Viele Medien feierten Aldi für einen revolutionären Schritt beim Fleisch. Beim Bauernverband sorgte dieser jedoch für Ärger.
„Aldi-Hammer“, „Fleischrevolution“, „höchstes Tierwohl“ – Deutschlands Medien zeigten sich entzückt über Aldis Ankündigung im Juni 2021. Aber was hatte der Discounter eigentlich bekundet? Aldi hat angekündigt, sein Frischfleisch-Sortiment bis 2030 auf Produkte mit Tierwohl-Haltungsformen 3 und 4 umzustellen. Fleisch der Haltungsformen 1 und 2 will der Discounter dann nicht mehr verkaufen. Die Änderungen gelten für Frischfleisch von Rind, Schwein, Hähnchen und Pute. Spezialitäten und Tiefkühlartikel sind ausgenommen.
Aktuell macht Aldi laut eigenen Angaben 15 Prozent des Frischfleisch-Umsatzes in Deutschland mit Produkten der Haltungsformen 3 und 4, bis 2026 soll der Anteil auf 33 Prozent steigen. Dafür will der Discounter schon bis 2025 Produkte der Haltungsform 1 aus dem Sortiment verbannen. Bis 2030 folgen dann Produkte der Haltungsform 2. Bayerische Landwirt:innen sind über diese Entscheidung verärgert und wenden sich an Aldi Süd.
Offener Brief an Aldi: Bayerischer Bauernverband ist sauer
Dadurch dass Haltungsformen mit laxeren Tierwohl-Standards nach und nach bei Aldi nicht mehr akzeptiert werden, steigen die Anforderungen und Produktionskosten bei Tierhalter:innen und Lieferant:innen. Der Bayerische Bauernverband wirft Aldi vor, seine Machtposition zu missbrauchen, und spricht von „aggressiven Niedrigpreisstrategien, auch für Tierwohl-Fleisch“.
Die Forderung des BBV lautet in dessen Pressemitteilung: „Ernsthaft und gemeinsam mit den Bauern Tierwohl voranbringen. Und das heißt: Bereitschaft für angemessene Honorierung von Tierwohl, Berücksichtigung der besonderen Situation kleinerer Betriebe sowie Einbeziehung aller Marktsegmente in Tierwohlprogramme, aber dafür schrittweise Entwicklungen und mehr Nebeneinander der verschiedenen Haltungsformstufen.“
Vor allem kleinere Betriebe sieht der BBV von der Anpassung der Haltungsformen im Aldi-Sortiment bedroht. In einem offenen Brief an die Geschäftsleitung von Aldi Süd sprechen die Vertreter:innen des BBV von einem „Schlag ins Gesicht (…) insbesondere der kleineren bäuerlichen Betriebe“. Gleichzeitig werfen sie Aldi vor, zwar bei Milchprodukten und Fleisch auf Tierwohl zu achten, jedoch bei „Tiefkühlprodukten oder Verarbeitungsware und natürlich bei Importprodukten weiterhin alle Freiheiten zu haben“.
Dafür stehen die Haltungsformen
Bei Haltungsstufen handelt es sich um Label für Fleischprodukte, die Discounter eingeführt haben. Sie sollen für Verbraucher:innen kenntlich machen, unter welchen Bedingungen die Tiere gelebt haben.
Die Formen 1 und 2, welche Aldi einschränken will, haben sehr laxe Kriterien:
- Stufe 1 oder „Stallhaltung“ entspricht dem gesetzlichen Mindeststandard, noch schlechter wäre verboten. Ein Beispiel: Ein Schwein erhält nur 0,75 Quadratmeter Platz.
- Bei Stufe 2 oder „StallhaltungPlus“ haben die Tiere etwas mehr Platz im Stall, aber nicht viel. Hier sind es pro Schwein 0,83 Quadratmeter. Rinder dürfen nicht angebunden sein, Hähnchen und Puten bekommen Stroh.
Die Formen 3 und 4 sind strenger, was Tierwohlstandards angeht:
- Stufe 3 oder „Außenklima“ bedeutet, dass die Tiere vor der Schlachtung frische Luft bekamen, aber nicht zwingend, dass sie auch ins Freie durften. Außenklima kann auch eine offene Stalltür bedeuten. Ein Schwein erhält immerhin einen Quadratmeter Platz.
- Stufe 4 oder „Premium“ steht für noch mehr Platz im Stall (mindestens 1,5 Quadratmeter pro Tier) und dafür, dass die Tiere tatsächlich Auslauf im Freigelände erhalten. In diese Kategorie werden auch Bio-Produkte eingeordnet.
Mehr Informationen: Neues „Tierwohl-Label“ der Discounter: mehr als Augenwischerei?
Auch andere Supermärkte wollen Sortiment umstellen
Aldi ist der erste Lebensmittelhändler, der einen konkreten Plan vorgestellt hat, um Fleisch der Haltungsformen 1 und 2 weitgehend zu verbannen. Änderungen angekündigt haben andere Ketten aber auch.
Die Rewe-Group, welche die Marken Rewe und Penny umfasst, will bis Ende 2030 das Frischfleisch der Eigenmarken ausschließlich aus Haltungsform 2 oder höher beziehen. Geflügelfleisch gibt es schon jetzt nicht mehr in Haltungsform 1 zu kaufen.
Lidl will ebenfalls Fleisch der Haltungsform 1 aus dem Sortiment verbannen, bei Schweinefleischprodukten bis 2022. Bei Frischgeflügel soll sich der Anteil an Produkten mit Haltungsform 3 und 4 in den nächsten zwei Jahren verdoppeln.
Kaufland hat Mitte 2021 angekündigt, ab diesem Zeitpunkt kein frisches Schweinefleisch der Haltungsform 1 mehr anzubieten. Auf Innereien und Fett vom Schwein trifft diese Änderung nicht zu. Zudem will Kaufland den Anteil an Schweine- und Geflügelfleisch der Stufen 3 und 4 ausbauen. Geflügelfleisch der Haltungsform 1 führt die Kette schon länger nicht mehr im Sortiment.
Edeka strich bereits letztes Jahr die Haltungsform 1 aus dem Sortiment – als Reaktion auf die „Kotzwurst“.
Utopia meint: Ein wichtiger Schritt, aber noch nicht das Ziel
Fleisch der Haltungsform 1 und 2 hat mit Tierwohl nichts zu tun. Dass Aldi nun den ersten Schritt geht und es zumindest weitgehend aus dem Sortiment verbannt, ist mehr, als andere Supermarktketten derzeit leisten.
Es sollte aber keinesfalls bei diesem einen Schritt bleiben. Denn in Fertigprodukten, Tiefkühlartikeln und in allen anderen Supermärkten und Discountern wird auch dieses Fleisch weiterverkauft. Außerdem bedeutet auch die Haltungsform 3 nicht, dass Tiere ein schönes Leben hatten – oder auch nur ins Freie durften. Die Umsetzung bis 2025 beziehungsweise 2030 scheint lang – früher wäre uns lieber. Allerdings haben Landwirt:innen so zumindest die Chance, ihre Ställe umzubauen und Aldi weiter zu beliefern.
Für die Tiere sollte eine Umstellung auf bessere Haltungsbedingungen so schnell wie möglich kommen, wir verstehen aber auch, dass der Umbau der Ställe Zeit braucht. Wie überraschend dieser Richtungswechsel für die Landwirt:innen und den Bauernverband kommt, können wir nicht beurteilen. An dieser Stelle ist aber sicherlich auch die Politik gefragt, deren Agrarsubventionen seit Jahren die Entwicklung zu „immer größer“ und „immer billiger“ förderten. Stattdessen wäre hilfreich (zumindest ab jetzt), Stallumbauten hin zu mehr Tierwohl attraktiver zu machen.
Jetzt darf es natürlich nicht so werden, dass Fleisch der Haltungsformen 3 und 4 zu den Billigpreisen der Stufen 1 und 2 angeboten wird. Und es ist gut, dass Lebensmittelhändler langsam erkennen, dass sich auch mit höheren Tierschutzstandards Geld verdienen lässt – und sich ihre Kund:innen dies sogar wünschen. Hier sind einige schneller als die Politik, die mit einem Gesetz einheitliche Verbesserungen schaffen könnte.
Tipp: Um die Umwelt zu entlasten und dich für Tierwohl einzusetzen raten wir von Utopia: Iss Fleisch wenn überhaupt nur in Maßen – und dann in Bio-Qualität. Lies dazu: Weniger Fleisch essen: Die 5 besten Tipps aus unserer Community und Bio-Siegel: Was haben die Tiere davon?
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