Wenn es um die eigene Zahngesundheit geht, rückt das Thema Nachhaltigkeit oft in den Hintergrund. Dass sich beides nicht ausschließen muss und nachhaltige Methoden oft auch die besten für die Gesundheit sind, erklärt uns Zahnarzt Hannes Schulte-Ostermann.
Das Umweltbewusstsein in Deutschland ist in den letzten Jahren enorm gewachsen. Doch beim Besuch eines Zahnarzts oder einer Zahnärztin denken wohl die wenigsten daran, wie nachhaltig deren Behandlungsmethoden sind. Die eigene Gesundheit geht schließlich vor. Dennoch bezeichnen sich nun auch immer mehr Zahnärzt:innen als nachhaltig oder grün. Einer von Ihnen ist Hannes Schulte-Ostermann, der seine noch junge Praxis „Mundpropaganda“ 2020 im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg gründete und dabei von Anfang an das Thema Nachhaltigkeit in den Fokus rückte.
Im Interview mit Utopia erklärt der Zahnmediziner, warum Nachhaltigkeit und Gesundheit sich nicht widersprechen müssen und mit welchen Maßnahmen Zahnarztpraxen die Umwelt schonen können, aber auch in welchen Bereichen es noch Handlungsbedarf gibt.
Interview mit dem Zahnarzt Hannes Schulte-Ostermann
Utopia: Was hat Nachhaltigkeit mit Zahnmedizin zu tun?
Hannes Schulte-Ostermann: Als Arzt oder Zahnarzt ist man in meinen Augen nicht nur für die Gesundheit des Menschen zuständig, sondern auch für die Umwelt. Ein gesunder Mensch kann nur gedeihen, wenn er auch eine gesunde Natur hat. Das ist in der Vergangenheit manchen Ärzten nicht so bewusst gewesen, aber heute schon. Insofern ist es naheliegend, dass der Nachhaltigkeitsaspekt gerade auch in der Medizin stärker wird. In den letzten drei Jahren, seit wir dieses Nachhaltigkeitskonzept fahren, kann ich beobachten, dass viele Kollegen „auf den Zug aufspringen“. Was von uns aber auch gewünscht ist.
Wie kam denn bei Ihnen der Gedanke auf, eine nachhaltige Zahnarztpraxis zu gründen?
Ich war lange angestellt und stand vor der Situation, dass ich mich selbstständig machen wollte. Ich habe aber diesen ökologischen Fußabdruck gesehen, den man als Zahnarztpraxis hat. Mir war klar, dass ich viele Ressourcen für die Praxis bestellen und verbrauchen würde. Da habe ich mir überlegt, was denn tatsächlich an Müll und Wertstoffen anfällt, was ich eventuell aber auch wiederverwerten oder sparen kann.
Was machen Sie in Ihrer Praxis nachhaltiger als konventionelle Zahnarztpraxen?
Ich schaue nicht darauf, was bei anderen Kollegen nicht nachhaltig ist, auch wenn mir da viele Beispiele einfallen wie Einwegplastik oder die Chemikalien, die beim analogen Röntgen benutzt werden, oder die Abdruckmassen, die man wegschmeißt. Ich lege eher den Fokus darauf: Wo hab ich in der Zahnarztpraxis die Möglichkeit, etwas nachhaltig zu gestalten? Das Gute dabei: Nachhaltigkeit ist auch oft günstiger.
Ich habe zum Beispiel vor Kurzem ein Telefonat mit einem Kollegen geführt, der seine Praxis schließt. Der braucht das ganze Instrumentarium nicht mehr und wollte alles einfach wegschmeißen. Wir bekommen jetzt Sonden, Spiegel und so weiter von ihm geschenkt. Bevor er das auf den Schrott bringt, geben wir den Sachen wieder einen Wert. Das spart natürlich auch Geld.
Nachhaltige Behandlungen lohnen sich
Spielt Nachhaltigkeit auch in der Patientenbehandlung selbst eine Rolle?
Wir haben hier keine super-außergewöhnlichen Behandlungsmethoden, die es woanders nicht gibt, legen dafür aber einen sehr großen Fokus auf Prophylaxe, also auf Vorbeugung und auf hochwertige Behandlungsmethoden. Wenn ich einem Patienten initial etwas teurer behandle, etwa mit einem Keramikinlay, dann hält das 15 oder 20 Jahre, vielleicht sogar ein Leben lang. Das ist viel nachhaltiger als eine Kunststoff- oder Amalgamfüllung, die eventuell nur vier bis sechs Jahre hält – oder eine Amalgamfüllung, die durch den Quecksilbergehalt ein Umwelt- und Gesundheitssrisiko ist.
Prävention ist also nachhaltig und gesund. Doch wie sieht es finanziell aus? Lohnt sich die nachhaltigere Behandlung auf lange Sicht betrachtet?
Auf jeden Fall! Eine Kunststofffüllung ist vergleichsweise fix gemacht, begünstigt aber auch schneller eine neue Kariesentstehung darunter. Passiert das in Nervnähe, dann braucht der Patient vielleicht eine Wurzelbehandlung und / oder gar ein Implantat, weil der Zahn verloren geht. Das kostet dann schnell mal 2500€ und mehr. Doch ein Zahnschaden, der gar nicht erst eintritt, ist am nachhaltigsten. Jede vermiedene Behandlung spart Ressourcen.
Müllvermeidung im Fokus
Welche nachhaltigen Maßnahmen gibt es – neben dem Fokus auf Prävention – noch in Ihrer Praxis?
Wir haben natürlich die Müllvermeidung, zum Beispiel verzichten wir auf Plastikbecher. Außerdem nutzen wir digitales Röntgen ohne umweltschädliche Röntgenentwicklungsflüssigkeit und vieles mehr. Wir haben ein Manifest auf unserer Internetseite, wo man das alles detailliert nachlesen kann. Mitarbeiter kriegen außerdem das Ticket für den öffentlichen Nahverkehr bezahlt, ein Jobrad subventioniert und einen zusätzlichen Urlaubstag, wenn sie im Jahr davor auf klimaschädliche Flugreisen verzichtet haben.
Gibt es bestimmte Aspekte, die in Ihrer Praxis noch nicht so nachhaltig sind, wie Sie es gerne hätten?
Ja, zum Beispiel die Handschuhe. Die sind aus dem Kunststoff Nitril und da werden ganz schön viele verbraucht bei uns. Doch man kann nicht komplett ohne sterile Handschuhe arbeiten, gerade wenn man Operationen durchführt, bei denen es auf 100-prozentige Keimfreiheit ankommt. Hier wünschen wir uns von den Herstellern der Handschuhe die Entwicklung eines nachhaltigen Produktes.
Was tun Sie sonst noch, um Müll in Ihrer Praxis zu vermeiden?
Bei den Kunststoffen arbeiten wir daran, dass wir die Verträge mit den Herstellern so gestalten, dass sie die Verpackungen zurücknehmen. Wir sagen: Bitte versucht uns Produkte zu liefern, die Pfand-Verpackungen oder zumindest gut recyclebaren Verpackungen haben. Unser Prophylaxe-Pulver bekommen wir zum Beispiel in sehr schönen Metallflaschen geliefert, die man gut zu Trinkflaschen upcyclen kann. Wir verschenken sie häufig an Patient:innen – oder sie gehen an den Hersteller zurück, der sie daraufhin wiederverwendet.
Nachhaltige Zahnputztipps
Haben Sie Tipps, wie man selbst bei sich zu Hause möglichst nachhaltig seine Zähne pflegt?
Das Ganze bewusst machen, es ordentlich und gründlich machen. Ganz klar mit einer elektrischen Zahnbürste, weil sie einfach besser putzt. Zahnzwischenraumbürsten verwenden, am besten aus Naturkunststoff. Da kann man eine zwei bis vier Wochen verwenden. Oder Zahnseide, die gibt’s auch in nachhaltig. Wir haben eine, die ist vegan, plastikfrei und wird in einem Glas und nicht in einer Kunststoffverpackung geliefert. Es gibt auch schöne nachhaltige Zahnputztabletten. Außerdem sollte man wenig Süßigkeiten essen, und wenn doch, dann auf lieber auf einmal als über den Tag verteilt.
Tipps für nachhaltigere Zahnpflege findest du auch hier in unserem Beitrag:
Was in Zukunft noch besser werden muss
Was muss geschehen, damit ihre Praxis oder die Zahnmedizin allgemein in Zukunft noch nachhaltiger werden?
Am wichtigsten wäre, dass die Lieferanten anfangen, sich umzustellen. Dass sie die Verpackungen nachhaltiger produzieren. Außerdem sollte der Fokus mehr auf Prophylaxe liegen. Skandinavien ist Vorreiter in diesem Bereich, in USA wird auch deutlich mehr gemacht, Deutschland ist in dem Bereich noch in der Entwicklung.
Wir haben vor Kurzem einen alten Feuerwehrwagen aus den 80er-Jahren gekauft und werden den zu einem Prophylaxe-Mobil umbauen, um das Thema mehr ins Bewusstsein zu bringen und zugänglicher zu machen. Das Mobil werden wir dann auch vermieten und anderen Praxen auf dem Land zur Verfügung stellen – und wir werden damit ein fahrendes zahnärztliches Hilfsprojekt gründen, um beispielsweise in der Ukraine zu helfen. Das hat mit Nachhaltigkeit vielleicht nur indirekt etwas zu tun, aber das ist trotzdem etwas, wo wir helfen wollen.
Bitte lies unseren Hinweis zu Gesundheitsthemen.
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