Das kanadische Äquivalent zu unserer Ernährungspyramide zeigt eine bedeutende Änderung: In der aktuellen Version sind Milchprodukte fast vollständig gestrichen – dafür besteht die Hälfte aus Obst und Gemüse.
Ist Milch gesund? Die Debatte darüber ist nicht neu. Veganerinnen und Veganer sind seit langem überzeugt, dass der Mensch für eine gesunde Ernährung keine Milchprodukte braucht. Die neue, offizielle Ernährungsrichtlinie der kanadischen Regierung verzichtet auf eine konkrete Verzehrsempfehlung für eine bestimmte tägliche Menge an Milchprodukten. Zuvor galt, dass erwachsene Männer und Frauen – je nach ihrem Alter – zwei bis drei Portionen pro Tag essen sollten (eine Portion entsprach zum Beispiel einem Joghurt oder 50 Gramm Käse).
Video: So sieht die neue „Ernährungspyramide“ aus
Nur ein Viertel des Tellers für Proteine
Stattdessen sieht die aktuelle Richtlinie überwiegend ziemlich vegan aus. Im Gegensatz zur Pyramidenform stellt Kanada seinen Ernährungskompass als Teller dar, der zeigen soll, wie viel man täglich von bestimmten Lebensmitteln essen soll. Eine Hälfte des Tellers nehmen jetzt Obst und Gemüse ein. Ein Viertel wird von stärkehaltigen Nahrungsmitteln wie Getreide, Reis und Nudeln abgedeckt.
Und das letzte Viertel ist für Proteinlieferanten reserviert – wobei die Abbildung kein Glas Milch zeigt, sondern Hülsenfrüchte, Nüsse, Tofu, eine sehr kleine Menge Fleisch und Fisch und etwas, das ein Schälchen Joghurt oder auch Soja-Joghurt sein könnte. Zwar werden Milch und Milchprodukte weiterhin im Leitfaden bei den möglichen Proteinquellen und Milch in der fettarmen Variante auch als Option für ein gesundes Getränk aufgeführt. Es heißt jedoch explizit, man solle wegen der gesundheitlichen Vorzüge öfter zu pflanzlichem Eiweiß greifen – verbunden mit einer Reihe von konkreten Tipps.
Außerdem wird Trinkschokolade für Kinder – ein Trick vieler Erwachsener, um Kindern Milch schmackhaft zu machen – nicht mehr empfohlen. Ebenso wenig wie Fruchtsaft mit 100 Prozent Fruchtgehalt als Ersatz für Obst. Denn in beiden Fällen würde der Zucker, und damit ein Grund für Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen, die ernährungstechnischen Vorteile ausstechen.
Die DGE empfiehlt eine „kleine Portion“ Milchprodukte
Was den Milchkonsum angeht, gibt es bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) Unterschiede zum kanadischen Modell: Dort heißt es nämlich konkret: „Tierische Lebensmittel aus der Gruppe ‚Milch und Milchprodukte‘ sowie der Gruppe ‚Fleisch, Wurst Fisch, und Eier‘ ergänzen in kleineren Portionen den täglichen Speiseplan“. Als „kleine Portion“ gilt in Deutschland ein Orientierungswert von 200-250 Gramm Milch- und Milchprodukte sowie zwei Scheiben Käse (60-60 Gramm) pro Tag.
Auch die kürzlich von einem internationalen Forscherteam entwickelte „planetary health diet“, die sowohl die menschliche Gesundheit als auch die Auswirkungen auf den Planeten berücksichtigen möchte, legt einen großen Schwerpunkt auf pflanzliche Kost. Dieser Ernährungsplan hält allerdings auch an der Empfehlung fest, täglich 250 Gramm Milchprodukte zu verzehren.
Der Plan wurde zuletzt 2007 überarbeitet
„Canada’s food guide“ ist zum ersten Mal seit 2007 überarbeitet worden. In der alten Fassung war der tägliche Verzehr von Milch und Milchprodukten noch ein fester Bestandteil: Wie in anderen westlichen Ländern wurde auch den Kanadiern – schon seit der Erstpublikation im Jahr 1942 – ans Herz gelegt, mehrere Portionen am Tag in den Speiseplan zu integrieren. In der Vergangenheit ist die Regierung dafür kritisiert worden, sich bei ihrer Empfehlung zu stark der Fleisch- und Milchindustrie anzubiedern. Die ist nun – wenig überraschend – not amused über die Änderungen.
Dr. David Jenkins, Professor für Ernährungswissenschaften an der Universität von Toronto, zeigt sich dagegen sehr zufrieden: „Ich denke, die Empfehlung bewegt sich in eine pflanzenbasierte Richtung. Das wird einige Leute verärgern, aber ich denke, das ist die Richtung, in die es gehen muss“, zitiert ihn die BBC. Wir hätten Kuhmilch im Hinblick auf die Bedeutung für die menschliche Gesundheit fälschlicherweise auf dieselbe Stufe gestellt wie Muttermilch, so der Professor, der eine pflanzenbasierte Ernährung aus ökologischen Gründen befürwortet. Veganerinnen und Veganer verweisen häufig darauf, wie befremdlich es eigentlich sei, die Muttermilch einer fremden Spezies zu trinken.
Radikal ist die Änderung nicht – aber zeitgemäß
Tatsächlich konsumieren die Kanadier bereits jetzt gesundheits- und umweltbewusster als früher: Laut der BBC geht dort seit 2009 der Milchkonsum zurück, während pflanzlicher Milchersatz immer populärer wird. Von daher sei die neue Richtlinie auch weniger Zukunftsmusik, sondern vielmehr ein zeitgemäßes Abbild des Konsumverhaltens. Auch Jenkins hält die Neuerung nicht für radikal: Dass die Menschen mehr Obst und Gemüse essen sollen, sei schließlich längst kein Geheimnis mehr.
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