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Hart aber fair: Chef von Fleischverband redet sich um Kopf und Kragen

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links: Heiner Maten, Vorsitzender des Verbandes der Fleischwirtschaft (VDF), rechts: Max Straubinger, CSU-Politiker (Foto: Screenshot WDR-Mediathek)

Bei „hart aber fair“ ging es am Montag um die Zustände in der Fleischindustrie. Spätestens seit der Corona-Krise ist bekannt, dass diese nicht nur Tiere, sondern auch Menschen ausbeutet. Die Talkgäste lieferten erschreckende Zahlen – der Chef des Verbandes der Fleischwirtschaft war überfordert.

Mehr als 1.200 Arbeiter*innen haben sich in deutschen Schlachthöfen mit dem Coronavirus infiziert – die Zahlen steigen womöglich noch. Grund für die vielen Infektionen sind die Zustände, unter denen die Angestellten solcher Betriebe arbeiten und wohnen. Moderator Frank Plasberg verglich die Bedingungen bei „hart aber fair“ am Montag mit Käfighaltung.

Die Journalistin Anette Dowideit stimmte dem Vergleich zu: Die Arbeiter*innen in den Schlachthöfen seien vor allem Menschen aus ärmeren südosteuropäischen Ländern, die für ein paar Monate zum Arbeiten nach Deutschland kämen. Sie werden in Kleintransportern nach Deutschland geholt und in Massenunterkünften untergebracht.

„Das können Kasernen sein, aber auch stillgelegte Bauernhöfe, richtige Schrott-Immobilien teilweise, wo sie dann auf engstem Raum zusammen wohnen.“ Es sei üblich, dass drei oder vier Personen in einem Zimmer wohnen, sagte Dowideit. Abstandsregeln ließen sich in den Unterkünften nicht einhalten.

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Die Talkrunde bei hart aber fair am Montag (Foto: Screenshot WDR-Mediathek)

Keine klaren Antworten vom Verband der Fleischwirtschaft

Ein weiterer Teilnehmer bei „hart aber fair“ war Heiner Manten, der Vorsitzende des Verbandes der Fleischwirtschaft (VDF). Ihm fiel die Diskussion in der Runde sichtlich schwer. Plasberg wollte zunächst von ihm wissen, wie überrascht er angesichts solcher Arbeitsbedingungen über die hohen Corona-Infektionszahlen sein konnte. Seine Antwort: „Also, zunächst einmal, die, äh, die Infektionszahlen…wie soll ich sagen …“ Plasberg unterbrach ihn: „Sie könnten sagen, dass Sie nicht überrascht waren.“

Das wollte Manten allerdings nicht eingestehen: „Nein, bitte geben Sie mir Gelegenheit, zunächst ein bisschen mich zu sammeln, mich zu finden. Also, die Infektionszahlen alleine, in den, äh, ja – oder Medien, Entschuldigung, ich hab bisschen den Faden verloren.“

Aber auch anschließend wurde es nicht besser: Manten sprach von den kalten Temperaturen in Schlachthöfen und Corona-Fällen in Irland und den USA – und wollte von fragwürdigen Wohn- und Arbeitsbedingungen zunächst nichts wissen: „In den Unterkünften, dass da drei, vier Leute zusammenwohnen, kann ich mir so nicht vorstellen. Kenn ich so nicht, hab ich so auch nicht gesehen.“

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Fleischzerteilung in einem Fleischbetrieb. (Foto: xy / stock.adobe.com)

70-Stunden-Woche für 1.200 Euro brutto

Wie prekär die Bedingungen für die Angestellten sind, bestätigte aber auch Manfred Götzke, Journalist bei Deutschlandfunk und spezialisiert auf Recherchen zu Schlachthöfen. Götzke spricht Rumänisch und hat persönlich mit Schlachthof-Arbeiter*innen gesprochen. Seine Berichte sind erschreckend:

„Die Leute mit denen ich gesprochen habe, die haben so 1.100/1.200 Euro bekommen – brutto. Allerdings nicht für 40 Stunden die Woche, sondern 60 bis 70 Stunden. […]  Zum Teil stehen die um halb zwei auf, stehen um drei Uhr morgens am Band und sind dann erst um 15 Uhr wieder zu Hause. Das sechs Tage die Woche.“

Von dem Lohn werde zusätzlich Geld für das Bett in der Sammelunterkunft abgezogen, Götzke sprach von 220 Euro pro Monat. Auch die Fahrten zum Betrieb und Arbeitskleidung zahlen die Arbeiter*innen von dem Lohn. Am Ende bleiben dem Journalisten zufolge höchstens 600 bis 700 Euro übrig.

Fleisch
Damit Fleisch billig verkauft werden kann, muss es billig produziert werden. (Bild von Karamo auf Pixabay / CC0 Public Domain)

Wir müssen weg von Billigfleisch

Den Präsidenten des Fleischwirtschaftsverbandes überzeugen diese Zahlen nicht: „Die 1.200 Euro, Herr Götzke, hatten sie die Möglichkeit, in so eine Lohnabrechnung reinzuschauen? […] Ich hätte dann gerne noch gewusst: Ist das Bruttolohn, Nettolohn? Und wenn Nettolohn, welche Steuerklasse?“ Erst etwas später in der Sendung gibt Manten zu: „1.200 Euro brutto wäre ein klarer Verstoß gegen das Mindestlohngesetz. Das lehne ich vollständig ab, ganz ganz klar.“

Utopia meint: Werkverträge abschaffen, einen Mindestpreis für Fleisch einführen oder gleich ein kompletter Systemwechsel: In der hart-aber-fair-Sendung von Montag haben die Talkgäste viele interessante Lösungen für die Fleischindustrie diskutiert. In Erinnerung bleibt aber vor allem der Auftritt von Heiner Manten. Seine Weigerung, die Missstände in Schlachtbetrieben einzugestehen, zeigt wie festgefahren die Branche ist. Es wäre Aufgabe der Fleischwirtschaft, Verbesserungen zu entwickeln. Damit sich etwas ändert – und weder Menschen noch Tiere in den Betrieben ausgebeutet werden – ist aber auch die Politik gefragt. Und nicht zuletzt die  Konsument*innen: Sie müssen bereit sein, mehr für Fleisch zu zahlen. Die miesen Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen sind auch ein Resultat der hohen Nachfrage nach Billigfleisch.

Die komplette Sendung von hart aber fair von Montag gibt es in der Mediathek.

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