Laut einer Analyse der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) qualifiziert sich kaum ein Fonds für das geplante EU-Nachhaltigkeitslabel. Nicht mal ein Prozent der untersuchten Finanzprodukte erfüllt die Bedingungen.
Wer sein Geld nachhaltig anlegen will, muss entweder viel Zeit in die Recherche investieren oder mit halbgaren Kompromissen leben. Das zeigt nun auch eine Analyse der ESMA, die als nachhaltig bezeichnete Fonds darauf untersucht hat, ob sie die Voraussetzungen für das EU-Ecolabel erfüllen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Über 99 Prozent scheitern an den Vorgaben. Dabei wurden noch nicht mal alle Kriterien berücksichtigt.
Welche Fonds wurden untersucht?
Die ESMA hat über 3.000 ESG-Fonds untersucht. ESG steht für Environmental (Umweltschutz), Social (Soziales) und Governance (verantwortungsvolle Unternehmensführung). Die so bezeichneten Fonds sollten dementsprechend nur Aktien beinhalten, deren dazugehörige Unternehmen nachhaltig wirtschaften. In der Realität erfüllen sie diesen Anspruch aber nur selten.
ESG-Fonds fallen in zwei Kategorien: „hellgrüne“ Artikel-8-Fonds, die eine konkrete ESG-Strategie verfolgen und „dunkelgrüne“ Artikel-9-Fonds, die sich darüber hinaus auch einem erklärten ESG-bezogenen Anlageziel verpflichten. Insgesamt untersuchte die ESMA 2.612 „hellgrüne“ und 429 „dunkelgrüne“ Fonds.
Das EU-Siegel für nachhaltige Fonds
Das EU-Ecolabel, auch als EU-Umweltzeichen bekannt, gibt es bereits für viele unterschiedliche Produktkategorien, von Hygieneprodukten über Schreibwaren bis hin zu Bettmatratzen. Auch Finanzprodukte sollen in Zukunft ein solches Label bekommen, das den Verbraucher:innen auf den ersten Blick signalisiert, ob das Produkt nachhaltig ist oder nicht.
Ein solches einheitliches und vertrauenswürdiges Siegel für nachhaltige Fonds ist längst überfällig. Schließlich werben Banken und Fondsanbieter gerne mit nachhaltigen ESG-Produkten, die beim genauen Blick jedoch fragwürdige Investments beinhalten.
Das EU-Ecolabel soll diesen Missstand korrigieren. Anhand von sechs Kriterien werden Finanzprodukte analysiert. Nur wer alle erfüllt, bekommt das Umweltzeichen. So sieht es zumindest der aktuelle Entwurf vor, der in Zukunft aber noch überarbeitet werden könnte.
Die ESMA hat nur drei Kriterien angewandt und diese teilweise unvollständig. Bei den Kriterien 2 und 3 wurden insgesamt nur vier von insgesamt circa 20 Ausschlussgründen verwendet.
Als Gründe für die Unvollständigkeit der Analyse gibt ESMA an, dass einige der Kriterien nicht quantitativ messbar seien (also auf subjektiven Einschätzungen beruhen) und bei anderen die benötigten Daten aktuell noch nicht verfügbar seien. Folgende Kriterien wurden für die Analyse genutzt:
- Kriterium 1 (Investition in nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten): 50 Prozent der Umsätze der im Fonds enthaltenen Unternehmen müssen aus wirtschaftlichen Aktivitäten stammen, die gemäß EU-Taxonomie als nachhaltig deklariert sind. Dabei werden Unternehmen gemäß ihrem Anteil im Portfolio gewichtet.
- Einzelaspekte von Kriterium 2 (Ausschluss basierend auf Umweltaspekten): Es dürfen keine Investitionen in Unternehmen getätigt werden, die mehr als fünf Prozent ihres Umsatzes durch fossile Energieträger oder Pestizide generieren.
- Einzelaspekte von Kriterium 3 (Ausschluss basierend auf sozialen Aspekten und Aspekten der Unternehmensführung): Es dürfen keine Investitionen in Unternehmen getätigt werden, die Geld mit kontroversen Waffen oder Tabakprodukten verdienen.
Nur 0,3 Prozent der Fonds sind nachhaltig genug
Allein schon Kriterium 1 disqualifiziert über 99 Prozent der untersuchten nachhaltig-orientierten Fonds für das EU-Ecolabel. Nur 26 Fonds konnten einen Wert von über 50 Prozent Nachhaltigkeit vorweisen. Von diesen 26 wurden weitere 10 durch die Kriterien 2 und 3 aussortiert. Am Ende waren sogar nur noch 16 Fonds übrig. Das sind gerade mal 0,5 Prozent der untersuchten Fonds, also etwa einer von 200.
Nur dieser kleine Anteil hätte nach den aktuellen Entwürfen für das EU-Ecolabel überhaupt die Chance, ein solches Umweltzeichen zu erhalten. Dabei wurden von insgesamt sechs Kriterien gerade einmal drei teilweise angewandt, weshalb das Ergebnis in der Realität sogar noch schlimmer ausfallen könnte.
Das Resultat klingt erstmal vernichtend. Allerdings stellt die ESMA auch klar, dass die EU-Taxonomie noch nicht vollständig ausgearbeitet sei. Zum Zeitpunkt der Analyse war nur die Beurteilung in Sachen Klimawandel abgeschlossen. Weitere Nachhaltigkeitsziele müssen noch berücksichtigt werden und könnten dafür sorgen, dass noch andere wirtschaftliche Aktivitäten als nachhaltig eingestuft werden. Außerdem sind auch die Kriterien für das EU-Ecolabel noch nicht final, wie auch die kontroversen Geschäftsfelder Atomkraft und Erdgas zeigen.
Sind Atomenergie und Erdgas EU-Ecolabel-konform?
Die EU-Taxonomie, die als Grundlage für Kriterium 1 des Ecolabels dient, wird von Umweltschützer:innen kritisiert. Denn seit dem 1. Januar 2023 gelten auch Atomenergie und Erdgas unter gewissen Voraussetzungen als nachhaltig. Die Analyse der ESMA fand jedoch statt, als die beiden umstrittenen Branchen noch als nicht nachhaltig galten, Kriterium 1 ist seitdem also lockerer geworden.
Im aktuellen Ecolabel-Entwurf gehören Atomenergie und Erdgas allerdings auch zu den Ausschlussgründen von Kriterium 2. Darauf hat die EU-Taxonomie aktuell noch keinen Einfluss. Allerdings kann es sein, dass die Ausschlusskriterien später doch noch an die neue Bewertung von Atomkraft und Erdgas angepasst werden. Denn welche Kriterien tatsächlich über den Erhalt des EU-Siegels entscheiden, ist noch nicht endgültig geklärt.
Wie uns die EU-Ecolabel-Koordinatorin Silvia Ferratini bestätigte, wird das auch noch eine Weile dauern. „Das Regulierungskomitee, bestehend aus den Mitgliedsstaaten [der EU], wird nicht vor 2024 über die Kriterien abstimmen.“
Bis es so weit ist, helfen andere Indikatoren bei der Beurteilung von Aktienfonds auf deren Nachhaltigkeit, etwa das FNG-Siegel oder die Fondsdatenbank Cleanvest, mit deren Suchfunktion sich gezielt die gewünschten Fonds auf Nachhaltigkeitskriterien untersuchen lassen.
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