Ausgangssbeschränkungen und Kontaktverbot: Wegen der Corona-Krise leben wir seit mehreren Wochen im Ausnahmezustand. Aber wie lange soll das so weitergehen? Die Chemikerin Dr. Mai Thi Nguyen-Kim warnt vor einer zu schnellen Lockerung der Maßnahmen.
Es ist noch nicht an der Zeit, zu unserem alltäglichen Leben zurückzukehren, sagt die promovierte Chemikerin und Youtuberin Mai Thi Nguyen-Kim in einem Kommentar in der Tagesschau. Denn: „Wir sind erst am Anfang einer langen Epidemie“.
In den vergangenen Tagen wurden verschiedene Wege diskutiert, mit denen sich die Krise schneller beenden lassen soll – etwa durch die bewusste Herbeiführung von „Herdenimmunität“. In der Tagesschau erklärt Nguyen-Kim, warum diese Ideen nicht umsetzbar oder sogar fahrlässig sind.
Nguyen-Kim: Herdenimmunität bedeutet 50 Millionen Corona-Infizierte
Der Grundgedanke der Herdenimmunität: Wenn sich ein großer Teil der Bevölkerung mit dem Virus infiziert, sind viele Menschen immun dagegen. Dadurch verbreitet sich das Virus nicht mehr so schnell wie aktuell, wodurch auch nicht-immune Menschen besser geschützt wären.
Nguyen-Kim sagt dazu: „Für eine natürliche Herdenimmunität müssten sich in Deutschland grob 50 Millionen Menschen infizieren. Wenn darüber unser Gesundheitssystem nicht zusammenbrechen soll, ginge das nur mit starken Einschränkungen über einen Zeitraum von etwa einem Jahr. Undenkbar.“
Hier das Video von Nguyen-Kim auf Twitter oder bei der Tagesschau:
Nur die Risikogruppen isolieren?
Ein anderer Vorschlag, der in der Öffentlichkeit diskutiert wird: Das Virus ist vor allem für alte Menschen und Personen mit Vorerkrankungen riskant. Wenn die Ausgangsbeschränkungen nur noch für die Risikogruppen gelten würden, könnte der Rest der Bevölkerung wieder in einem normalen Alltag leben – und „kontrolliert Herdenimmunität aufbauen“.
Aber auch davon hält Nguyen-Kim nichts: „Diese Idee ist nicht nur unsolidarisch, sondern grob fahrlässig. In der Praxis kann man Risikogruppen nicht zu 100 Prozent schützen. Und jeder Kontakt zu einer Gesellschaft, die gerade dabei ist, sich beherzt durchzuinfizieren, wäre nur umso gefährlicher.“
„Nicht durch Scheinlösungen ablenken lassen“
Der einzige Weg aus der Pandemie ist daher: „Wir müssen fokussiert bleiben, und die Infektionszahlen so weit senken, dass wir Infektionsketten wieder ordentlich nachvollziehen können. […] Erst dann können wir Maßnahmen so gezielt lockern, dass wir damit alle gut durchhalten können, bis ein Impfstoff kommt.“ Wir dürfen uns nicht durch Scheinlösungen ablenken lassen, immerhin habe es eine Pandemie in dieser Wucht seit der spanischen Grippe nicht mehr gegeben.
Die Lage könnte sich aber auch unerwartet entschärfen – und zwar, wenn sich bereits viele Menschen mit dem Virus infiziert haben. Sie wären dann unwissentlich immun und würden zur Herdenimmunität beitragen. Um herauszufinden, ob das der Fall ist, wären allerdings umfangreiche Tests in der Bevölkerung notwendig, was bislang noch nicht realisierbar ist.
„Ganz ohne Verzicht werden wir lange nicht auskommen“
Vor knapp einer Woche hat Nguyen-Kim ein Video auf ihrem Youtube-Channel MaiLab veröffentlicht, in dem sie sich detaillierter mit dem Verlauf der Corona-Krise auseinandersetzt. Das Video wurde inzwischen mehr als 4,5 Millionen Mal aufgerufen (Stand 8.4.). Die Chemikerin beschreibt darin die zwei Phasen der Pandemie-Bekämpfung:
- 1. Phase: Containment (Eindämmung) – es geht darum, eine Krankheit möglichst früh im Keim zu ersticken. Das funktioniert durch die Isolation von Kranken und Kontaktpersonen sowie Tests in der Bevölkerung
- 2. Phase: Mitigation (Schadensbegrenzung) – in dieser Phase befindet sich Deutschland aktuell. Infektionsfälle und Kontaktketten sind nicht klar nachvollziehbar. Die Infizierten lassen sich nicht mehr gezielt isolieren, daher braucht es stattdessen flächendeckende Maßnahmen (wie Ausgangsbeschränkungen). Das Ziel ist nicht mehr, die Pandemie einzudämmen, sondern die Ausbreitung zu verlangsamen.
Nguyen-Kims Prognose: „Wir arbeiten auf eine Lockerung der Maßnahmen und einen Rückgewinn von Normalität hin. Aber ganz ohne Verzicht werden wir lange Zeit nicht auskommen.“
Das Video der Chemikerin auf Youtube:
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