Schwarze Menschen diskriminieren – das machen doch nur Rassist:innen oder Rechtsextreme? Nicht ganz: Viele Schwarze in Deutschland erleben tagtäglich Rassismus, oft hinter Komplimenten versteckt. Und deshalb ist es auch im Jahr 2023 noch nötig, einen internationalen #TaggegenRassismus zu haben.
Es ist kurz vor 19 Uhr, Tina Monkonjay Garway hat einen langen Arbeitstag hinter sich und will nur noch nach Hause. Die U-Bahn ist voll, aber sie findet noch einen Sitzplatz neben einer älteren Frau. Es dauert nicht lange und die Dame fängt ein Gespräch an. Sie erzählt von ihrem letzten Afrika-Urlaub – in Kenia war sie. So schön ist es da. Und die Natur! Garway nickt, lächelt und antwortet höflich, eigentlich will sie ihre Ruhe.
Plötzlich greift die Dame mit ihrer linken Hand in Garways Haare. „Zack“ sagt Garway und ahmt die Handbewegung nach, als sie davon erzählt. Sie hat es nicht kommen sehen. „Oh das fühlt sich aber schön an, so weich!“ sagt die Fremde. „Wie ein Schaf!“. Sie ist ganz entzückt. Garway lächelt wieder, versucht sich nicht ansehen zu lassen, was in diesem Moment in ihr vorgeht.
In ihrem Inneren rasen die Gedanken: „Was hat diese Frau davor alles angefasst? Hat sie sich die Hände gewaschen, nachdem sie auf dem Klo war? Hat sie sich nicht vorhin erst die Nase geputzt?“ Garway ekelt sich – sagt aber nichts.
Eigentlich kennt sie diese Situation ja auch schon zur Genüge. Immer wieder greifen ihr fremde Menschen ins Haar. Denn Tina Garway ist Schwarz, ihre naturkrausen Haare trägt sie zurzeit in dünnen Zöpfen in einem Pferdeschwanz. Schwarze Frauen in Deutschland teilen diese unangenehme Erfahrung. Es passiert in der U-Bahn, am Arbeitsplatz, in der Disko oder im Freundeskreis. Der aufdringliche Griff in die Haare ist nur eine von vielen Formen von Alltagsrassismus, dem viele Schwarze regelmäßig ausgesetzt sind.
Wann kann man von Rassismus sprechen?
Aber wieso ist das Rassismus? Die Frau hat Garway doch ein Kompliment gemacht?
„Weil jemand in deine Privatsphäre und irgendwie auch in dich als Person hineingreift, ohne um Erlaubnis zu bitten“, erklärt Garway. „Das ist meine Privatsphäre, das ist mein Körper. Ich darf entscheiden, wer mich anfasst und wer nicht. Das ist das Problem: Sie denken, dass sie aus ihrer Neugierde heraus alles machen dürfen, mit dem, was fremd aussieht.“ Einem weißen Menschen passiert das nicht – oder zumindest nicht so regelmäßig, wie Garway und anderen Schwarzen Personen.
Was Rassismus genau ist, darüber streitet die Wissenschaft. Es gibt eine Vielzahl an Definitionen – der Duden definiert den Begriff als eine „Theorie, nach der Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen mit bestimmten biologischen Merkmalen hinsichtlich ihrer kulturellen Leistungsfähigkeit anderen von Natur aus über- bzw. unterlegen sein sollen.“
Das bedeutet: Rassismus ist eine Form der Fremdenfeindlichkeit, bei der Menschen etwa aufgrund ihrer Hautfarbe anders behandelt werden. Wenn man fremden weißen Frauen auf keinen Fall einfach so in die Haare greifen würde, bei Schwarzen Frauen aber keine Hemmungen hat, kann man also von Rassismus sprechen – selbst wenn gar keine böse Absicht dahintersteckt.
Nett gemeinte Komplimente
Viele Rassismen, die Schwarze in ihrem Alltag erleben, sind in Komplimente verpackt. Für Yolanda Bisrat (Name geändert) war das vor allem in der Schulzeit schwierig. Die 23-jährige Studentin ist in München geboren und aufgewachsen, ihre Eltern kommen aus Eritrea. Als sie als Teenager mit einer Freundin shoppen war, sagte diese: „Ich weiß gar nicht was du hast. Du bist so hübsch, trotz deiner Hautfarbe.“
Oder einmal, als eine neue Bekanntschaft meinte: „Du bist die erste Schwarze, die ich kenne, die nicht stinkt.“ In solchen Momenten ist Bisrat einfach nur perplex. Sie weiß nicht, wie sie reagieren soll, in der Regel ignoriert sie die Kommentare oder lacht darüber. Aber es fühlt sich nicht gut an. „Man hat schon eine dicke Haut, aber es belastet trotzdem.“ Ihre Mutter sagt, sie solle solche Sprüche nicht so ernst nehmen.
Manchmal wird der Ton aber auch härter: „Nicht arbeiten gehen, aber ein Handy haben“, hat ein älterer Mann der Studentin einmal am Münchner Hauptbahnhof zugerufen. Vor allem abends geht Bisrat ungern allein aus dem Haus. Auch Garway vermeidet es, spätnachts ohne Begleitung unterwegs zu sein: „Wenn ich nach draußen gehe, verliere ich meinen akademischen Grad. Weil da bin ich dann die Schwarze, die ein Flüchtling sein könnte oder arm. Ich kann nicht befreit laufen, weil oft Fragen oder Kommentare kommen, auf die ich einfach nicht antworten möchte.“
Gewalt und fremdenfeindlich motivierte Straftaten
Nicht immer bleibt es nur bei unangebrachten Kommentaren. Im Jahr 2020 verzeichnete die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus 938 „fremdenfeindlich politisch motivierte Straftaten“. 2021 waren 670 fremdenfeindlich motiviert. Bundesweit waren es laut Kriminalstatistik 2020 9.420 fremdenfeindlich motivierte Delikte, 2021 9.236. Die Dunkelziffer liegt noch höher. Fremdenfeindliche Gewalt betrifft dabei nicht nur Schwarze, sondern auch andere People of Color (PoC). Zu diesen zählen zum Beispiel auch Menschen afrikanischer, asiatischer, lateinamerikanischer, arabischer oder indigener Abstammung oder Herkunft – also alle, die von der Mehrheitsgesellschaft als nicht-weiß angesehen werden.
Wie viele der Opfer in den offiziellen Statistiken Schwarze waren, ist unbekannt. Die Behörden erheben lediglich die Nationalitäten, nicht aber die Hautfarbe der Opfer, erklärt eine Sprecherin des Bundeskriminalamts. Dabei wäre es wichtig, konkrete Zahlen zu haben, findet Tahir Della. Er ist im Vorstand der Initiative „Schwarze Menschen in Deutschland“ (ISD) aus Berlin. „Wir müssen wissen, wann eine Straftat rassistisch motiviert ist. Nur so wird der Rassismus auch nachweisbar.“ Bislang gibt es nur wenige Daten über die Lage Schwarzer Menschen in Deutschland, sie bleiben als Minderheit unsichtbar.
Rassismus und Diskriminierung in vielen Bereichen
Aber wie könnte eine statistische Erfassung Schwarzer Menschen und Opfer von Straftaten aussehen? Wann gilt jemand überhaupt als „Schwarz“ – und wann als „weiß“? Della und die ISD plädieren für ein System mit Eigenpositionierung. Denn Schwarz sei, wer sich als Schwarz identifiziere. Die Behörden könnten also verschiedene Kategorien anbieten, anhand derer Menschen sich selbst einordnen – so der Vorschlag der Initiative.
Prinzipiell kritisiert Della, dass Rassismus nicht ernst genug genommen wird: Das Problem sei nicht bloß der Alltagsrassismus und die vermeintlich unbedachten oder „harmlosen“ Kommentare, sondern auch der institutionelle Rassismus: Ob bei der Wohnungs- oder Jobsuche, in der Schule oder Universität, im Gesundheitswesen, vor Gericht oder bei Polizeikontrollen – in all diesen Bereichen werden Schwarze Menschen benachteiligt und diskriminiert.
Dass Rassismus dabei oft unbewusst oder unbeabsichtigt geschieht, befreie nicht von der Verantwortung, meint Della. „Es ist, wie wenn du jemandem auf den Fuß steigst. Es war keine Absicht, aber es tut trotzdem weh. Du sagst nicht: Das war unbewusst, also ist es nicht so schlimm. Sondern du entschuldigst dich und schaust, dass du ihm nicht nochmal auf den Fuß trittst.“
Hinweis: Dieser Text wurde 2018 erstveröffentlicht.
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