Das Siegel „Geprüfter Ökostrom“ von TÜV Nord CERT klingt dank TÜV-Renommee erst mal gut – aber was genau verspricht das Label mit seiner Zertifizierung eigentlich?
Das TÜV-NORD-Siegel „Geprüfter Ökostrom“ zählt zu den am weitesten verbreiteten Ökostrom-Zertifizierungen in Deutschland. Es wird von der TÜV NORD CERT GmbH vergeben und kennzeichnet Ökostromtarife, die zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien stammen – und darüber hinaus einen gewissen, aber konkreten Beitrag zur Energiewende leisten.
- Vergeben in: Deutschland
- Verbreitung: hoch
- utopia.de-Bewertung: bedingt empfehlenswert
TÜV Nord CERT „Geprüfter Ökostrom“: die Kriterien des Siegels
Das Siegel basiert auf dem Standard A75-S026-1 und erfüllt die Anforderungen der VdTÜV-Basisrichtlinie Ökostromprodukte.
Hier die wichtigsten Kriterien für A75-S026-1 im Überblick:
- Grundprinzip: 100 % erneuerbare Energien plus konkreter Beitrag zur Energiewende, zum Beispiel durch Strom aus Neuanlagen oder durch Investitionen in neue EE-Projekte.
Mehrwert von TÜV Nord CERT Geprüfter Ökostrom
- Mehrwert über Herkunftsnachweise: Für das Zertifikat „Geprüfter Ökostrom“ reicht der bloße Nachweis erneuerbarer Herkunft nicht aus. Anbieter müssen zusätzlich einen gewissen Beitrag zur Energiewende leisten – wahlweise über Investitionen oder über den Bezug aus jungen Erzeugungsanlagen.
- Investitionsverpflichtung: TÜV Nord CERT Geprüfter Ökostrom bietet hier die Wahl zwischen zwei Modellen: (A) Mindestens 33 % des Stroms stammen aus Anlagen, die zu Beginn des Bilanzzeitraums nicht älter als 6 Jahre sind oder in diesem Zeitraum modernisiert wurden (nur der modernisierte Anteil zählt), oder (B) Es fließt ein fester Förderbetrag von netto 0,25 ct/kWh in neue EE-Anlagen (für lastganggemessene Großkunden: 0,10 ct/kWh).
- Neuanlagenförderung: Beim Anlagenmodell liegt die Altersgrenze bei 6 Jahren. Alternativ erlaubt das Zertifikat die Förderung über zweckgebundene Investitionen. Die Mittel müssen direkt der Errichtung neuer regenerativer Stromerzeugungsysteme dienen, auch wenn Anlagen staatlich gefördert werden (z. B. EEG). Eine Doppelförderung ist dabei ausgeschlossen.
- 100 % erneuerbare Herkunft: Jede Kilowattstunde muss aus erneuerbaren Energien stammen. Strom aus fossilen Quellen oder Abwärme ist ausgeschlossen. Akzeptierte Quellen sind Wind-, Solar-, Wasser- und Biomasseenergie gemäß EEG. Es gibt volle Transparenz über Anlagenstandorte.
- Strenge Kopplung von Herkunftsnachweisen (HKN) an Stromherkunft: Nein, zwar müssen 100% des Ökostroms aus EE-Anlagen stammen, doch das kann auch über Herkunftsnachweise rechnerisch erreicht werden.
Beitrag zur Energiewende
- Mittlerer Beitrag zur Energiewende: Das TÜV-NORD-Zertifikat fordert von Stromanbietern einen Beitrag zum Ausbau erneuerbarer Energien – entweder durch den Bezug aus jungen Anlagen oder durch feste Investitionen in neue EE-Projekte. Der Beitrag von 0,25 ct/kWh fällt dabei geringer aus als zum Beispiel bei ok-power (0,3 ct/kWh) oder Grüner Strom Label (0,5 ct/kWh).
- Ausschlusskriterien: Explizite Ausschlussregeln für Beteiligungen an Atom- oder Kohlekraftwerken sind im TÜV-NORD-Standard nicht vorgesehen. Bei TÜV Nord CERT Geprüfter Ökostrom können also auch Anbieter mit Atom- und Kohle-Verstrickungen grundsätzlich zertifiziert werden, solange sie die übrigen Kriterien erfüllen. Vor allem hier liegt der Unterschied zu den empfehlenswerten Siegeln ok-power und Grüner Strom Label.
- Ökologische Mindeststandards…
- … bei Wasserkraft: keine.
- … bei Windkraft: keine.
- … bei Solarenergie: keine.
- … bei Biomasse: keine.
- Eine verpflichtende nachhaltige Unternehmenspolitik ist nicht Teil des Standards.
Sonstiges
- Alleinstellungsmerkmale, Verbraucherschutz, Besonderheiten: keine.
- Träger des Siegels: TÜV NORD CERT GmbH (Teil der TÜV NORD GROUP)
- Kriterienkatalog: hier
- Info: www.tuev-nord.de
Wichtig: Das hier aufgeführte gilt nicht für den veralteten, geringerwertigen Standard VdTÜV 1304.
Kontrollen bei TÜV Nord A75-S026-1
Die TÜV NORD CERT GmbH stellt die Einhaltung der Kriterien durch ein standardisiertes und unabhängiges Zertifizierungsverfahren sicher. Dieses umfasst zunächst eine Dokumentenprüfung zur Bewertung des Produkts und der Herkunftsnachweise. Danach folgt ein Audit vor Ort – inklusive Prüfung der Bilanzierungsverfahren und ggf. Besichtigung technischer Anlagen.
Die Zertifizierung wird jeweils für ein Jahr vergeben. Innerhalb einer dreijährigen Vertragslaufzeit müssen ein vollständiges Zertifizierungsaudit und zwei jährliche Überwachungsaudits durchgeführt werden. Bei Verlängerung des Vertrags folgt jährlich ein weiteres Überwachungsaudit.
Kritik am TÜV Nord Ökostrom-Siegel
Nachdem das anfangs eher zahnlose Siegel des TÜV Nord viel Kritik bekommen hatte, gab es ab 2011 neue Kriterien. Unter anderem musste nun ein Drittel des Stroms aus Neuanlagen stammen, womit es zumindest in diesem Punkt mit besseren Siegeln gleichzog. Das alte Ökostrom-Label „Freiwillige Zertifizierung gemäß VdTÜV Standard 1304“ wurde dabei vom neuen Standard „Zertifizierung gem. TN-Standard A75-S026-1“ abgelöst (wird aber wohl noch vergeben). Seit 2023 existiert auch ein neues Design. Noch ist stellenweise aber auch das alte Siegel und das alte Design zu sehen.
Kritik am TÜV Nord Ökostrom-Siegel:
- Die Anbieter von Stromtarifen, die mit dem Siegel TÜV Nord CERT „Geprüfter Ökostrom“ gelabelt sind, können auch bei A75-S026-1 weiterhin auch Anteile an Atom- und Kohlekraftwerke besitzen und erwerben. Das Problem ist dann: Kund:innen kaufen möglicherweise im guten Glauben einen Ökostrom-Tarif – finanzieren damit aber einen Atom-/Kohlestrom-Konzern. Das ist eine der großen Schwächen des Siegels, denn andere Siegel schließen das aus (siehe Alternativen) – hier könnte das TÜV Siegel deutlich strenger sein. Diese Schwäche ändert aber nichts daran, dass die Zertifizierung mit A75-S026-1 dennoch einen Mehrwert für die Energiewende bescheinigt – es ist also definitiv besser als keine Zertifizierung.
- Auch Anlagen für Ökostrom haben Auswirkungen auf die Natur. Empfehlenswerte Siegel legen deshalb auch Kriterien für den Umweltschutz fest. Das TÜV-Nord-Ökostrom-Label ist hier bei den Kriterien weitgehend blank.
- Die Kriterien sehen vor, dass der „Weg des im Rahmen des zertifizierten Stromproduktes bereitgestellten Stromes von der Erzeugungsanlage bis zum Endverbraucher … lückenlos, transparent und nachvollziehbar“ sein soll (bei HKNs: der Weg der Zertifikate) … aber leider nur dem TÜV gegenüber. Wünschenswert wäre, dass Endverbraucher:innen Einblicke in diesen Weg erhalten, doch hier sehen die Kriterien nur vor, dass „der Kunde … regelmäßig und korrekt über das zertifizierte Stromprodukt und dessen Merkmale unterrichtet“ wird.
TÜV Nord nach VdTÜV Standard 1304
Alles positiv gesagte bezieht sich auf A75-S026-1. Der alte VdTÜV Standard 1304 ist aber immer noch anzutreffen und wird offenbar noch vergeben. Doch 1304 bietet deutlich weniger strenge Anforderungen und galt daher zum Beispiel der Verbraucherzentrale Niedersachen als „Ökostrom-Label ohne zusätzlichen Umweltnutzen“. Der Qualitätsstandard treffe „weder Aussagen über die Höhe des Förderbetrags, noch gibt er konkrete Ausbauziele für Grünstrom-Anlagen vor“.
Alternativen zum Ökostrom-Siegel von TÜV Nord
Das TÜV-NORD-Siegel „Geprüfter Ökostrom“ gehört zu den bekanntesten Ökostrom-Zertifizierungen in Deutschland und bescheinigt Tarifen trotz berechtigter Kritik zumindest beim Standard A75-S026-1 einen Mehrwert zur Energiewende.
Wer ökologisch weitergehende Kriterien wünscht, findet in anderen Siegeln mögliche Alternativen:
- Das Grüner Strom Label, hinter dem mehrere Umweltverbände (u. a. BUND und NABU) stehen, und das auch das älteste Siegel ist, fordert eine physische Kopplung von Strom und Herkunftsnachweis, schließt Anbieter mit Atom- und Kohlebeteiligungen aus, fordert einen höheren Förderbeitrag und legt besonders hohe ökologische Maßstäbe an – etwa bei Wasserkraft, Solarenergie oder Biomasse.
- Das ok-power-Siegel, hinter dem unter anderem die Verbraucherzentrale NRW und das Freiburger Öko-Institut stehen, bietet ein flexibles, aber anspruchsvolles System mit klarer Investitionspflicht und Ausschlusskriterien für konventionelle Energie. Auch hier sind strengere Maßstäbe als beim TÜV NORD Standard üblich.
Diese beiden Siegel gelten als besonders empfehlenswert, wenn Verbraucher:innen sicherstellen wollen, dass ihr Ökostrombezug einen möglichst großen und nachvollziehbaren Beitrag zur Energiewende leistet.
Hat ein Stromanbieter gar kein Label oder eben nur TÜV Nord nach A75-S026-1, so ist er nicht zwangsläufig schlecht. Die Zertifizierung und das Siegel kosten viel Geld, das sich vor allem kleinere Anbieter lieber sparen. Deshalb raten wir zu unseren Utopia-Empfehlungen.
Ökostrom-Preisvergleich: Das sind die günstigsten unter den besten Ökostrom-Tarifen
Verbreitung des Ökostrom-Siegels
Das TÜV-NORD-Siegel „Geprüfter Ökostrom“ ist sehr weit verbreitet – deutlich weiter als die strengeren Siegel Grüner Strom und ok-power. Viele Stromanbieter setzen auf diese Zertifizierung, weil sie relativ leicht erreichbar ist und keine tiefgreifenden Ausschlusskriterien für Atom- oder Kohlebeteiligungen enthält und auch keinen ökologischen Mindeststandards fordert, die über gesetzliche Mindeststandards hinausgehen.
Die hohe Verbreitung (bei der noch die Verwirrung zwischen den Standards A75-S026-1 und 1304 hinzukommt) ist damit ein zweischneidiges Schwert: Einerseits sorgt sie für Sichtbarkeit im Massenmarkt – andererseits führt sie dazu, dass sich auch Anbieter mit fragwürdiger Nachhaltigkeitsambition auf TÜV Nord berufen können.
Utopia-Fazit: TÜV NORD
Das TÜV-NORD-Siegel „Geprüfter Ökostrom“ nach dem Standard A75-S026-1 steht für 100 % Strom aus erneuerbaren Energien und verlangt zusätzlich einen gewissen Beitrag zur Energiewende – etwa durch Investitionen oder den Bezug aus jungen Anlagen. Allerdings fehlen dem Siegel klare Ausschlusskriterien für Atom- oder Kohlebeteiligungen, so dass Du als Kund:in schnell mal an um-etikettierten Grau- und Braunstrom geraten kannst. Auch ökologische Mindestanforderungen an die regenerative Stromerzeugung bleiben hinter den Maßstäben anderer Labels zurück.
Unser Fazit: Das Siegel bringt sehr wohl einen gewissen Mehrwert für die Energiewende, doch Verbraucher:innen sollten genau hinsehen, ob der zertifizierte Tarif tatsächlich mit dem Standard A75-S026-1 zertifiziert wurde oder mit dem älteren 1304. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte zusätzlich auf die strengeren Siegel Grüner Strom oder ok-power achten.
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