der grünen Wiese werden das allein kaum leisten können. (Foto: CC0 / Pixabay / hpgruesen)

Die aktuelle Version des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) sieht vor, dass der Strom in Deutschland bereits im Jahr 2030 zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Windenergie soll zwei Prozent der Landesflächen einnehmen, die meisten Bundesländer fördern den Ausbau der Freiflächen-Solarenergie (“Agriphotovoltaik“). Tatsächlich boomt vor allem die Solarenergie so sehr, dass der Ausbau der Stromnetze kaum hinterher kommt. Und dennoch will die künftige Bundesregierung auf mehr Gaskraftwerke und zentrale Stromerzeugung setzen.

Strom selbst erzeugen: Darum brauchen wir mehr Solaranlagen auf Bestandsgebäuden

Dabei ist das Potenzial der (dezentralen) Photovoltaik noch längst nicht ausgeschöpft: Vieles spricht etwa dafür, bei der Stromerzeugung Gebäude in Deutschland noch stärker in den Fokus zu nehmen. Solaranlagen an und auf Gebäuden sparen Flächen ein und haben riesiges Potenzial, die Energiewende dezentraler zu gestalten. Das reduziert neue Abhängigkeiten von Energiekonzernen und kann zudem hohe Kosten beim Netzausbau sparen.

Eigenheimbesitzer:innen können heute schon vergleichsweise einfach ihre Dachflächen nutzen, um mittels Photovoltaik ihren Strom selbst zu erzeugen. In den meisten Bundesländern gilt inzwischen irgendeine eine Form der Solarpflicht: Auf Neubauten sowie teils auf sanierten Dächern müssen Photovoltaikmodule installiert werden.

Strom selbst erzeugen kann man z.B. mittels Solarmodulen auf dem Dach
Strom selbst erzeugen wollen nicht nur Eigenheim-Besitzer:innen – Solaranlagen auf bestehenden Gebäuden und Industriebauten sind ein wichtiger Energiewende-Baustein. (Foto: CC0 Public Domain / Pixabay – Vector8DIY)

Doch welchen Beitrag zur Energiewende können Bestandsgebäude und vor allem Mehrfamilienhäuser und die vielen Millionen Mietwohnungen leisten? Oder andersherum gefragt: Wie können einzelne Haushalte selbst Strom erzeugen und unabhängiger von zentraler Stromversorgung werden?

Schnell denkt man hier an Balkonkraftwerke. Diese boomen, sind jedoch eine sehr indidivuelle Lösung mit begrenzter Wirkung. Mehr Autonomie und mehr Impact für die Energiewende bieten größere lokale Projekte. Entsprechende Konzepte weden oft unter dem Schlagwort “Bürgerenergie” zusammengefasst. Eine Reform des EEG im Jahr 2023 brachte ein paar Erleichterungen für Bürgerenergie – also von privaten Bürger:innen allein oder gemeinschaftlich finanzierte und betriebene Anlagen. Der aktuelle Koalitonsvertrag zwischen Union und SPD stellt eine weitere “Entbürokratisierung” in Aussicht, bleibt aber vage.

Energiewende in Bürger:innen-Hand: „Die Leute haben Lust“

„Private Energieerzeugung hat schon bis heute viel zur Energiewende beigetragen“, sagt Viola Theesfeld, Referentin für Energiepolitik und -wirtschaft beim Bündnis Bürgerenergie. Der Verein setzt sich für eine von Bürger:innen getragene Energieversorgung aus Erneuerbaren Energien ein. Privatmenschen und -Initiativen hätten bereits etwa die Hälfte aller bestehenden Erneuerbaren Energieanlagen finanziert, so Theesfeld. Rund 40 Prozent würden heute privat betrieben.

Sie sieht aber noch enorme Potenziale schlummern – vor allem in der Stromerzeugung aus Solaranlagen, die Bürger:innen oder Gemeinschaften von Bürger:innen finanzieren und betreiben. Die Expertin glaubt: „Die Leute haben Lust, sie haben das Know-How und sie haben das Kapital. Sie brauchen nur das Vertrauen der Politik.“

Wie viele andere Fachleute kritisiert Theesfeld, dass die diversen Modelle der Bürgerenergie lange Zeit zu bürokratisch, zu kompliziert, zu aufwändig waren. Die Politik habe solche wertvollen Initiativen verschreckt. Im Sinne von dezentraler Energiewende und Klimaschutz sollte das möglichst schnell anders werden, sprich: Strom selbst zu erzeugen muss einfacher werden.

Theesfeld spricht vom „Mut“, den die Politik brauche, um Bürger:innen einfach mal machen zu lassen. Dann, so ist sie überzeugt, seien auch 100 Prozent Erneuerbare bis 2030 kein Problem – jedenfalls kein technisches.

Gemeinschaftliche Stromerzeugung hat Zukunft

Energy Sharing

Da ist zum Beispiel das Konzept des Energy Sharings: Das partizipative Modell sieht vor, dass sogenannte Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften oder Bürgerenergiegesellschaften Anlagen finanzieren und betreiben und den erzeugten Ökostrom in das öffentliche Verteilnetz einspeisen. Die Mitglieder der Gemeinschaften sollen den selbst erzeugten Strom dabei selbst direkt und günstig nutzen können. Im Moment fehlen hierfür in Deutschland – trotz eines Entwurfs – noch die konkreten regulatorischen Rahmenbedingungen.

Gemeincshaftliche Stromerzeugung im Quartier hat noch viel Potenzial
Gemeinschaftliche lokale Stromerzeugung im Quartier hat noch viel Potenzial. (Foto: CC0 Public Domain / Pixabay – Solarimo)

Ziel ist beim Energy Sharing eigene regionale Produktion und eigener Verbrauch von Strom in einem Quartier, Ort oder einer festen Region unter Nutzung des regionalen Stromnetzes. Voraussetzung, um den mittels Photovoltaik oder Windkraft erzeugten Strom nutzen zu können, ist eine räumliche Nähe zur Anlage.

Nimmt man einen Umkreis 25 bis 50 Kilometern an, könnten so jeweils hunderte, wenn nicht tausende Haushalte profitieren. Anders als die Errichtung einer Photovoltaikanlage auf jedem Hausdach oder gar Balkongeländer ist das Modell niederschwellig: Mitglied einer solchen Gemeinschaft zu werden ist für einzelne Bürger:innen denkbar einfach, der Stromtarif im Idealfall besonders günstig.

Eine Studie des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (iöw) sagte 2022 voraus, entsprechende Anlagen könnten über 40 Prozent des Zubaus bis 2030 abdecken. Die Zubaurate hat sich seitdem geändert, doch eine beeindruckende Zahl bleibt: Demnach könnten 90 Prozent aller Haushalte in Deutschland mit Energy-Sharing-Strom versorgt werden. „Das ist kein Nischenmodell“, sagt Energieexpertin Theesfeld. Andere EU-Länder sind hier bei den politischen Rahmenbedingungen bereits deutlich weiter, in Österreich etwa gibt es entsprechende Modell seit mehreren Jahren.

Eine vor vor allem für Kommunen interessante Sonderform ist das vergleichsweise neue Strombilanzkreismodell (auch: Energieregion). Dabei werden einzelne Gebäude mit und ohne eigene Stromerzeugung über das öffentliche Netz zu einem “Bilanzkreis” verbunden und können durch Eigenstromverbrauch über mehrere Gebäude hinweg Stromkosten sparen.

Mieterstrom

Hierzulande schon weiter entwickelt ist das Modell des Mieterstroms. Hier installieren Hausbesitzer:innen auf dem Dach von Mehrfamilienhäusern Photovoltaikanlagen. Der so selbst erzeugte Strom wird direkt an die Mieter:innen im eigenen oder in benachbarten Häusern verkauft. Nur Überschüsse werden ins öffentliche Netz eingespeist.

Mieterstrom ist von vielen Abgaben befreit und wird vom Staat gefördert. Für Mieter:innen ist der so erzeugte Strom in der Regel besonders kostengünstig. Für Vermieter:innen galt das Modell lange als bürokratisch und unnötig teuer. Denn sie werden hier gleichzeitig zum alleinigen Stromlieferanten und müssen für Zeiten, in denen der eigene Solarsrom nicht reicht, einen Zusatzstromvertag mit einem Stromversorger abschließen. Deshalb haben bislang vor allem große Wohnungsunternehmen Mieterstomkonzepte umgesetzt.

Ein paar Erleichterungen haben diese aber in den vergangenen Jahren auch für private Vermietende zumindest in der Theorie attraktiver gemacht. So ist etwa die EEG-Umlage und damit ein Kostenfaktor Anfang 2023 weggefallen. Weil dennoch rechtliche Anforderungen, Auflagen und bürokratische Schritte bleiben, können Eigentümer:innen die Hilfe von Dienstleistern in Anspruch nehmen.

Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung

Eine Alternative zum Mieterstrom ist seit Mai 2024 das Modell der “gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung”, festgelegt im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Das Konzept ist ähnlich wie beim Mieterstrom: Gebäudeeigentümer:innen installieren auf Mehrfamilienhäusern Photovoltaik-Anlagen und liefern den Strom direkt an die Bewohnenden. Diese können so vor Ort erzeugten Strom zu günstigen Preisen nutzen. Der Solarstrom wird entweder statisch oder dynamisch nach Verbrauch den Haushalten zugeteilt. Gleichzeitig können diese aber für die Zeiten, in denen der Solarstrom nicht reicht, ihren Netzstromversorger frei wählen. Sie haben also zwei Stromverträge.

Für Vermietende ist das Modell weniger aufwändig und bürokratisch, weil sie nicht allein für die Stromversorgung der Mietenden zuständig sind. Voraussetzung sind allerdings intelligente Stromzähler (Smart Meter) für alle Haushalte. Denn die Verteilung des selbst erzeugten Storms an die Haushalte muss im 15-Minuten-Takt erfasst werden. Die Messung und Abrechung übernimmt ein Dienstleister. Wie beim Mieterstrom kann der Betreiber der Solaranlage überschüssigen Strom gegen Vergütung ins Netz einspeisen.

Bislang sind zwar einige große Mieterstrom-Projekte, aber nur vergleichsweise wenige Projekte für die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung tatsächlich umgesetzt worden. Dabei ist das Potenzial groß. Bleibt abzuwarten, wie ernst es die zukünftige Bundesregierung mit der Entbürokratisierung und Förderung meint.

Mieterstrom: Stromversorgung via Solaranlage auf dem Dach
Mieterstrom: Ökostrom für Mieter:innen via Solaranlage auf dem Dach (Foto: CC0 Public Domain / Pixabay – Solarimo )

Quartiersversorgung

Alle oben genannten Modelle könnten auch eine Quartiersversorgung mit Erneuerbarem Strom ermöglichen. Das Konzept steckt aber noch in den Kinderschuhen – allein schon, weil eine einheitliche Definition des Begriffs Quartier fehlt.

Dabei hätten dezentrale Stromversorgungsmodelle mittels Energy Sharing oder im Sinne des Mieterstroms bzw. der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung über die benachbarten Gebäude hinaus viel Potenzial. Hier sind Lösungen mit oder ohne Nutzung des öffentlichen Stromnetzes denkbar. So könnte zum Beispiel ein Block von Mehrfamilienhäusern mit großen Dachflächen umliegende Wohnhäuser oder Geschäfte direkt mit günstigem Solarstrom versorgen. Doch auch hier sind noch viele Fragen offen.

Strom selbst erzeugen auf dem Balkon: Hype um Balkonkraftwerke

Auch wenn die Bürgerenergie-Potenziale riesig sind: Noch haben die meisten Mieter:innen in Deutschland keine Möglichkeit, Mieterstrom oder regional erzeugten Strom zu beziehen. Die Energiekrise hat deshalb einen regelrechten Run auf sogenannte Stecker-Solaranlagen (auch: Balkon-Solaranlagen oder Balkonkraftwerke) ausgelöst. Laut Bundesnetzagentur machten Balkonkraftwerke 2024 mindestens 2,6 Prozent des gesamten Solarzubaus aus.

Kaufen: Stecker-Solaranlagen bekommst du zum Beispiel bei Klimaworld oder Manomano.

Mit Balkonkraftwerken kann man als Mieter:in zumindest etwas Strom selbst erzeugen
Mit Balkonkraftwerken kann man als Mieter:in zumindest etwas Strom selbst erzeugen (Foto: © stock.adobe.com – Paylessimages)

Zwar ist die tatsächlich selber erzeugte Strommenge und das das persönliche Sparpotenzial bei den kleinen Balkon-Solarmodulen überschaubar. Doch die Geräte sind vergleichsweise günstig, auch für Laien in der Regel recht unkompliziert zu installieren und rechnen sich schon nach wenigen Jahren. In vielen Gemeinden gibt es Förderungen für die Mini-Kraftwerke.

„Die Energiewende kann damit nicht mal eben so erledigt werden“, sagt Anna Schilling ggenüber Utopia. Sie ist Expertin für Balkon-Solaranlagen beim Kasseler Verein SoLocal Energy, der bei der Installation von Solarmodulen berät und hilft. „Es geht eher darum, dass man damit die persönliche Grundlast abdecken kann, also den Verbrauch von Geräten, die immer laufen, wie zum Beispiel den Kühlschrank oder Router.“

Vor allem aber haben mit Balkonkraftwerken auch Mieter:innen die Möglichkeit, aktiv zur Energiewende beizutragen – und machen gleichzeitig die Solarkraft als Ganze sichtbarer.

Die Energiewende muss dezentral sein

Ob Energy Sharing, Mieterstrom oder gar Balkonkraftwerke: „Es gibt ganz viele Menschen, die jetzt gerne loslegen würden“, so Theesfeld vom Bündnis Bürgerenergie. Dafür braucht es aber Investitionssicherheit sowie einen praktikablen und stabilen regulatorischen Rahmen. Die Möglichkeit der Teilhabe und Gestaltung können solche gemeinschaftlichen oder privaten Energieprojekte zum Erfolgsmodell machen, glaubt Theesfeld.

Doch man muss gar nicht erst den Wunsch nach Teilhabe und Selbstbestimmung voraussetzen, um in der lokalen Stromerzeugung ein Zukunftsmodell zu sehen: „Dezentrale Energieerzeugung ist die Lösung, weil man nur so vor Ort Lösungen für lokale Probleme schaffen kann. Zentrale Modelle können das nicht bieten“, sagt Theesfeld.

Die aktuellen politischen Signale deuten dennoch nicht in Richtung Dezentralisierung. Der schnelle Ausbau von Wind- und Solarkraft stellt zudem das Stromnetz zunehmend vor Schwierigkeiten. Zur Lösung sollen nun nach dem Willen der nächsten Bundesregierung mehr große Gas- und Wasserstoffkraftwerke beitragen – unter dem Deckmantel der Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Sicher und bezahlbar wäre es vielmehr, mehr lokale erneuerbare Energieerzeugung zu fördern und an lokalen Verbrauch zu koppeln. Genau das könnte die Probleme im Netz reduzieren, für mehr Stabilität sorgen und Kosten einsparen, weil weniger Strom quer durchs Land transportiert werden müsste.

Wenn wir eines aus der Klima- und Energiekrise lernen sollten, dann, dass A) eine möglichst schnelle Energiewende hin zu 100 Prozent erneuerbaren Energien unumgänglich ist, B) diese Energiewende möglichst dezentral und unter Beteiligung der Bürger:innen passieren muss und C) die Politik so schnell wie möglich die nötigen Voraussetzungen und Sicherheiten für Bürger:innen-Projekte schaffen sollte, anstatt weiterhin fossile Abhängigkeiten zu begünstigen.

Weitere Möglichkeiten, zuhause erneuerbare Energie zu erzeugen:

Was du schon heute tun kannst, um zumindest sauberen Strom zu beziehen und den Ausbau der Erneuerbaren zu fördern: Zu einem echten Ökostrom-Anbieter wechseln.

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