Dienstrad statt Dienstwagen: Das Unternehmen Bicicli will mehr Leute aufs Fahrrad setzen und berät Unternehmen rund ums Thema Dienstrad, Abstellplätze, Umkleidekabinen und Duschen im Büro. Über die Vision einer fahrradfahrenden Gesellschaft.
„Sind Autos eigentlich das neue Fleisch?“, steht provokant am Schaufenster des durchgestylten Berliner Showrooms von Bicicli. „Fleischkonsum wurde in den letzten Jahren zunehmend moralisiert – mit Blick auf Massentierhaltung, Emissions- und Wasserthematiken. Auch wir sehen eine deutliche Moralisierung des Individualverkehrs und gerade der Automobilindustrie“, so Isabell Eberlein.
Sie kümmert sich beim Rad-Leasing-Unternehmen Bicicli (sprich „Be-tschik-li“) um die Kommunikation. Biciclis Vision: Autoverkehr vermeiden, indem man mehr Leute aufs Fahrrad setzt. Weil es sinnvoll ist: Kilometerlanger Stau, quälendes Warten auf die nächste Grünphase, verzweifelte Parkplatzsuche – wer mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, kennt solche Probleme kaum.
Dienstfahrrad statt Dienstauto
Eberlein und ihre Kollegen beraten interessierte Firmen zu allem rund ums Thema Dienstrad und wollen so vor allem „Rad-ferne“ Menschen erreichen. Wo könnte man die Diensträder abstellen? Sollte man Duschen für die Neu-Radler einrichten? Wollt ihr E-Bikes oder Falträder? Wie kommt die Mehrheit der Mitarbeiter überhaupt zur Arbeit? Welche Versicherung wäre nützlich? Mit ihrem Rund-um-Fahrrad-Paket wollen sie die deutsche Unternehmenskultur nachhaltiger gestalten.
Im Laden der „Gesellschaft für urbanen Mobilität“, so der Beiname von Bicicli, findet man alles, was das Radlerherz begehrt: Magnetische Fahrradlichter, faltbare Helme, Rad-Poster – und natürlich Fahrräder, Elektro-, Falt- und Lastenräder. Gegründet wurde Bicicli 2017 von einer Wirtschaftswissenschaftlerin und einem Professor für Zivilgesellschaftsforschung.
Die Idee ist nicht neu, diverse Leasing-Anbieter wie Eurorad, Jobrad, Mein Dienstrad oder Lease-a-bike bieten ähnliche Leistungen für Unternehmen. Jobrad etwa gehört zu den Pionieren im Fahrradleasing für Diensträder. Bicicli sieht sich jedoch nicht als reine Vermittlungsplattform, sondern als „Mobilitätsdienstleister“: „Während Jobrad eine gebührenbasierte Plattform der Vermittlung von Leasing-Angeboten und Händler-Vermittlung entwickelt hat, basiert unser Geschäftsmodell nicht auf Vermittlungsgebühren, sondern auf Beratung für ein nachhaltiges urbanes Mobilitätskonzept“, betont Eberlein.
Das ambitionierte Ziel von Bicicli: 70 bis 80 Prozent der Autofahrer sollen aufs Rad umsteigen.
Dienstrad fahren und Steuern sparen
Bei ihrem Vorhaben nutzt ihnen, dass Dienstwagen und Dienstrad (Fahrrad, Pedelec und E-Bike) seit 2012 steuerlich gleichgestellt sind: Es gilt für beide Fortbewegungsmittel die Ein-Prozent-Steuerregelung aus dem Einkommenssteuer-Gesetz. Das bedeutet, betriebliche Räder können unbegrenzt privat genutzt werden.
Und so funktioniert die Steuerregelung: Der sogenannte „geldwerte Vorteil“, den die Arbeitnehmer aus der privaten Nutzung haben, wird lohnsteuerlich pauschal mit ein Prozent des Bruttoherstellerpreises bewertet. Kostet ein hochwertiges Dienstrad also 2.000 Euro, zahlt der Fahrer auf ein Prozent dieses Preises monatlich Einkommenssteuer für die private Nutzung.
Darüber hinaus ist die Anschaffung von betrieblichen Rädern im Leasing steuerlich begünstigt: Die Leasingrate kann aus dem Bruttolohn gezahlt werden, sodass sich die Grundlage für die Einkommensteuer und die Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers mindert.
Somit sind die Diensträder trotz Versteuerung bis zu 30 Prozent günstiger, als wenn man das Rad privat kaufen würde. Auch eine Möglichkeit: Der Arbeitgeber least das Rad teilweise oder vollständig für den Arbeitnehmer – oder kauft eine feste „Dienstradflotte“, welche die Angestellten für Termine benutzen können. „Falträder sind besonders bei Geschäftsleuten sehr beliebt“, bemerkt Eberlein.
Wartungs-App geplant
Personalabteilung, betriebliches Gesundheitsmanagement oder Fuhrpark-Management – will man das Dienstrad beim Arbeitgeber vorschlagen, muss man erstmal herausfinden, wer im Unternehmen dafür zuständig ist. Dann holt man Eberlein und ihre Kollegen dazu, die der Firma verschiedene Modelle vorstellen und klären, was die Bedürfnisse der Arbeitnehmer sind.
Sind die Räder erstmal angeschafft, kümmern sich deutschlandweit Bicicli-Vertragspartner um die regelmäßige Wartung der Räder. Der Aufwand soll so gering wie möglich sein: „Langfristig planen wir eine App, in die man eingibt, was kaputt ist. Am nächsten Tag wird es dann repariert“, so Eberlein.
Unter den ersten Bicicli-Kunden ist ein Anbieter für Co-Working-Spaces in neun verschiedenen deutschen Städten. Er hat für seine Gemeinschaftsbüros feste Rad-Flotten über Bicicli installiert.
Autofreies Wohnen der Zukunft
Bicicli will die Radkultur ganzheitlich verändern: So arbeitet das Unternehmen mit Immobilienentwicklern, Architekten und Verkehrsbetrieben zusammen. Gemeinsam überlegen sie, wie das autofreie Wohnen der Zukunft aussehen könne. Warum fährt man nicht direkt mit dem Rad in die Wohnung und schafft die platzraubenden Parkplätze ab?
Eberlein ist optimistisch: „Der Bewusstseinswandel passiert schon. Wir sprechen wegen Diensträdern auch mit Automobilherstellern, die ihre teuren Ingenieure nicht zwei Stunden im innerstädtischen Stau stehen lassen wollen.“
Im nächsten Jahr will Bicicli in ihrem „Salon der urbanen Mobilität“ Themen wie Gesundheit (und Mobilität), Wohnen, Arbeiten und Stadtentwicklung mit Bezug auf Mobilität diskutieren. „Dazu werden wir auch mal Automobil- und Sharing-Anbieter einladen“, so Eberlein. Auch Rad-Reparatur-Workshops für Frauen soll es gehen.
Mehr Radverkehr braucht bessere Infrastruktur
Natürlich bedarf es nicht nur dem passenden Verkehrsmittel, sondern auch einer verbesserten Fahrrad-Infrastruktur, um mehr Leute für das Fahrradfahren zu begeistern. „Wenn wir wollen, dass alle Fahrrad fahren, brauchen wir Fahrradstraßen, Vorrang für Fahrradverkehr, farbliche Markierungen und räumliche Trennung durch Poller“, so Eberlein.
Will Bicicli das Auto am liebsten komplett abschaffen? Eberlein relativiert: „Es gibt Situationen, in denen das Auto Sinn ergibt, wie beim Umzug oder beim Transport. Aber brauchen wir dafür alle ein individuelles Auto?“ Sie meint damit die Idee der Multimodalität: Man nutzt nicht immer ein- und dasselbe Verkehrsmittel, sondern das Rad für den Arbeitsweg, die Bahn, um ins Umland zu kommen – oder eben das Auto, um ein Möbelstück zu transportieren. Ist man „intermodal“ unterwegs, nutzt man für einen Weg unterschiedliche Verkehrsmittel:Also etwa zuerst das Rad, was man dann am Bahnhof abstellt.
Letztlich sei eine Verkehrswende nur mit der Berücksichtigung aller Verkehrsteilnehmer möglich: „Daher arbeiten wir auch mit Verkehrsbünden wie dem in Leipzig zusammen“, so Eberlein. Alle Auto-Fans könne man natürlich nicht überzeugen, doch „wenn man jeden Morgen im Stau steht und mit dem Rad an allen Autos vorbeifahren kann, ist das doch eine Win-Win-Situation“.
Der Bicicli-Showroom befindet sich in der Sophienstraße 28-29 in 10178 Berlin.
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