Mit der Textilproduktion in Bangladesch verbinden wir meist Ausbeutung und schlechte Arbeitsbedingungen. Dabei übersehen wir, dass sich die Branche längst im Wandel befindet – sagt Mostafiz Uddin, der eine nachhaltige Textilfabrik in Bangladesch betreibt.
Mostafiz Uddin ist ein Pionier für mehr Nachhaltigkeit in der Modeindustrie in Bangladesch: Er setzt sich öffentlich dafür ein, dass die Branche ihre Zukunft nachhaltiger gestaltet – und dass Bangladesch nicht länger als Negativbeispiel für die Zustände in der Textilindustrie gilt.
Seine Mission: Er will durch wirtschaftliches Wachstum, nachhaltige Produktionsstandards und bessere Arbeitsbedingungen einen besseren Lebensstandard für die Menschen in seinem Heimatland erreichen.
Nachhaltige und erfolgreiche Produktion ist möglich
Dabei geht er selbst mit gutem Beispiel voran: Mit seinem eigenen Unternehmen Denim Experts Ltd., einer Jeans-Fabrik im Süden Bangladeschs, will er zeigen, dass es möglich ist, nachhaltig und fair zu arbeiten und dabei wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Wir haben mit Mostafiz Uddin gesprochen.
Utopia: Herr Uddin, Sie versuchen die Textilindustrie in Bangladesch zu verändern. Was ist ihre Motivation?
Ich tue das aus einem Gefühl von Verantwortung und moralischer Verpflichtung heraus. Meine Motivation ist, dass ich ein guter Mensch sein möchte.
Gerechte Löhne und Nachhaltigkeit sind nur Mindestanforderungen. Ich glaube, dass wir mehr tun müssen.
Bangladesch verbindet man bei uns nicht mit nachhaltiger Textilproduktion – im Gegenteil.
Das Bild, das die meisten Menschen von Bangladesch haben, macht mich traurig. Egal, ob die Menschen etwas mit der Textilbranche zu tun haben oder nicht, sie glauben zu wissen: Bangladesch bedeutet unethische Produktion.
Ich will den Leuten erzählen, wie es in Bangladesch wirklich aussieht. Wir sind dabei, viele Probleme zu überwinden. Nach Rana Plaza [Textilfabrik, bei deren Einsturz 2014 über 1.000 Menschen starben, Anm. d. Red.] wurden 4.000 Fabriken inspiziert, Fabrik für Fabrik. Wir haben zugelassen, dass die westliche Welt zu uns kommt und diese Fabriken überprüft, denn wir heißen den Wandel willkommen.
Ich will die Wahrnehmung der Leute ändern, ihnen klar machen: Es gibt da draußen gute Fabriken. Das ist meine Mission.
Sehen Sie das Rana-Plaza-Unglück als Weckruf für die Textilindustrie in Bangladesch?
Ja, das hat eine riesige Veränderung in der Branche angestoßen. Die meisten Fabriken sind dabei, sicher zu werden. Man kann das auf der ACCORD Website nachsehen [ACCORD = Accord on Fire and Building Safety in Bangladesch; Abkommen zwischen Modeunternehmen, Händlern und Gewerkschaften mit dem Ziel, Sicherheitsmängel in Bangladeschs Textilfabriken zu beheben. Anm. d. Red.] Also hat die Textilindustrie offensichtlich auf positive Art reagiert, sie hat sich verändert. Aber natürlich tut es mir sehr leid, dass es soweit kommen musste.
Ich frage mich: Warum nicht schon früher? Warum haben wir nicht schon vor diesem Unglück angefangen, Fabriken zu überprüfen, warum haben wir nicht schon früher damit aufgehört, die Probleme zu ignorieren? Ich glaube, beide Seiten müssen Verantwortung übernehmen, die Produzenten und die Modemarken.
Sie glauben, man müsste jetzt potenzielle Risiken identifizieren, bevor wieder etwas passiert.
Genau. Wir müssen uns jetzt auf die nächsten Herausforderungen vorbereiten. Wir müssen alle potenzielle Probleme identifizieren, ihnen die nötige Aufmerksamkeit schenken und dann versuchen, die Branche neu zu gestalten, um sie sicher, ethisch, ökologisch und grün zu machen.
Wir hatten in der Vergangenheit große Probleme. Als wir über Kinderarbeit und Überstunden gesprochen haben, hätten wir auch schon über Gebäudesicherheit sprechen müssen. Jetzt, wo wir über Gebäudesicherheit sprechen, sollten wir auch schon über die nächsten Herausforderungen sprechen. Nur dann kann die Branche sich anpassen und sich auch die nötige Hilfe suchen.
„Nachhaltigkeit ist die größte Herausforderung der Zukunft“
Was ist Ihrer Ansicht nach die nächste große Herausforderung für die Branche?
Ich bin nur ein Individuum mit einer kleinen Firma in einer Multimilliarden-Dollar-Branche. Aber wenn Sie mich fragen: Nachhaltigkeit ist die größte Herausforderung der Zukunft. Ich glaube, dass wir uns besser um unseren Planeten, um unsere Umwelt kümmern müssen.
Wenn sich die Textilindustrie in Bangladesch so verändert hat, wie Sie sagen – warum sagen dann Studien von NGOs wie z.B. der Clean Clothes Campaign immer wieder, dass sich seit Rana Plaza nicht genügend verbessert hat beim Thema Arbeitssicherheit?
Wenn sich die NGOs beschweren, dann geht es nicht um die zertifizierten Fabriken, die überprüft werden, um mit internationalen Einkäufern zu zusammen arbeiten zu dürfen. Die Probleme entstehen in den Nebenstraßen-Fabriken, das sind Sweatshops, die sind undokumentiert und sie werden von undokumentierten Einkäufern beauftragt.
Wir können nicht leugnen, dass es immer noch unsichere Fabriken gibt. Die Dinge ändern sich nicht so schnell. Aber es gibt große Fortschritte und die Menschen nehmen diese Veränderungen an.
Welche Rolle nehmen die großen Modemarken in der Textilindustrie in Bangladesch ein?
Die großen Unternehmen, Firmen wie Primark, Aldi, Lidl, stehen stark im Blickpunkt der Öffentlichkeit, sie sind im Moment sehr vorsichtig. Und sie bringen viele gute Dinge voran. Sowohl sie als auch wir Produzenten stehen unter Beobachtung. Aber dazwischen gibt es Händler, Agenten, Mittelmänner, viele Dritte, die überhaupt nicht im Fokus stehen. Und die sind noch nicht aufgewacht.
Die großen Marken dagegen, H&M, C&A, Zara usw., tun viel für die Branche, für Nachhaltigkeit, Arbeitsbedingungen, Gebäudesicherheit, Löhne. Ich gebe allerdings zu: Mit ihrer Preispolitik sind wir nicht glücklich. Das ist aber eine andere Geschichte.
Sie selbst produzieren für Zara und andere Fast-Fashion-Ketten. Deren Geschäftsmodell ist es, möglichst viel möglichst billig zu verkaufen und dabei möglichst viel Profit zu machen. Widerspricht das nicht Ihrem eigenen?
Jedes Unternehmen, egal wie groß, will qualitativ hochwertige Produkte. Die Frage ist nur, ob es bereit ist, dafür zu zahlen.
Bei einem Paar Jeans zum Beispiel kostet eine ökologischere Waschung etwa 50 Cent bis 1,50 Dollar mehr als eine unökologische Waschung. Nicht alle Unternehmen sind bereit, das zu zahlen. Der Widerspruch zwischen Fast-Fashion-Unternehmen und unserem Ethos liegt in der Preispolitik.
Aus der Perspektive des Kunden sieht man nur: Das ist ein ökologischer Stoff, eine gute Waschung, das ist umweltfreundlich, das ist gut. Aber als Produzent musst du auch in preislicher Hinsicht nachhaltig arbeiten. Der Preis für ihre Waren muss es den Produzenten ermöglichen, gute Produkte zu machen. Und wenn es in diesem Sinne nicht nachhaltig ist, wird er die ökologischeren Produkte nicht herstellen. Niemand will ein Verlustgeschäft machen.
Aber ist die Frage nicht auch, ob die Konsumenten am Schluss bereit sind, den Preis für ökologischere Produkte zu zahlen?
Ja, selbstverständlich. Die Konsumenten sind leider bisher kaum bereit, diesen Preis zu bezahlen. Sie gehen dann eher woanders hin, weil sie sich denken „Was hier 29 Euro kostet, bekomme ich da drüben für 20 Euro.“
„Der Konsument kann die Welt verändern“
Liegt also die Verantwortung beim Konsumenten?
Absolut. Nur beim Konsumenten. Der einzige, der die Welt verändern kann, ist der Konsument. Aber die Konsumenten müssen aufwachen. Sie wissen inzwischen Bescheid. Es fehlt aber noch der Schritt, dass sie sagen: Für ein gutes Produkt zahle ich etwas mehr. Und noch wichtiger: Ich wünsche mir, dass die Verbraucher einfach keine unnachhaltigen Produkte mehr kaufen wollen. Wenn die Menschen das erst einmal begriffen haben, dann wird sich das ganze Spiel ändern.
Haben die Verbraucher ausreichend Informationen, um diese Entscheidungen treffen zu können?
Die Frage ist, ob man die Wahrheit hören will. Man muss nur fragen. Die Produzenten sind bereit dazu. Wir als Vertreter Bangladeschs sind mehr als bereit, unseren Kunden jede Information zu geben, die sie wollen.
Aber Produzenten in Asien können nicht Verbraucher in Europa informieren. Das müssen die Modemarken tun. Sie müssen ihren Kunden sagen, von welchen Fabriken sie ihre Kleidung kaufen und so können die Kunden lernen.
Aber wir sollten jetzt noch nicht enttäuscht sein, das ist ein langsamer Prozess. Vor einer Weile waren Patagonia und Levi’s die einzigen Marken, die ihre Bezugsquellen offengelegt haben, aber jetzt kann man beobachten, dass andere Marken auch damit anfangen. H&M hat eine neue Marke herausgebracht, bei der alle Produzenten offengelegt werden. Mehr Transparenz wird kommen. Wir sind erst am Anfang.
Mal weg von H&M und Zara: Wo sehen Sie die Fair-Fashion-Marken derzeit? Diejenigen, die von Anfang an nur ethische Kleidung verkauft haben?
Sehr interessante Frage. Ich habe dieses Jahr bei der Berlin Fashion Week mit ein paar nachhaltigen Marken gesprochen und hatte den Eindruck, dass sie sich selbst fragen, wo eigentlich ihr Platz in der Branche ist.
Im Moment respektieren wir diese kleinen fairen Marken nicht genügend. Ich glaube, sie stehen zwei Problemen gegenüber: Sie haben keine hohen Gewinnmargen und gleichzeitig werden die „unfairen“ Marken vom Konsumenten belohnt. Das ist doppelt ungerecht.
Und wohin entwickeln sich diese Modemarken; werden sie an Einfluss gewinnen oder verlieren?
Vor zehn Jahren war ich völlig unbedeutend. Jetzt bin ich immer noch ein kleiner Produzent, bekomme aber mehr Aufmerksamkeit als die größten, weil ich öffentlich für meine Ideen einstehe.
Ich glaube, dass gute Arbeit sich auszahlt. Die Modeindustrie ist im Wandel und eines Tages werden sie die Spitzenreiter sein. Die, die jetzt die großen Player sind, werden das nicht mehr lange bleiben und dann werden die kleinen, ethischen Firmen zu Big Playern.
Irgendwann wird nachhaltiges Wirtschaften die einzige Art zu wirtschaften sein. Aber die Veränderungen werden nicht schnell kommen, wir müssen Geduld haben.
„Nachhaltig zu arbeiten wird die einzige Alternative sein.“
Sie können sich wirklich vorstellen, dass eines Tages die ganze Textilbranche nachhaltig arbeitet?
Das wird sie müssen. Es wird keine andere Alternative mehr geben als fair, nachhaltig, grün und ökologisch zu arbeiten. Genau darauf arbeite ich hin.
Ich will nur die Welt verändern, das ist alles. Ich will eine bessere Welt sehen, in der Menschen für ihre Arbeit Anerkennung erfahren. Ich will sehen, dass sich das Image von Bangladesch ändert. Das wird dauern, aber es wird kommen. Und ich werde nicht aufhören, daran zu arbeiten.
Haben Sie eine Botschaft an die europäischen Mode-Käufer?
Ich möchte ihnen gerne sagen: Ihr bekommt gute Bildung und viele Möglichkeiten, mehr als wir in den Entwicklungsländern. Ihr lebt in einem Industrieland und darum tragt ihr mehr Verantwortung als wir.
Ihr habt Technologien, die sozialen Medien, alle möglichen Wege, euch zu informieren. Wenn ihr alle nur anfangen würdet, ein bisschen darüber nachzudenken, wo eure Kleider herkommen, was ihr anzieht…
Fragt euch, ob ihr nachhaltige Kleidung tragt, ob ihr Kleider tragt, die unter sicheren Arbeitsbedingungen produziert wurden, für die die Arbeiter fair bezahlt werden – oder ob ihr nur dafür zahlt, dass irgendjemand anders reich wird und die Welt zerstört. Wenn ihr wollt, könnt ihr die Welt verändern. Das ist meine Botschaft an die Verbraucher in Europa. Sie können das wirklich tun, sie können die Modeindustrie verändern.
Faire Mode ist keine Nische mehr. Das will der nachhaltige Onlineshop Avocado Store am 29.09.2017 mit dem Green Fashion Day feiern. Auch ihr könnt mitmachen: Zieht dazu euer Lieblings-Eco-Fashion-Teil an – und posten ein Foto davon bei Facebook oder Instagram mit dem Hashtag #greenfashionday. Es gibt auch was zu gewinnen!
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