Voluntourismus ist ein Trend in der Reisebranche bei Menschen, die ihren Urlaub mit etwas Sinnvollem verbinden wollen. Das Konzept ist in vielen Fällen jedoch problematisch.
Voluntourismus – zusammengesetzt aus den Begriffen „Volunteering“ (Deutsch: Freiwilligenarbeit) und Tourismus – ist eine Kombination aus Freiwilligenarbeit und Urlaub. Mittlerweile existieren zahlreiche Angebote von Reisen in touristische Gebiete, wo Freiwillige sich beispielsweise an sozialen oder ökologischen Projekten beteiligen können. Vor allem bei jungen Menschen ist diese Art zu reisen beliebt. Sie möchten ihre freie Zeit nach dem Schulabschluss oder während eines Gap Years (Pausenjahr) sinnvoll verbringen und etwas Gutes bewirken.
Was sich zunächst nach einem guten Konzept anhört, kann jedoch problematisch werden. Denn oft profitieren die Einheimischen im Reiseland von der guten Absicht der Freiwilligen gar nicht wie gedacht.
Warum Voluntourismus problematisch sein kann
Zahlreiche kommerzielle Reiseagenturen bieten mittlerweile Voluntourismus-Aufenthalte vor allem in den Ländern des Globalen Südens an. Jede:r kann so ein Angebot buchen. Problematisch daran ist, dass so auch Menschen Freiwilligenarbeit verrichten können, ohne dafür die notwendigen Qualifikationen und Fähigkeiten mitzubringen. Auch müssen die Organisationen im Reiseland mitunter extra Zeit aufwenden, um die Voluntourist:innen anzulernen.
Wenn du Freiwilligenarbeit in einem dir fremden Land machst, ist beispielsweise eine Schulung deiner interkulturellen Kompetenz sowie eine Vermittlung allgemeiner Kulturspezifika des Ziellandes wichtig. Doch die Reiseanbieter bereiten die Voluntourist:innen nicht immer auf diese Weise vor.
Dazu kommt auch, dass die Freiwilligeneinsätze oft viel zu kurz sind. Über viele Reiseagenturen kannst du Freiwilligeneinsätze ab einer Dauer von wenigen Tagen buchen. So kurze Einsätze sind kaum gewinnbringend für die einheimische Gemeinschaft, da du in so kurzer Zeit nur wenig bewirken kannst. Zudem steht bei einem Voluntourismus-Aufenthalt auch ein gewisser Abenteuer- und Erlebnischarakter im Vordergrund, was den Bedürfnissen der lokalen Projekte oft widerspricht.
Folgen von Voluntourismus
Voluntourist:innen verfolgen positive Absichten, wenn sie in ihrer Freizeit etwas Gutes bewirken wollen. Die Konsequenzen stehen damit aber nicht immer im Einklang.
Damit der Voluntourismus-Einsatz für Voluntourist:innen und Einheimische gewinnbringend abläuft, ist eine Kommunikation auf Augenhöhe sehr wichtig. Hierfür brauchen die Voluntourist:innen ein Mindestmaß an interkultureller Kompetenz. Doch diese schulen die Reiseagenturen vor Beginn des Aufenthaltes nur selten. Durch die fehlende kulturelle Sensibilisierung entwickeln sowohl Voluntourist:innen als auch Einheimische (unbewusst) Vorurteile und kulturelle Stereotype. In den Köpfen können sich dadurch Vorstellungen von „entwickelt“ und „unterentwickelt“ beziehungsweise „Wir“ und „die Anderen“ verstärken.
Der Voluntourismus steht somit in der Kritik, postkoloniale Macht- und Abhängigkeitsstrukturen zu fördern. Weiße Menschen aus dem Globalen Norden reisen in Länder des Globalen Südens, um zu helfen und „etwas zurückzugeben“. Dies hängt mit dem sogenannten „White Savior Complex“ zusammen: Dieser beschreibt das Phänomen, dass sich weiße Menschen dazu berufen fühlen, Menschen in „Entwicklungsländern“ retten zu müssen. Ein solches Verhalten baut auf rassistischen und durch den Kolonialismus geprägten Weltbildern auf, nach denen sich der Globale Norden in einer Vormachtstellung sieht, die ihm das Recht gibt, andere Menschen „weiterzuentwickeln“. Mehr dazu hier: „Weißer-Retter-Komplex“: Heftige Kritik an Stefanie Giesingers aktuellen Instagram-Fotos.
Noch dazu kommt, dass die Reiseagenturen, die Voluntourismus anbieten, ihren Sitz meist im Globalen Norden haben. Das bedeutet, dass sie es sind, die Profit mit der Freiwilligenarbeit machen. In schlimmsten Fall beutet Voluntourismus den Globalen Süden aus.
Nicht zuletzt bedeutet Voluntourismus oft, dass die Freiwilligen in sensible Lebensräume von Flora und Fauna des Reiselandes eindringen und dort aufgrund ihrer fehlenden Qualifikationen mehr Schaden als Nutzen anrichten könnten.
Voluntourismus: So geht er besser
Voluntourismus ist dennoch nicht nur schlecht. Wenn du im Globalen Süden einen Freiwilligendienst absolvieren und tatsächlich etwas bewirken möchtest, solltest du auf folgende Dinge achten:
- Seriöse Organisationen: Wende dich an seriöse Organisationen. Diese erkennst du daran, dass sie eine intensive Vor- und Nachbereitung in den Aufenthalt integrieren. Das staatlich geförderte Programm weltwärts kann dir bei der Suche nach einer seriösen Freiwilligenorganisation helfen.
- Nachhaltiger Urlaub: Um möglichst nachhaltig und ökologisch zu reisen, kannst du spezialisierte Reiseagenturen beauftragen oder dir deine Reise selber organisieren. Achte darauf, dass du deinen Freiwilligeneinsatz mit Urlaub verbindest, der den Einheimischen zugute kommt. Mehr Infos zu nachhaltigem Urlaub findest du hier: Sanfter Tourismus: 15 Reisetipps für nachhaltigen Urlaub
- Reflexion: Es ist wichtig, dass du dir deiner Rolle im globalen System bewusst bist und welche Konsequenzen deine Handlungen haben können. Deshalb ist eine Reflexion vor, während und nach deinem Voluntourismus-Aufenthalt enorm wichtig. Eine Hilfe bietet hier beispielsweise der gemeinnützige Verein Brückenwind, der als Austausch- und Informationsplattform für Freiwillige agiert und Voluntourismus kritisch hinterfragt. Für seriöse Organisationen ist die Reflexion ein Muss.
- Qualifikation: Du solltest nur Freiwilligenarbeit verrichten, für die du ausreichend befähigt bist. Es ist für niemanden sinnvoll, wenn du in einer Schule unterrichtest, ohne eine pädagogische Ausbildung absolviert zu haben. Hier schadest du den Kindern eher und behinderst die Arbeit der einheimischen Lehrkräfte. Orientiere dich also nicht daran, was möglicherweise gut in deinem Lebenslauf aussieht, sondern womit du wirklich helfen kannst. Du solltest übrigens in jedem Fall in der Lage sein, angemessen interkulturell zu kommunizieren. So vermeidest du Missverständnisse und kannst mit den Einheimischen auf Augenhöhe interagieren.
- Dauer: Ein seriöser Freiwilligeneinsatz geht nicht nur wenige Tage. Es braucht Zeit, bis du gut vorbereitet und eingearbeitet bist. Du solltest also am besten mehrere Monate Zeit mitbringen.
Und: Um Urlaub mit Freiwilligenarbeit zu verbinden, musst du nicht unbedingt in ein Land des Globalen Südens reisen. Möglich ist beispielsweise auch ein Voluntourismus-Aufenthalt im Naturpark Südschwarzwald. Auch in der Datenbank des Vereins Nationale Naturlandschaften findest du viele Angebote für Voluntourismus in Deutschland.
Übrigens: Ein weiterer problematischer Reise-Trend ist der sogenannte „Last Chance Tourism“. Lies mehr dazu in unserem Guide.
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